Sympathisch-bissige Satire über ein kleines Dörfchen in der Bretagne, das anstelle einer ukrainischen eine syrische Flüchtlingsfamilie bei sich aufnimmt.
FAST FACTS:
• Achte Spielfilm-Regiearbeit von Julie Delpy
• Amüsante Komödie mit satirischen Spitzen im Stil von „Willkommen bei den Hartmanns“
• Starke Besetzung mit Delpy, Sandrine Kiberlain und Laurent Lafitte
CREDITS:
O-Titel: Les barbares; Land / Jahr: Frankreich 2024; Laufzeit: 101 Minuten; Drehbuch: Julie Delpy, Matthieu Rumani, Nicolas Slomka; Regie: Julie Delpy; Besetzung: Julie Delpy, Sandrine Kiberlain, Laurent Lafitte, Ziad Bakri, Jean-Charles Clichet, India Hair, Dalia Naous; Verleih: Weltkino; Start: 26. Juni 2025
REVIEW:
Natürlich ist der Witz einer Satire, dass sie einem den Spiegel vorhält, man darüber lachen kann, wenn man liebevoll, aber kräftig aufgezwickt wird: Das seid ihr, die gerade auf den Topf gesetzt werden, oder etwa nicht? Das ist ein hehres Ziel, mehr noch in unseren aufgewühlten Zeiten, in denen tiefe Risse durch die Gesellschaft gehen, ein vergiftetes Klima es immer schwerer macht, Konsens im Umgang miteinander zu finden. Neun Jahre nach „Willkommen bei den Hartmanns“ von Simon Verhoeven, der, wie wir uns erinnern, mit fast vier Millionen Besuchen erfolgreichste deutsche Film des Jahres 2016, hat Julie Delpy in ihrer achten Regiearbeit einen satirischen Rundumschlag gestartet, in dessen Mittelpunkt ebenfalls eine Familie von Refugees steht, aus Syrien in diesem Fall. Sie findet ein neues Zuhause findet in einem kleinen Dorf, dem fiktiven Paimpont in der Bretagne, was zu zunehmend schwereren Verwerfungen in der Gemeinde führt. Dabei geht es zwar auch, aber eben nicht nur um eventuelle Ressentiments gegenüber den Neuankömmlingen. Häufig ist ihre Anwesenheit nur der Stein des Anstoßes, bereits schwelende Konflikte und Animositäten zum Ausbruch kommen zu lassen. „Les barbares déhors“ – „Barbaren raus!“ – hat ein Idiot als Graffito an das Haus der syrischen Familie geschmiert. Wer die wahren Barbaren sind in diesem Fall, das darf der Zuschauer selbst entscheiden, obwohl die Antwort ziemlich klar ist.

Schon in der letztjährigen Feiertagskomödie „Frohes Fest – Weihnachten retten wir die Welt“ von Jeanne Gottesdiener folgte ein Kamerateam einer Bürgermeisterin, die sich durch eine Komödie über die Tücken einer allzu zu komplex gewordenen Welt kämpfte. Hier ist der Bürgermeister zwar männlich, aber die Aufnahmen des Kamerateams helfen der Filmemacherin Delpy, mit hohem Tempo die wesentlichen Figuren des Dorfes Paimpont vorzustellen. Da ist die empathische Lehrerin Joëlle, gespielt von der Regisseurin selbst, und deren beste Freundin Anne, gespielt von der immer wunderbaren Sandrine Kiberlain, die einst große Träume von der weiten Welt hatte, dann aber in ihrem kleinen Kaff steckenblieb, als ihr Mann den Supermarkt übernahm, und ihren Kummer seither in Hochprozentigem ertränkt. Da ist der eigenwillige Biobauer Auteuil, gespielt von Julie Delpys Vater Albert. Und da ist der erzreaktionäre Klempner Riou, gespielt von dem vielbeschäftigten Laurent Lafitte, der zwar die versprochenen ukrainischen Flüchtlinge akzeptiert hätte, aber auf die Barrikaden geht, als an ihrer Stelle eine syrische Familie geschickt wird. Der Argwohn ist groß, die Ironie der Situation noch größer: Denn die fünfköpfigen Farhads sind eben nicht die „Fremden“, die verachteten „Barbaren“: Familienoberhaupt Marwan ist Architekt, seine Schwester Ärztin, der Großvater ein begnadeter Koch, die Kinder neugierig und aufgeschlossen.

In sechs Kapiteln entwickelt sich aus dem simplen Szenario eine Komödie der Irrungen und Wirrungen, in der zahlreiche Standpunkte verhandelt werden, deren Sympathien aber klar denen gehören, die der Welt offen und ohne Vorbehalte gegenüberstehen. Es ist Delpys zugänglichster Film bislang, Welten entfernt von dem spröden Vorgänger „My Zoe“, den sie 2019 mit Hilfe der Hamburger Amusement Park auf die Beine gestellt hatte: ein Publikumsfilm mit einem Anliegen und stets dem klugen und wachen Blick der Schauspielerin, die an der Seite von Ethan Hawke mit den „Before“-Filmen Geschichte geschrieben hatte, sich aber wie eine französische Sarah Polley mittlerweile auf der anderen Seite der Kamera wohler fühlt. Und auch erkennbar das nötige Gespür mitbringt: In einer Szene führen die Farhads der erschütterten Gemeinde von Paimpont persönliche Videoaufnahmen aus dem Krieg in Syrien vor – und zeigt nur die Geschichte der Zusehenden, während der Schrecken sich nur auf der Tonspur abspielt. „Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne“ ist ein versöhnlicher Film, ein hoffnungsvoller Film, der keine der Figuren aufgibt. Er glaubt an „Liberté, egalité, fraternité“ und ist eine schöne Erinnerung an bisweilen verschütt geglaubte Werte. Ohne Zeigefinger, aber mit dem Herz am rechten Fleck und der Überzeugung, dass Liebe keine Grenzen kennt.
Thomas Schultze