Erschütterndes Drama – ausgezeichnet mit acht Österreichischen Filmpreisen – über eine junge Frau im unwirtlichen Oberösterreich des Jahres 1750, die immer weiter in die Isolation gedrängt wird und schließlich zu einer Wahnsinnstat greift.
FAST FACTS:
• Dritte Regiearbeit des versierten Kreativduos Veronika Franz und Severin Fiala
• Sensationelles Schauspieldebüt der österreichischen Anja Plaschg, bekannt als Soap&Skin
• Acht Österreichische Filmpreise, u. a. für den besten Film, die beste Regie und die beste Darstellerin
• Österreichs Vorschlag für den internationalen Oscar bei den 96. Academy Awards
• Auszeichnung für Kameramann Martin Gschlacht für die beste technische Leistung auf der Berlinale 2024
CREDITS:
Land / Jahr: Österreich, Deutschland 2024; Laufzeit: 121 Minuten; Regie & Drehbuch: Veronika Franz & Severin Fiala; Besetzung: Anja Plaschg, Maria Hofstätter, David Scheid; Verleih: Plaion Pictures; Start: 14. November 2024
REVIEW:
Nach historischen Aufzeichnungen. Oberösterreich 1750. Das ist die erste Einblendung auf schwarzem Hintergrund. Ganz sachlich, matter of factly. Auf der Tonspur hört man ein Baby weinen. Wir sehen: Das Baby liegt schreiend in Decken gehüllt, ein Junge nimmt es kurz auf den Arm. Wir sehen: Die Mutter nimmt das Kind an sich, trägt es durch den Wald. Wir sehen: Die Mutter steht auf der Anhöhe eines Wasserfalls, sie wirft das Baby in den Abgrund. Wir sehen: Die Frau klopft an eine Tür, meldet, sie habe etwas zu gestehen. Wir sehen: Der blutigen Leiche einer Frau wird ein Finger abgeschnitten, der abgetrennte Kopf der Frau liegt in einem Käfig. Titelkarte. Und weil ich vor Verdruss recht müde war des Lebens, so kam mir in den Sinn, begehe einen Mord.
So beginnt „Des Teufels Bad“, der dritte Film des Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala, produziert von Ulrich Seidl (in Koproduktion mit Bettina Brokemper und ihrer Heimatfilm), der so grausam und gnadenlos ist und doch so zart und mitfühlend, dass man gar nicht weiß, wo man hinsoll mit seinen Emotionen. Ein strenges Kino ist es, ein Kino der Unerbittlichkeit, das sich keinen Illusionen hingibt, wozu Menschen fähig sind. „Ich seh, ich seh“ und die US-Arbeit „The Lodge“ sowie der Anthologiefilm „The Field Guide to Evil“ (der Beitrag des Duos heißt „Die Trud“) haben das Duo zu einem Begriff gemacht bei Fans des sogenannten Elevated Horror. Und gewiss, „Des Teufels Bad“ schreibt ihre Arbeit konsequent weiter, ist tief in sich ein Horrorfilm, aber es ist ein kühnerer Entwurf jetzt, ein Schritt nach vorn, das Erbarmungslose, das ihren Filme innewohnt, in einen größeren Zusammenhang zu stellen, in ein historisches Epos zu fügen, das Zeit und Raum ähnlich überzeugend und authentisch einfängt wie Robert Eggers‘ Debüt „The VVitch“, um daraus mit eigener Handschrift einen authentischen Fall den Fängen des Gerichtsprotokolls zu entreißen und zu filmischem Leben zu erwecken.
Um Agnes wird es gehen, ein gottesfürchtiges, sensibles Mädchen, gespielt von der großartigen Anja Plaschg in ihrem Schauspieldebüt, die man kennt als außergewöhnliche Sängerin unter dem Pseudonym Soap&Skin. Sie wird verheiratet mit Wolf, der mit ihr eine steinerne Hütte im Wald bezieht, ohne Fenster, ohne Licht. Ein Gefängnis, wie sich herausstellt, Sinnbild für ein Leben in ewiger Gefühlskälte, ohne Zärtlichkeit und Zuneigung, dafür mit Knochenarbeit und frömmelnder Religiosität. Einen Sohn soll Agnes ihrem Mann gebären. Nur wie, wenn es keinen Sex gibt, keine Liebe. „Des Teufels Bad“ wird zur Studie einer Isolation, erdrückender Melancholie, das „Bad des Teufels“, einer beklemmenden Einsamkeit, die alsbald Wahn und Irrsinn den Boden bereitet. Was Agnes sieht und fühlt, eingefangen in stimmungsvollen, bedeutungsschwangeren Bildern des herausragenden Kameramanns Martin Gschlacht, der in absolutem Einklang mit der Vision der Filmemacher arbeitet, wird immer intensiver, monströser, lässt Aberglaube münden in einen Gewaltakt, der zu Beginn des Films bereits vorweggenommen wurde und immer angekündigt wird, im unbarmherzigen Verhalten den Tieren, aber auch anderen Menschen gegenüber.
Easy viewing ist das nicht. Der Film fordert einen, verlangt dem/der Zuschauer:in einiges ab. Schön ist es nicht, was die Filmemacher zu zeigen haben, aber zeigen müssen, wenn sie diese Geschichte nicht verraten wollen. Aber es ist ein erfüllendes Fordern, weil die Kontrolle von Veronika Franz und Severin Fiala über ihre Erzählung, ihre Geschichte, ihre Bilder, ihren Ausdruck vollkommen ist. Nichts ist hier dem Zufall überlassen. Die Bilderfolgen der downward spiral sind zwingend, so bitter es auch kommen mag für die bemitleidenswerte Agnes, die in eine Zwickmühle gerät, die so schrecklich ist, dass es einem den Atem verschlägt: Weil sie weiß, dass Selbstmord eine Sünde ist, die einem ein christliches Begräbnis und damit die Gnade Gottes unmöglich macht, wird sie zur Mörderin eines Jungen, um bei der Beichte die Absolution zu erhalten und dann in ihrer Hinrichtung ihre Erfüllung zu finden. Ich wollte weg sein von der Welt.
Wie Anja Plaschg das spielt ist erstaunlich. Sie liefert sich ihrer Figur aus, wie es wohl nicht viele machen würden und auch nicht könnten. Da ist eine Feinfühligkeit im Spiel, ein Verständnis für die Figur, das über bloße Schauspielerei hinausgeht. Und eben auf einer Wellenlänge liegt mit dem gesamten Film, der über das hinausgeht, was Filme für gewöhnlich zu leisten vermögen. Man liegt nicht falsch, wenn man „Des Teufels Bad“ in einem Atemzug nennt mit großen vergleichbaren Werken wie Dreyers „Tag der Rache“, Shindōs „Onibaba“ oder Russells „Die Teufel“. Die acht Auszeichnungen beim Österreichischen Filmpreis, der Preis für Kameramann Martin Gschlacht auf der Berlinale, die Einreichung als österreichischer Beitrag für die Academy Awards – allesamt verdient.
Thomas Schultze