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REVIEW KINO: „Der Pinguin meines Lebens“


Herzerwärmende Drama-Komödie über einen mürrischen Englischlehrer, der im krisengeschüttelten Argentinien der 1970er-Jahre von einem Pinguin Menschlichkeit lernt.

CREDITS: 
O-Titel: The Penguin Lessons; Land/Jahr: UK/Spanien 2024; Laufzeit: 110 Minuten; Drehbuch: Jeff Pope; Regie: Peter Cattaneo; Besetzung: Steve Coogan, Vivian El Jaber, Björn Gustafsson, Alfonsina Carrocio, Jonathan Pryce, David Herrero; Verleih: Tobis; Start: 24. April 2025

REVIEW:
Das Komischste an dem genialen Komiker Steve Coogan ist, dass seine Rollen immer mehr oder weniger fiktive Versionen seiner selbst sind und auf keinen Fall auf Teufel komm raus sympathisch sein wollen. Selbst seine Leinwandauftritte haben eine Art Stand-up-Comedy-Charakter, dem das große Vergnügen an der Selbstdemontage, die Konfrontation mit den eigenen Schwächen, die Auseinandersetzung mit dem eigenen (selbsterschaffenen) narzisstischen Image zugrunde liegen. Seine Komfortzone befindet sich in der ironischen Distanz zu sich und der Welt, hinter einer Mauer aus Sarkasmus, die in seinen letzten, ernsthafteren Kinorollen am Ende stets zerbröselte, etwa in dem bewegenden Drama „Philomena“ mit Judi Dench, das ihm eine Oscar-Nominierung als Drehbuchautor einbrachte, zusammen mit Jeff Pope, der nun auch das Skript zu „Der Pinguin meines Lebens“ verfasste. Der Film ist in dieser Hinsicht die bislang unterhaltsamste und hinreißendste Antwort auf Coogans ewige, sehr persönliche Frage, die er einmal in einem Interview mit den Worten formulierte: „Wie kann ich mich selbst zum Arschloch machen und dennoch menschlich bleiben?“

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Steve Coogan in „Der Pinguin meines Lebens“ (Credit: Tobis Film)

Als Englischlehrer auf der Suche nach Zerstreuung kommt Steve Coogan hier im Jahr 1976 an ein Jungeninternat in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, am Vorabend des Militärputsches, es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, die Wirtschaft steht kurz vor dem Zusammenbruch, das Land ist gespalten. Tom Michell interessiert sich zu diesem Zeitpunkt weder für Politik noch für die Befindlichkeiten seiner Mitmenschen, er beherrscht es Steve-Coogan-mäßig, sich unbeliebt zu machen, nicht zuzuhören und nicht hinzusehen. Seine oberflächliche Gleichgültigkeit kommt dem „napoleonischen“ Schuldirektor, famos bestimmend verkörpert von Jonathan Pryce in einer Nebenrolle, gerade recht: Er besteht darauf, dass die Welt innerhalb der Mauern des St. George’s College noch in Ordnung ist, obwohl dahinter das Chaos regiert, die beige-gelb-grüne Seventies-Farbpalette sichtlich getrübt ist, die Realität auf die sonnige Stimmung und den lateinamerikanisch angehauchten Score von Federico Jusid drückt. Melancholische Easy-Listening-Vibes durchziehen die entspannte Inszenierung, die Regisseur Peter Cattaneo so leicht von der Hand geht, wie es ihm seit seiner legendären Working-Class-Stripper-Komödie „Ganz oder gar nicht“ nicht mehr gelungen ist, als würde sich das fabelhafte Drehbuch wie von selbst inszenieren.

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Steve Coogan in „Der Pinguin meines Lebens“ von Peter Cattaneo (Credit: Tobis)

Die Story beruht erstaunlicherweise auf Tatsachen (wie Videoaufnahmen im Abspann beweisen) und auf dem autobiografischen Roman des Schriftstellers Tom Michell, der als junger Lehrer aus dem englischen Sussex in den 1970ern das Abenteuer auf dem südamerikanischen Kontinent suchte. Die Rolle, die Steve Coogan so angegossen passt wie der braune Feincordanzug, weicht insofern von der Vorlage ab, Jeff Pope hat sie dem 59-Jährigen auf den Leib geschneidert und mit einer tragischen Vorgeschichte unterfüttert, einem Schicksalsschlag, der im weiteren Verlauf auch die Erklärung für den chronischen Zynismus liefert. Dem Coogan’schen Humor entsprechend stehen Sarkasmus und Metaphorik schon in der ersten Unterrichtsstunde auf der Agenda. Um Tom Michells widerspenstige Klasse für die Feinheiten der englischen Sprache zu begeistern, bedarf es jedoch mehr als nur Spitzfindigkeiten, nämlich eines kleinen Magellan-Pinguins, den der Protagonist während eines Kurzurlaubs am Tag der Machtübernahme der Militärjunta am Strand von Uruguay aus einem Ölteppich rettet. Die nicht ganz uneigennützige Heldentat, die Michell zu einem One-Night-Stand mit einer attraktiven Einheimischen verhelfen soll, führt stattdessen dazu, dass er fortan auf Schritt und Tritt von dem furchtbar niedlichen Vogel verfolgt wird, der durch den Zoll und ins Internat geschmuggelt und nicht in einen Zoo abgeschoben werden will. 

Der Pinguin, der den lyrischen Namen Juan Salvador (nach dem spanischen Titel des Romans „Die Möwe Jonathan“) erhält, erweist sich als therapeutischer Zuhörer, als wahrer Freund, der nicht verurteilt und selbst Coogans Charakter aus seiner Lethargie aufrüttelt, ihn dazu bringt, sich auf seine verdrängten, menschlichen Werte zu besinnen. Dank Juan Salvadors Anwesenheit im Klassenzimmer gewinnt er endlich die Aufmerksamkeit seiner aufsässigen Schüler, kann sie für die Poesie begeistern, die wie in „Der Club der toten Dichter“ zum Sinnbild für geistige Freiheit und Widerstand wird. Er bringt den Söhnen konservativer, reicher Familien bei, auf ihren moralischen Kompass zu hören, Shakespeare zu hinterfragen und die Staatsgewalt – die Politik lässt sich schließlich doch nicht so einfach aus dem Lehrplan heraushalten, auch nicht aus dem Drehbuch: Der Handlungsverlauf nimmt seine dramatische Wendung, als Sofìa (Alfonsina Carrocio), die mit den Linksradikalen sympathisierende Enkelin der Haushälterin Marìa (Vivian El Jaber), von einem militärischen Einsatzkommando entführt wird und „verschwindet“.

Das quälende Gewissen Tom Michells, der die Szene beobachtet und wohlmöglich hätte verhindern können, trägt den Film von hier an auf geradlinigem Weg zu seinem ergreifenden Happy-Sad-Ending. Der Realität wird Respekt gezollt, indem auf melodramatische Untertöne verzichtet wird. In mancher Hinsicht ist alles eine Metapher, die der Charakterentwicklung auf die Sprünge hilft, auch der kleine Pinguin, der das Wesen der Hauptfigur ironisch reflektiert, eines tragischen Helden, der vor sich selbst fliehen will, aber von seinem Spiegelbild aufgehalten wird. Dem entwaffnenden Charme des gefiederten Sidekicks und Crowdpleasers (der nur in wenigen Szenen von einem animatronischen Modell gedoubelt wird) kann man sich ebenso wenig entziehen wie dem Rest des internationalen Casts, zu dem unter anderem der schwedische Comedian Björn Gustafsson als anhänglicher, nerdiger Physiklehrer Tapio gehört – und die argentinische Theater- und Fernsehlegende Vivian El Jaber als resolute Haushälterin, die kein Blatt vor den Mund nimmt, für die Rettung ihrer Enkelin auf die Barrikaden geht und mit ihrer Aufrichtigkeit dafür sorgt, dass der Film die Balance zwischen Herz und Humor und dem Ernst der Lage findet. Die Botschaft ist zeitlos und brisant: Man muss Verantwortung übernehmen, seine Komfortzone verlassen, sich einmischen, die Gegensätze akzeptieren, es ist eine eindringliche und tief berührende Lektion in Empathie, die am Ende sogar Steve Coogans Zynismus in (Selbst-)Liebe verwandelt.

Corinna Götz