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REVIEW KINO: „Der letzte Takt“


Schwarzhumorige isländische #MeToo-Satire über ein Kammerorchester, das kurz vor dem Bankrott steht und deshalb einen weltberühmten Star-Cellisten engagiert, der sich als schwerer Fehler entpuppt.

CREDITS: 
O-Titel: Fullt hús; Land/Jahr: Island 2024; Laufzeit: 92 Minuten; Drehbuch: Sigurjón Kjartansson; Regie: Sigurjón Kjartansson; Besetzung: Helga Bragan Jónsdóttir, Hilmir Snær Guðnason, Ilmur Kristjánsdóttir, Halldór Gylfason, Eggber Þorleifsson; Verleih: Mindjazz Pictures; Start: 12. Juni 2025

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„Der letzte Takt“ (Credit: mindjazz pictures)

REVIEW:
Der letzte Takt“ beginnt mit dem letzten Satz von Vivaldis „Sommer“ aus dem Konzert „Vier Jahreszeiten“, und das drohende Gewitter, das sich darin ankündigt, spielt sich bei der Aufführung vor allem in den Gesichtern der Musiker ab. Anstelle von Streicherharmonie zeigt der Prolog einen wild geschnittenen Wechsel von Einstellungen, die sich sogar zu Italian Shots verengen, als wollten sich die Darsteller mit Blicken töten oder mit dem Geigenbogen duellieren, bis das Stück mit einem kläglichen Seufzer und Schlussapplaus endet. „Das lief doch wunderbar“, urteilt Sigríður (Helga Braga Jónsdóttir), die resolute Leiterin von „Islands Kammerorchester“, das eigentlich ein Sextett ist und nur vor einer Handvoll Zuschauern auftritt, auf einer Bühne, die dringend saniert werden muss und die man sich mit einem Marionettentheater teilt (dessen Existenz am Ende eine große Bedeutung erlangen wird). Nun soll auch noch die staatliche Förderung gestrichen werden, was einer Bankrotterklärung gleichkommt, an der ein bekannter Kritiker, Gunnar Gunnarson (Eggber Þorleifsson), nicht ganz unschuldig ist. Der „kann Abba nicht von Mozart unterscheiden“, darf aber in einer Kultursendung im Fernsehen seine Plattitüden verbreiten und lässt keine Gelegenheit aus, dem weltberühmten Star-Cellisten Klemens Daníelsson (Hilmir Snær Guðnason aus „Lamb“) seine Bewunderung auszusprechen. Als dieser ein Engagement in San Francisco unfreiwillig beendet und die Rückkehr in seine Heimat ankündigt, wittert Sigríður ihre Chance, den Sturm doch noch abzuwenden. Ausschlaggebend dafür, dass sich Klemens nach einem hochpeinlichen FaceTime-Anruf bereit erklärt, dem strauchelnden, ähm, Sex-Tett beizutreten, ist Sigríðurs üppiges Dekolleté.

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„Der letzte Takt“ (Credit: mindjazz pictures)

Wie in den vorangegangenen Komödienhits von Örn Marinó Arnarson und Thorkell S. Hardarson, die hier als Produzenten verantwortlich zeichnen und unter anderem mit „Der letzte Angelausflug“ eine Art isländische Antwort auf „Hangover“ lieferten, nimmt Drehbuchautor und Regisseur Sigurjón Kjartansson kein Blatt vor den Mund und andere Körperteile, zerlegt mit einer Mischung aus liebevollem Ernst, bitterböser Ironie und harmlosem Slapstick menschliche Schwächen und gutbürgerliche Moralvorstellungen. Es ist ein in jedem Moment durchschaubares, genüssliches Spiel mit Stereotypen, dessen Protagonist mit seinen plumpen Annäherungsversuchen und „unendlich gigantischem Männer-Ego“ der übelste Täter in der Geschichte der #MeToo-Bewegung sein dürfte. Dass der Künstler kein Taktgefühl besitzt und die Schauspieler offensichtlich nie zuvor Instrumente in den Händen gehalten haben – oder sehr überzeugend darin sind, so zu tun, als ob –, gehört zu den lustigsten Einfällen der Filmemacher (neben einem Video, in dem das Sextett zum Schluss in KI-generierter isländischer Landschaft mit haarsträubendem Heavy-Metal-Crossover-Sound einen Eurovision-Song-Contest-würdigen Hit präsentiert). 

Alles ist Show, Playback, Fake – sogar Klemens‘ achtjähriger Sohn, der tatsächlich sein Enkel ist. Nachdem er alle Kolleginnen rumgekriegt oder es zumindest versucht hat und ohnehin alle über alles Bescheid wissen, ist es zu spät, den Täter zu feuern und anzuzeigen, da bei dem groß angekündigten, ausverkauften Homecoming-Konzert Politiker und Fernsehkritiker in der ersten Reihe sitzen. Beinahe wie in einer Parodie auf die angesagte Prime-Serie „Étoile“ (und deren noch besseren Vorgänger „Mozart in the Jungle“) werden zunächst die zwischenmenschlichen Irrungen und Wirrungen hinter den Kulissen eines vermeintlich disziplinierten Kulturbetriebs beleuchtet, bevor sich die famos gespielte Ensemble-Komödie zu einer makabren Gesellschaftssatire entwickelt, in der alle bekommen, was sie verdienen, das Publikum eingeschlossen, auf der Leinwand wie im Kinosessel. Die größte Kunst, so zeigt der Film, besteht darin, die Show am Laufen zu halten, indem man seine Fehler in ein besseres Licht rückt, selbst wenn man dabei über Leichen gehen muss – „wenigstens kann einen der Perversling dann nicht mehr in der Pause belästigen“.

Corinna Götz