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REVIEW KINO: „Der Fremde“


Elegante Verfilmung des klassischen Debütromans von Albert Camus in bestechendem Schwarzweiß über einen jungen Mann in Algier, der vor Gericht gestellt wird, weil er einen „Araber getötet“ hat. 

CREDITS:
O-Titel: L’Étranger; Land / Jahr: Frankreich 2025; Laufzeit: 120 Minuten; Regie & Drehbuch: François Ozon; Besetzung: Benjamin Voisin, Rebecca Marder, Pierre Lottin, Denis Lavant, Swann Arlaud; Verleih: Weltkino; Start: 1. Januar 2026

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„Der Fremde“ von François Ozon (Credit: Gaumont, Weltkino)

REVIEW:
Eleganz ist nicht das erste Wort, das einem einfällt, wenn man an den ersten Roman von Albert Camus aus dem Jahr 1942 denkt, Inbegriff eines absurden Existenzialismus, der seit Erscheinen des Jahrhundertbuchs weltweit diskutiert wurde. Eleganz ist indes das Erste, was man an François Ozons Verfilmung eines der berühmtesten Romane des 20. Jahrhunderts bemerkt, die zweite nach einem weniger gelungenen Versuch Viscontis in der zweiten Hälfte der Sechziger mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle. Ozon, der sich trotz und gerade wegen seiner Arbeitswut mit Filmen mehr oder mehr weniger im Jahrestakt, 26 Spielfilme binnen 30 Jahren, niemals auch nur im Entferntesten zu wiederholen scheint und Konstanz in der fortwährenden Neuerfindung gefunden hat, hat seine neue Arbeit realisiert wie einen Film, der nicht nur in den Dreißigerjahren in Algerien spielt, sondern auch gestaltet ist wie eine Produktion dieser Zeit, in maßvollem Schwarzweiß und mit dem damaligen Signet des Produktionsgiganten Gaumont, geschmackvoll orchestriert, jede Einstellung ausgesucht, als gelte es, in der Schönheit der Bilder ein Gegengewicht zu erschaffen zu der Gleichgültigkeit, mit der Meursault, die Hauptfigur von „Der Fremde“, durchs Leben zu gehen scheint und ihn gleich im erschütternden Monolog aus dem Off zu Beginn des Films die berühmte Zeile sagen lässt, er habe einen Araber getötet. 

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„Der Fremde“ von François Ozon (Credit: Gaumont, Weltkino)

Dabei ist es nicht unwesentlich für das Verständnis des Textes, dass der Vorfall kein Mord mit Vorsatz ist. Ozon findet die richtigen filmischen Mittel, um diesen Moment, an dem sich alles zu ändern beginnt, richtig festzuhalten: die gleißende Sonne, die brennende Hitze, die Erregung der Situation, ist es eine Waffe oder doch nur ein Flachmann. Meursault drückt ab, schießt auf den hilflosen Mann, aber es ist, als würde sich der tödliche Schuss wie von selbst lösen, eine Verdichtung des Moments, auf den die erste Hälfte der Erzählung hingearbeitet hat. Dass der junge Mann dann noch dreimal abdrückt, in einer bizarr anmutenden Geste der Hilflosigkeit, teilt die Handlung endgültig in zwei Hälften. Es ist eines, wie zu Beginn regungslos durchs Leben zu gehen, als passiver Beobachter, der keine Emotion aufbauen kann zur Außenwelt, sei es die Beerdigung der Mutter, der er wie ein Fremder in einem fremden Land beiwohnt, sei es die Beziehung zu Marie, die er danach beim Baden am Strand kennenlernt, oder die Bekanntschaft mit dem benachbarten Zuhälter Sintès, dessen schwelender Streit mit einer Gruppe junger Araber den entscheidenden Moment überhaupt erst heraufbeschwört. Wenn die eigene Indifferenz nicht das Schicksal anderer Menschen berührt. Es ist etwas anderes, wenn sie in den Lebensverlauf anderer eingreift und gesellschaftliche Konsequenzen hat, die Camus und nun auch dieser Film zwingend durchspielt: Jetzt geht es nicht mehr um den inneren Monolog, sondern um die Außenwirkung und die grausame Logik, dass Meursault auch seine mögliche Hinrichtung in Kauf nimmt in einer gottlosen Welt ohne Sinn und Verstand, als würde man dem kompletten Schaffen von Bergman den roten Teppich ausrollen. 

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„Der Fremde“ von François Ozon (Credit: Gaumont, Weltkino)

Nachdem er ihn für „Sommer 85“ entdeckt hatte, hat Ozon den nicht einmal 30-jährigen Benjamin Voisin, so großartig in „Verlorene Illusionen“ von Xavier Giannoli, nun auch als Meursault besetzt, eine Rolle, für die er manchmal überfordert wirkt und die vermeintlich nötige Gravitas vermissen lässt. Und genau deshalb goldrichtig ist, dieses neugierig in den eigenen Abgrund blickende Gesicht eines jungen Mannes, dessen Schönheit nur Oberfläche ist und mit der tiefgehenden Schönheit der Arbeit von Weltklasse-Kameramann Manuel Dacosse („Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“) in offenkundigem Widerspruch steht. Passt doch für eine Figur, deren Name Camus als Verballhornung von „Meurs, sot!“ („Stirb, Trottel!“) erfunden haben soll. Wie überhaupt Ozon seinen Film wieder mit schönen Menschen bevölkert, mit Rebecca Marder, die schon in „Mein perfektes Verbrechen“ für ihn gespielt hat, und mit Pierre Lottin, den man gerade erst in „Wenn der Herbst naht“ sehen konnte, beispielsweise. Das entspricht dem Ansinnen, einen Film zu machen, wie man ihn damals gemacht hätte, großes Kino mit allen Oberflächenreizen, das sein gefälliges Äußeres schließlich nicht einfach nur durchdringt, sondern förmlich in Fetzen reißt. Oder wie es The Cure 1978 auf ihrer ersten Single sagten, ebenfalls inspiriert von Camus’ Roman: „I’m alive / I’m dead / I’m the stranger / Killing an Arab.

Thomas Schultze