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REVIEW KINO: „Blood & Sinners“


Spektakulärer Vampirfilm über ein Zwillingspaar in den 1930er-Jahren, das nach mehreren Jahren in Chicago in die Heimat im Mississippi-Delta zurückkehrt und einen Juke-Joint eröffnen will, wo es in einer Nacht zu einer blutigen Auseinandersetzung auf Leben und Untod kommt.

CREDITS:
O-Titel: Sinners; Land / Jahr: USA 2025; Laufzeit: 137 Minuten; Regie, Drehbuch: Ryan Coogler; Besetzung: Michael B. Jordan, Hailee Steinfeld, Miles Caton, Jack O’Connell, Wunmi Mosaku, Jayme Lawson, Omar Benson Miller, Delroy Lindo; Verleih: Warner Bros. Discovery; Start: 17. April 2025

REVIEW:
In seinem 1963 erschienenen Standardwerk „Blues People“ argumentiert LeRoi Jones, dass der „Negro“ erst in dem Moment ein Amerikaner werden konnte, in dem die Schwarze Gemeinschaft so viel Erfahrung auf dem amerikanischen Kontinent gesammelt hatte, ihm in seinen Geschichten einen eigenen Ausdruck zu geben, den BLUES, die erste amerikanische Kunstform, die von Schwarzen in den USA erschaffen wurde. In diesem Sinne ist Ryan Cooglers fünfte Regiearbeit, sein erster Film seit dem unter schwierigen Bedingungen entstandenen und nur bedingt gelungenen „Black Panther: Wakanda Forever“ und seine fünfte Arbeit mit seinem Alter ego vor der Kamera, Michael B. Jordan, ein Film über Amerika, über die Schwarze Erfahrung in Amerika, ein wagemutiger Vampirfilm, durch dessen Adern der Blues fließt, Cooglers purste Arbeit bislang, ein Statement, in dem sich seine Anliegen als Künstler ganz unmittelbar formulieren. Und, Teufel noch eins, es ist ein verdammt wilder Ritt, ein Höllenritt in 12 Takten, ein Film, der die Leinwand bisweilen buchstäblich in Flammen setzt, Bad Moon Rising. Und dazu sieht man vor sich, wie Robert Johnson im „Me and the Devil Blues“ singt: „And I said, Hello Satan, I believe it’s time to go“. 

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Ryan Cooglers „Blood & Sinners“ mit Michael B. Jordan (Credit: Warner Bros. Discovery)

The white man had the schmaltz / The black man had the blues: Eine durch und durch körperliche, geradezu fleischliche Erfahrung ist „Blood & Sinners“, der die Essenz des Blues, das Schwermütige, das Sinnliche, das Sexuelle, in seine filmische DNS überträgt. Er atmet Musik, pur, wie die besten Filme von Walter Hill Musik pur waren, insbesondere sein „Crossroads“ aus dem Jahr 1987. In seinen profundesten Momenten wirkt er wie ein Gegenentwurf zu „Elvis“ von Baz Luhrmann, mit mindestens ebenso viel Rhythmus im Blut und ebenfalls einem Gottesdienst zu Beginn seiner Geschichte, aber hier eine Schwarze Erfahrung durch und durch. „Den Weißen gefällt der Blues auch ganz gut“, sagt Delroy Lindo als alter Bluesmusiker Delta Slim in einer Szene, „aber die, die ihn spielen, mögen sie nicht so sehr.“ Von der Heimkehr eines Zwillingspaars im Oktober 1932 wird erzählt: die Smokestack-Brüder, wie die beiden genannt werden, Smoke und Stack, ein Verweis auf Howlin‘ Wolfs „Smokestack Lightning“, erstmals aufgenommen 1956, aber in einer rudimentären Form gespielt schon eben in den Dreißigerjahren zusammen mit Charley Patton. Sie haben Seite an Seite im Ersten Weltkrieg gekämpft und waren sieben Jahre in Chicago, um ihr Glück zu suchen, sind aber auf denselben Rassismus gestoßen wie daheim im Mississippi-Delta („Chicago ist wie Mississippi mit Hochhäusern“, sagt einer der Brüder) und haben sich dort schließlich einen Namen gemacht als harte Jungs in der Gang von Al Capone. Nun sind sie zurück in Clarksdale, dem Geburtsort des Blues, um in einer Scheune, die sie einem schwitzenden Ku-Klux-Klan-Mann abkaufen, ihren eigenen Juke-Joint aufzumachen, den Club Juke, für den sie Mitstreiter rekrutieren und die Gemeinde zu einem rauschenden Eröffnungsabend einladen. 

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Ryan Cooglers „Blood & Sinners“ mit Michael B. Jordan (Credit: Warner Bros.)

Über einen Tag (und vor allem eine Nacht) erstreckt sich die Handlung. Wir sehen, wie die Moore-Brüder alte Bekanntschaften erneuern und ihre Vergangenheit konfrontieren: Smoke hatte mit der Medizinfrau Annie eine Tochter, die nach der Geburt gestorben ist. Bis jetzt konnte er den Verlust nicht verwinden, gibt Annie die Schuld, all ihre Medizin habe nicht helfen können. Stack trifft auf seine alte Flamme Marie, die als Weiße durchgehen könnte und ein Leben in Wohlstand führt: Sie glaubt, von ihm damals sitzengelassen worden zu sein, weiß aber nicht, dass Stack aus Liebe zu ihr gehandelt hat, weil er ein besseres und sichereres Leben für sie wollte, als er ihr hätte geben können. Der Cousin der Brüder, Sammy, genannt Preacherboy, soll am Abend auf seiner Gitarre aufspielen, der trunkene Delta Slim soll ihn unterstützen, die hübsche Pearline könnte vielleicht ihre Stimme beisteuern, der wuchtige Cornbread wird als Türsteher dazugeholt, und das asiatische Paar Bo und Grace ist für die leiblichen Genüsse zuständig. Die Brüder haben aus Chicago 500 Flaschen irisches Bier und italienischen Rotwein mitgebracht. Einem rauschenden Fest stünde nichts entgegen, wenn nicht drei Vampire auf den Plan gerufen würden. Der Legende nach heißt es, dass es in fast allen Kulturen der Erde eine Figur gibt, die mit ihrer Musik das Irdische und das Jenseits aneinanderrücken lassen könnten: Preacherboy mit seinem jenseitigen Gitarrenspiel könnte besagtes Bindeglied sein.

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Ryan Cooglers „Blood & Sinners“ mit Michael B. Jordan (Credit: Warner Bros. Discovery)

Das unterstreicht Ryan Coogler in einer atemberaubend orgiastischen Plansequenz, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus den stampfenden Blueskadenzen Preacherboys entspringen lässt, an der Seite des Bluesmusikers afrikanische Stammesmitglieder, einen bizarr gekleideten Elektrogitarristen wie aus George Clintons Mothership und einen DJ mit seinen wheels of steel auftauchen lässt, eine Genealogie afroamerikanischer Kultur in einer zweiminütigen Choreographie, die man gesehen haben muss, um sie zu glauben. Um sie herum wird getanzt, als gäbe es kein Morgen. Dualität ist tief verwoben in die Textur von „Blood & Sinners“: die gegensätzlichen Zwillinge, das Triebhafte und das Sündige der Musik, das Gute und das Böse, Tag und Nacht, das Spirituelle und das Weltliche, das Kontemplative und die Action. In diesem Spannungsfeld spielen sich die Kämpfe ab, die inneren wie die äußeren, die in einem Showdown münden, für den sich Ryan Coogler bei „From Dusk Till Dawn“ inspiriert sieht, der aber doch deutlich mehr hat von Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“, insbesondere der Knoblauchtest, mit dem festgestellt werden soll, ob sich unter der Gruppe der Überlebenden nicht doch ein bereits Infizierter befindet. 

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Ryan Cooglers „Blood & Sinners“ mit Michael B. Jordan (Credit: Warner Bros. Discovery)

Wenn man schreibt, dann bricht die Hölle los, so ist das durchaus wörtlich zu nehmen. Mit seiner Kamerafrau Autumn Durald Arkapaw, mit der der Regisseur bereits „Wakanda Forever“ gemacht hatte und die zuletzt für den erdigen Look von „The Last Showgirl“ verantwortlich war, findet Coogler ausgesuchte Kompositionen, auf 65-mm-Film festgehalten, die dem Film diese ganz besondere Haptik geben, nach der die Erzählung verlangt, voller sinnlicher Anspielungen und sexueller Anzüglichkeiten: Bilder, die man saufen will, in denen man wühlen will. Eine optimale Spielwiese für das Ensemble, aus dem stets Michael B. Jordan herausragt in seiner Doppelrolle, die er erstrahlen lässt, wie es nur Superstars können. Seinen Smoke und Stack merkt man die stets die Zwillingsbande an, aber auch die großen Unterschiede in ihrer Persönlichkeit, die sie schließlich auch aufeinanderprallen lassen. Das Ensemble steht ihnen in nichts nach, besonders Miles Caton als Robert-Johnson-Alter-Ego Preacherman, der große Delroy Lindo als versoffener Bluesman, Hailee Steinfeld als einstige Liebschaft und die bisher eher in Serien aufgefallene Wunmi Musaku als zu allem entschlossene Frau der Tat. Ein großer Vampirfilm ist entstanden, in einer Ahnenreihe neben „Near Dark“ oder „Let Me In“, ein starker Beitrag zum Black Cinema, dem es gelingt, dem Blues eine durch und durch heutige Note zu geben, ein großer, origineller amerikanischer Film, mit dem sich Ryan Coogler als eine der wichtigsten Stimmen des modernen Kinos etabliert. Und ein entfesselt unterhaltsamer Spaß, der einen in der ersten Stunde packt und danach rüttelt und schüttelt, wie es nur großes Kino kann. 

Thomas Schultze