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REVIEW KINO: „Blindgänger“


Bewegender Ensemblefilm über eine Gruppe von Menschen, die unmittelbar vom Fund einer nicht explodierten Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg im Hamburger Schanzenviertel betroffen sind. 

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 85 Minuten; Regie, Drehbuch: Kerstin Polte; Besetzung: Anne Ratte Polle, Haley Louise Jones, Claudia Michelsen, Barbara Nüsse, Bernhard Schütz, Ivar Wafaei, Karl Markovics, Daniel Strasser, Thelma Buabeng, Anne Schäfer; Verleih: Missing Films; Start: 29. Mai

REVIEW:
Wenn im Hamburger Schanzenviertel Brücken gebaut werden, dann sind sie primär zwischenmenschlicher Natur. Was der erklärten Zielsetzung von Kerstin Polte in ihrem ersten Kinofilm seit „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“ entspricht, die in dem Szeneviertel im Herzen der Hansestadt mit seiner blühenden Kultur- und Gastroszene einen gelebten Gegenentwurf findet zu der zersetzenden Politik der Entzweiung, wie sie in den sozialen Medien gelebte Realität geworden ist. Leben und leben lassen sind einfach nur andere Worte für Diversität und Solidarität, die hier auf engstem Raum stattfinden und im Zentrum von „Blindgänger“ stehen: Im Stil der episodischen Filme eines Robert Altman, insbesondere „Short Cuts“, entfaltet sich der Film, wenngleich bescheidener in erzählerischem Ansatz und Umsetzung, räumlich und zeitlich klarer eingegrenzt bildet der Film in episodischer Form einen Querschnitt der Gesellschaft ab, Menschen, die miteinander, nebeneinander und aneinander vorbei leben: Der Druck kommt hier indes nicht von innen, sondern in Form einer nicht explodierten Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg, die mitten auf der Schanze gefunden wird und kaum deutlicher unterstreichen könnte, dass wir am Ende des Tages doch alle gleich sind. Wenn sie hochgeht, gehen alle drauf, die sich in ihrem Umfeld aufhalten, egal woher und wohin er/sie gehen, wie groß oder klein der Kreditrahmen auch immer sein mag.

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Kerstin Poltes „Blindgänger“ (Credit: missingfilms)

Skeeter Davis’ Popkonfekt „The End of the World“ in einer flirrenden Version der Schweizer Sängerin Evelinn Trouble eröffnet den Film, dargeboten wie für eine Arbeit von David Lynch, während im Vorspann Archivaufnahmen der Fliegerangriffe auf Hamburg zu sehen sind. Ein Liebeslied über die verheerenden Auswirkungen von Herzschmerz prallt auf reale Zerstörung, das Private trifft auf das Politische, die Bombe von gestern schlägt den Bogen von der Vergangenheit ins Jetzt. Alles ist miteinander verbunden, wir können uns nicht herausdividieren, scheint Kerstin Polte zu sagen und stellt in schneller Abfolge die Figuren vor, die im Film eine Rolle spielen und deren Wege sich bisweilen offensichtlich und direkt, bisweilen ganz subtil und nur am Rand überkreuzen werden in diesem Slice-of-life-Movie. „Blindgänger“ findet Überschneidungen und Gemeinsamkeiten, die weder die Figuren, noch das Publikum erwarten würde, und hilft bisweilen auch ein bisschen nach, sie zueinander finden zu lassen in diesem Potpourri all dessen, was der Himmel erlaubt, im Mittelpunkt die beiden Bombenentschärfer, gespielt von Anne Ratte Polle und Bernhard Schütz, die für Ruhe in angeheizter Stimmung sorgen sollen, aber selbst inneren Aufruhr erleben, als wäre in ihnen ein Sprengsatz hochgegangen.   

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Kerstin Poltes „Blindgänger“ (Credit: missingFILMs)

Zum spektakulären Ensemble gehören auch noch Haley Louise Jones, Claudia Michelsen, Barbara Nüsse, Ivar Wafaei, Karl Markovics, Daniel Strasser, Thelma Buabeng und Anne Schäfer, die für sich schon für gelebte Vielfalt stehen und einen weiteren wichtigen Punkt dieses kosmischen Reigens zwischen Erde und Ewigkeit unterstreichen: Was Kerstin Polte hier erzählt, in tollen, stimmungsvollen Bildern (Kamera: Katharina Bühler) und pures Leben spiegelnden Sets (Szenenbild: Daniela Herzberg), ein Plädoyer für das Zusammen und Miteinander, erstreckt sich von vor auch offenkundig hinter die Kamera – ein Film, dem es wichtig ist, was er erzählt, in der Entstehung selbst vorzuleben. Man spürt das Herzblut, es erfüllt jeden Frame, jede Szene. Ein bisschen, aber da kann „Blindgänger“ selbst gar nichts dafür, fühlt man sich erinnert an „KRANK Berlin“, vielleicht wegen der Überschneidungen im Cast (Jones, Schütz), aber auch so ganz intrinsisch, als sei der Film eine Vorskizze zu der Serie, ebenfalls das Wimmelbild einer deutschen Metropole. Beides wunderbar und gut. 

Thomas Schultze