Absurde Komödie über einen zu großen Zorn neigenden Mann, der von der Schwangerschaft seiner Freundin an den Rand des Nervenzusammenbruchs getrieben wird.
FAST FACTS:
• Zweite Regiearbeit von Janek Rieke nach „Härtetest“ aus dem Jahr 1998
• Rieke spielt die Hauptrolle, schrieb das Drehbuch, inszenierte und ist einer der Produzenten
• Starke Besetzung mit Julia Hartmann und Gastauftritten von Max Giermann, Nilam Farooq und Hans Löw
• Produktion der Element E Filmproduktion von Lars Büchel und Bernd T. Hoefflin zusammen mit Aggro Krabben Hamburg
• Entstanden komplett ohne Fördermittel
• Weltpremiere beim Filmfest Hamburg 2023, da noch unter dem Titel „Beule“
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2023; Laufzeit: 79 Minuten; Regie & Drehbuch: Janek Rieke; Besetzung: Janek Rieke, Julia Hartmann, Freya Trampert, Max Giermann, Nilam Farooq, Hans Löw; Verleih: Filmwelt; Start: 11. September 2025
REVIEW:
„Härtetest“ hieß 1998 die erste Regiearbeit von Janek Rieke, die den Auftakt machte zu einer bemerkenswerten Schauspielkarriere, die mittlerweile mehr als 80 Auftritte umfasst, auch fürs Kino, aber primär fürs Fernsehen. Der Titel des Erstlings steht exemplarisch für Riekes zweite Regiearbeit, die insgesamt 17 Jahre in der Mache war und jetzt endlich, zwei Jahre nach ihrer Weltpremiere auf dem Filmfest Hamburg, damals noch unter dem knapperen Titel „Beule“, im Verleih von Filmwelt in die deutschen Kinos kommt. Man ahnt: ein besonderes und sehr persönliches Projekt, das mit viel Herzblut, Entbehrungen und Einsatz über die Selbstausbeutung hinaus entstanden ist, produziert von Lars Büchels und Bernd T. Hoefflinsunerschrockener Produktionsfirma Element E Filmproduktion und auf die Beine gestellt, nach Absagen aller Förderinstanzen, in einem wilden Ritt komplett mit privaten Finanzquellen.

Der neue Verleihtitel mit dem Zusatz „Zerlegt die Welt“ legt einen Film von Terence Hill und Bud Spencer nahe oder einen anderen beliebigen Krachwumm-Titel, wie sie in den Siebzigerjahren Seite an Seite mehr oder weniger softer Erotik in den Bahnhofskinos der Nation zu entdecken waren, wenn man sich denn traute. Aber das ist irreführend. Der Film von Janek Rieke ist keine Exploitation, kein Genre, kein B-Movie. Was ihn mit dem Trash von einst eint: Er ist wild. Obendrein ist er lustig, er ist erfindungsreich. Und er meint es ernst, eine im Gewand einer absurden Beziehungskomödie versteckte Psychotherapie über einen Mann, der zu zornig ist, eine zu kurze Zündschnur hat, unter Druck zu schnell ausrastet, als es für ihn und seine Umwelt gut sein könnte. In dieser Hinsicht erinnert „Beule – Zerlegt die Welt“ an Paul Thomas Andersons „Punch-Drunk Love“, ein Film wie ein offener Nerv mit einem von Adam Sandler gespielten Helden am permanenten Rand des Nervenzusammenbruchs.

Auch für den von Janek Rieke weniger gespielten als vielmehr von ihm bewohnten Olli Schröder gilt das: Den Spitznamen „Beule“ trägt er aus gutem Grund. Auch wenn er seit Kindestagen wissen müsste, dass er bei Keilereien immer den Kürzeren zieht, geht er keiner Schlägerei aus dem Weg. Blutige Nasen und blaue Augen pflastern seinen Weg. Immer die eigenen, wohlgemerkt. Und wenn mal wieder alles zuviel wird, wie so oft bei seiner volatilen Beziehung mit seiner großen Liebe Anja, gespielt von der beherzten Julia Hartmann, mit der in einer Bootswerkstatt direkt am Wasser lebt, dann zieht er los und zertrümmert im Schutz der Dunkelheit mit seiner Axt einsame Zigarettenautomaten. Der Mann muss an sich arbeiten. Und der Film gibt ihm ausreichend Gelegenheit dazu, weil sich Anja nach fünf Jahren gemeinsamen Jahren nicht länger hinhalten lassen will: Ihre biologische Uhr tickt, sie will endlich ein Kind, ob es dem zögerlichen Olli gefällt oder nicht. Während der Schwangerschaft müssen einige Zigarettenautomaten daran glauben, und weil nicht einmal das reicht zur Frustbewältigung lässt sich der angry middle aged man zu einer dummen Affäre mit der Tochter der Tankstellenwärterin – cooler Gastauftritt von Nilam Farooq – hinreißen, was ordentlich zusätzlichen Druck auf den Schnellkochtopf der Liebe zwischen Olli und Anja packt, als sich die beiden Frauen justament in dem Moment erstmals gegenüberstehen, als bei Anja die Wehen einsetzen.

Es ist viel los in „Beule – Zerlegt die Welt“, manchmal mehr, als es ein einzelner Film verträgt, aber doch irgendwie genau richtig in diesem sympathischen Tohuwabohu, dessen Handlung noch viel größere Kreise zieht als in dieser Handlungsbeschreibung angerissen. Es gibt noch einen von Max Giermann gespielten Bruder, der Anja in den Monaten, in denen sich Olli auf See befindet, um ein bisschen Geld zu verdienen, näher kommt, als es der Bruder ihres Lebensgefährten sollte, drei chaotische beste Freunde, gespielt von Gerdy Zint, David Bredin und Daniel Michel, die keine besondere Funktion haben, außer dass man sich freut, wenn sie erratisch in der Story auftauchen, eine von Freya Trampe gespielte Partnerschaftstherapeutin, mit der es auf ihrem Gebiet keiner aufnehmen kann, und ein versnobbter Ex, gespielt von Hans Löw, der auch noch auftaucht, obwohl ihn keiner brauchen kann. Nicht immer fügt sich hier alles sauber ineinander, der eine oder andere Anschlussfehler gibt Rätsel auf, die tonalen Schwankungen sorgen für Vertigo, und manchmal fühlt es sich in der Tat so an, als sei der Film wie ein Goldfisch: Alle fünf Minuten scheint er förmlich zu vergessen, was er gerade davor erzählt hat, immer wieder auf wundersame Weise neu zu erfinden.

Eine echte Wundertüte also. Was genau den besonderen Charme ausmacht, den Film selbst so wechselhaft und unberechenbar zu machen wie seine Hauptfigur, die mit der einen oder anderen Aktion weit übers Ziel hinausschießt, ein Typ, der einfach nicht für Mäßigung gemacht wurde. Und ihn gerade wegen seiner Makel, seiner Imperfektionen so sympathisch und menschlich sein lässt, weil das Herz doch immer am rechten Fleck schlägt in dieser Zähmung des Widerspenstigen, in stimmungsvollen Kinobildern festgehalten von Bildgestalter Waldemar Obermann, der auch als Editor aktiv war und der Story ein Tempo verleiht, dass es bei einer Laufzeit von 79 Minuten keinen Durchhänger geben kann. Der Film schlägt wild um sich, teilt aus, schwingt die Axt. Und weiß doch um die Wunderkraft der Vergebung. Das hat etwas magisch Versöhnliches, weil Beule vielleicht selbst bisweilen den Glauben an sich verliert, der Film aber eisern an seiner Seite steht, der beste Freund, den man sich nur wünschen kann.
Thomas Schultze