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REVIEW IFFR: „Perla“

Eindringliches Porträt einer Künstlerin aus der Tschechoslowakei im Wien der frühen Achtziger, die die Dämonen der Vergangenheit nicht abschütteln kann.

CREDITS:
Land/Jahr: Österreich 2025; Laufzeit: 108 Minuten; Regie/Drehbuch: Alexandra Makarová; Besetzung: Rebeka Poláková, Simon Schwarz, Carmen Diego, Noël Czuczor, Hilde Dalik; Produktion: Golden Girls Film (Arash T. Riahi, Sabine Gruber), Hailstone (Tomáš Krupa); Kostümbild: Monika Buttinger; Szenenbild: Klaudia Kiczak; Kamera: Georg Weiss; Festival: 54. IFFR, Tiger Competition

REVIEW:
Wien, 1981. Die gebürtige Slowakin Perla lebt als alleinerziehende Mutter mit ihrer zehnjährigen Tochter Julia in Österreichs Hauptstadt. Das Verhältnis zwischen den beiden ist innig, liebevoll. Julia ist musikalisch hochbegabt, hat ein großes Talent am Klavier, ihr Vorbild ist Horowitz („Was, du willst so sein wie ein 80-jähriger alter Russe?“, wird sie von ihrer Mutter geneckt). Doch den Klavierunterricht kann sich Perla nicht immer leisten. Als freischaffende Künstlerin muss sie gucken, wie und wo sie ihre Gemälde verkaufen kann. Perla malt, wie sie ist: Expressionistisch, trägt dick Farbe auf („Subtil ist was für Weicheier“), malen als haptische Erfahrung, mit Leib und Seele und viel Lebensfreude. Oft sind es Frauengemälde, die sie malt. Perla steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden, hat einen coolen Look mit ihren platinblond gefärbten Haaren, die den dunklen Ansatz zeigen, meist gehüllt in einen cremefarbenen Wollmantel oder Lederblousons, Strickpullis, oft mit Rollkragen, Jeans mit Aufschlag oder hochgeschnittene Stoffhosen. Herren-Halbschuhe an den Füßen. 

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„Perla“ von Alexandra Makarová (Credit: Golden Girls Film)

Als sie auf der Party einer ihrer Mäzeninnen Josef kennenlernt, ist es um sie geschehen. Die beiden verlieben sich Hals über Kopf, Josef trennt sich von seiner Frau. Perla und Julia ziehen bei ihm ein. Joseph ist ganz hinreißend zu Julia, die ihn schnell als Papa akzeptiert. Die kleine Bohemien-Familie (Joseph ist Tibetologe) schwebt im Glück. Ein bisschen was erzählt Perla Josef über ihre Kindheit in der Tschechoslowakei, die sie 1968 verlassen hat. Doch was genau hinter ihrer Flucht steckt, darüber schweigt sie lieber. Bis ein Anruf sie zurück in die Vergangenheit und zurück hinter den Eisernen Vorhang in ihre alte Heimat zieht und das sonnige Familienglück zu bröckeln beginnt.

Mit „Perla“ legt die slowakisch-österreichische Filmemacherin Alexandra Makarová ihren zweiten Spielfilm vor. Mit dem Drehbuch gewann sie 2020 den „If You Can See It, You Can Be It“-Wettbewerb des Drehbuchforum Wien in Kooperation mit ÖFI, BMKÖS und FC Gloria. Ein Wettbewerb, der initiiert wurde, um Frauenfiguren jenseits der Klischees zu fördern. Das ist Makarová mit „Perla“ ausgezeichnet gelungen. Der inflationär verwendete Ausdruck „starke Frauenfigur“ wäre aber zu kurz gegriffen bei ihrer Perla. Denn Perla, wunderbar gespielt von Rebeka Poláková, ist eine vielschichte Frau, eine Verdrängungskünstlerin, die sich nicht unterkriegen lässt, die nicht kleinbeigibt, obwohl sie viel Leid erfahren hat bei ihrer Flucht nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, beugt sich nicht vor den patriarchalen Strukturen ihrer kommunistischen Heimat, nimmt sich durchaus, was sie will, auch wenn sie damit ihrer Tochter großes Leid zufügt, auch wenn sie damit Josef aus ihrem Leben drängt, auch wenn es in dem Moment vielleicht eine dumme Entscheidung war. Perla ist eben genauso wenig Weichei wie ihre Kunst. Doch der Preis, den sie dafür zahlt, ist hoch.

Großes Lob gebührt Kameramann Georg Weiss, der die Wiener Szenen am Anfang des Films mit einem goldenen, schimmernden Glanz strahlen lässt, die Familie glücklich zeigt in ihrer großen Altbauwohnung, die den Künstlerhaushalt an allen Ecken und Enden erkennen lässt, und später, hinter dem Eisernen Vorhang, reduzierter wird, weniger Glanz, weniger Strahlen. Aber immer bleibt im engen 4:3-Format, das vielleicht sinnbildlich dafür steht, dass sich Perla von der Vergangenheit doch irgendwie gefangen fühlt. Ebenso großes Lob gebühren Szenenbild (Klaudia Kiczak) und vor allem Kostümbild (Monika Buttinger), die in den meisten Szenen irgendwo etwas Rotes eingebaut haben, sei es der Fahrstuhl, sei es ein Auto, eine Mütze, ein Korkenzieher, Stiefel. Rot ist wie der Leitfaden von Wien in die tschechoslowakische Heimat und wieder zurück. Dass Makarová mit „Perla“ einen Film gemacht hat, der auch persönliche Aspekte aufweist, lässt sich nicht von der Hand weisen: Ihre Familie stammt selbst aus der Slowakei, ihre Mutter war ebenfalls Malerin, überhaupt wurde Makarová in einen Künstlerhaushalt hineingeboren. Und mit Simon Schwarz in der Rolle des Josef hat sie auch gleich noch ihren Ehemann besetzt. 

Ihr Film stellt Fragen nach dem Heimatgefühl, wo man hingehört, und inwiefern man vielleicht als Kind auch für die vermeintlichen Fehler seiner Eltern oder einer ganzen Gesellschaft bezahlt, die sich eben nicht aufgelehnt hat gegen ein System. Aber vielmehr ist „Perla“ auch eine Mutter-Tochter-Geschichte, die berührt, bei innigen Momenten wie dem Haarewaschen in der Badewanne, wo Julia mit ihrer wunderbaren Stimme zu singen anfängt (eine absolute Entdeckung ist die Jungdarstellerin Carmen Diego – ganz toll die Szene, in der sie zu einer Platte von Sinn Sisamouth tanzt), wenn Perla ihre klavierspielende Tochter hochherrschaftlich anspricht, als würde sie Horowitz zum Abendmahl beten, oder wenn sie gemeinsam, eng umschlungen im Bett liegen. Die aber auch herzzerreißend ist, wenn Perla eine fatale Entscheidung trifft. Es tut gut, dass sich Makarová mit „Perla“ gegen die klassische Mutterrolle, gegen ein von der Gesellschaft vielleicht erwartetes Verhalten stellt. Denn das wäre ja für Weicheier. Gewidmet ihrer Großmutter. Sie wird wissen, warum.

Barbara Schuster