Wilder Ritt durch die mythische Legendenwelt Limburgs über ein kurioses Duo auf der Suche nach dem heroinsüchtigen Bruder des einen.
FAST FACTS:
• Eröffnungsfilm des 54. IFFR
• Zweiter Film von Michiel ten Horn auf dem IFFR
•Gut die Hälfte der Dreharbeiten fand in NRW statt (mit Förderung der Film- und Medienstiftung NRW)
•Deutscher Koproduzent ist 2Pilots
• Mit David Kross und Georg Friedrich in Rollen, wie man sie vielleicht noch nie gesehen hat
CREDITS:
Niederlande/Deutschland/Belgien 2025; Regie/Drehbuch: Michiel ten Horn; Cast: Fedja van Huêt, Sezgin Güleç, Michiel Kerbosch, Anniek Pheifer, Livia Lamers, Georg Friedrich, David Kross; Produzenten: Sander Verdonk, Thomas den Drijver, Mariano Vanhoof, Jörg Siepmann, Harry Flöter; Festival: IFFR, Weltpremiere
REVIEW:
Man kann getrost sagen, dass Michiel ten Horn zu den angesagtesten Stimmen der niederländischen Filmszene gehört. Und das nicht erst seit gestern. Mit seinem gefeierten Debüt „The Deflowering of Eva van End“ (damit schaffte er es auf die „Ten European Directors to Watch“-List von Variety), das nun auch schon über zehn Jahre zurückliegt, ging es direkt steil bergauf mit dem visionären, vor Ideen sprudelnden Filmemacher, der an der Universität der Künste in Utrecht Animation studierte. Ten Horns besondere Handschrift hat auch Netflix bereits erkannt und den Filmemacher mit „Ares“ das erste niederländische Original inszenieren lassen. Sein neuer Kinofilm, der das 54. International Film Festival Rotterdam als Weltpremiere eröffnete, ist eine Ode an Limburg. Ten Horn stammt gebürtig aus dem südlichsten Teil der Niederlande, das nach wie vor ein regionales Sonderbewusstsein hat innerhalb des Landes, und das, nicht allein wegen des besonderen Dialekts, der dort gesprochen wird. Die Region besticht durch seine vielen Naturreservate, Sumpfgebiete und Hochmoore. Hier wurde Torf abgebaut, in der Erde gebuddelt.
Das tut auch „Fabula“, ein wilder Ritt durch die mythische Legendenwelt Limburgs, der Geschichten beziehungsweise Märchen in der eigentlichen Geschichte erzählt. Und die ist mit viel schwarzem Humor angereichert: Als Zuschauer begleitet man Kleinganove Jos, dessen Schwiegersohn in spe (die beiden geben ein grandioses Duo ab: Fedja van Huêt & Sezgin Güleç) und den buckligen, an Alzheimer erkrankten Vater (der nicht viel mehr als „Ding Dong“ sagt und stets einen Spaten dabei hat, weil er immer noch auf der Suche nach dem Goldenen Helm ist, den einst sein Vater im Limburger Lehm gefunden hat) bei der irrwitzigen Suche nach Jos’ heroinabhängigem Bruder Hendrik (Paraderolle für Georg Friedrich) und einem Batzen Geld, nachdem sie einen „großen Coup“ für eine deutsch-türkische Verbrecherbande vermasselt haben. Man stolpert mit von Überraschung zu Überraschung, sieht dabei den Landstrich, der im Sumpf versinkt, matschig, nass, oft nur bei Nacht, und man im Märchenland Limburg eine schräge Gestalt nach der anderen kennenlernt (zum Beispiel David Kross als „The Grape“). Es ist ein Film über die Kraft des Geschichtenerzählens, mit viel Witz und auch Pfeffer und einer Prise magischem Realismus und der auch philosophische Fragen ans Leben stellt.
In Prolog, sechs Kapiteln und Epilog und einer Geschichtenerzählerin aus dem Off ist der Film selbst wie ein Märchen gegliedert, wobei sich ten Horn auch erlaubt, in der Geschichte buchstäblich zurückzufahren, von Kapitel sechs zu Kapitel vier. Fedja van Huêt (aus „Speak No Evil!“) als geborenem Loser Jos dabei zuzusehen, im coolen Achtzigerjahre-Outfit mit Lederjacke, bis zur Brust aufgeknöpftem Hemd, Goldkettchen, Nerd-Brille und Schnauzbart – was seinen Status als Ganove alter Schule, old school eben, unterstreicht -, wie er den Grund für sein von Unglück und Pech gezeichnetem Leben auf den Grund gehen will (ausgelöst durch einen Zeckenbiss), dabei aber eigentlich eine in der Vergangenheit auf sich geladene Schuld bewältigt, macht großen Spaß. Der wird vor allem angetrieben durch den in den Niederlanden beliebten Comedian Sezgin Güleç, der in „Fabula“ als Jos Buddy Özgür in seiner ersten großen Kinorolle zu sehen und sich mit Jos (und dessen buckligen Vater) auf die Reise durch Limburg begibt. Wie sie in Jos alten Schrottkarre, bei der ständig die rechte hintere Tür aufgeht, um Limburgs Felder fahren, auf matschigen Wegen steckenbleiben, in kuriosen Schützenvereinen landen, bei einer bis unter die Hutkrempe bewaffneten, alpenländische Volksmusik hörenden Rosa-Klepp-artigen Bossin namens Bulke vorbeischauen und bei jeder ihrer Stationen eine Geschichte erzählt bekommen – unter anderem die der Bockreiter (Bokkenrijders), eine sagenumwobene Limburger Bande, die im 18. Jahrhundert ihr Unwesen getrieben haben soll – hätten sich die Coen-Brüder oder Anders Thomas Jensen nicht besser ausdenken können. Am Ende ist klar: Die besten Geschichten stecken in Limburgs Mooren und Sümpfen. Ding Dong.
Barbara Schuster