Anarchische Großstadt-Satire und Liebeserklärung an die Hauptstadt, in der eine Handvoll Berliner in der Hitze des Hochsommers versuchen, ihr Leben oder sogar die Welt zu verändern, an ihre Grenzen und auf die großen Themen unserer Zeit stoßen.
FAST FACTS:
• Fortsetzung der kultisch verehrten Lifestyle-Satire über das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Berliner des Schweizer Filmemachers Oliver Rihs („Bis wir tot sind oder frei“, „Blackout“)
• Ursprünglich als Serie konzipiert, kommt das Projekt zunächst als Spielfilm in die Kinos, im Laufe des Jahres soll ein serielles Format folgen
• Zum fantastischen Ensemble um Jule Böwe, Milan Peschel und Marc Hosemann stoßen u.a. Jella Haase, Yasin El Harrouk und Frederick Lau
• Toller Soundtrack von Tobias Jundt aka Bonaparte, der für den Film über 50 Songs geschrieben und vertont hat
• Von Rosh Khodabakhsh und Jan Krüger für Port au Prince Pictures komplett unabhängig und nach aktuellen ökologischen Standards produziert
• Weltpremiere im Rahmen des Filmfests München als Abschlussfilm der Reihe Neues Deutsches Kino
CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland 2025; Laufzeit: 93 Minuten; Drehbuch: Oliver Rihs, Ana Cristina Tarpo, Daniel Young, Ziska Riemann, Melanie Möglich, Oliver Keidel; Regie: Oliver Rihs; Besetzung: Jella Haase, Yasin El Harrouk, Jule Böwe, Frederick Lau, Milan Peschel, Narges Rashidi, Marc Hosemann, Robert Lohr;Verleih: Port au Prince Pictures; Start: 17. Juli 2025
REVIEW:
Man kann Oliver Rihs’ Satire aus dem Jahr 2006 genauso wie die Stadt Berlin lieben oder hassen oder am besten beides, aber der anarchische Humor und Sprachwitz, Aussagen wie „Die Revolution meditiert nicht“ und Marc Hosemanns Versuch, sich die eigene Hand abzuhacken, haben dem Film (mit Recht) zu Kultstatus verholfen. „Schwarze Schafe“ ist die fies-lustige, bösartig-liebevolle Punk-Version einer Großstadtballade, die von Underdog-Vibes durchdringen ist und trotzdem den Anspruch erfüllt, ein breites Publikum bestens zu unterhalten. Das gilt für alle Regiearbeiten des gebürtigen Zürichers und Wahlberliners, der zuletzt im Kino in dem Ausbrecher-Krimi „Bis wir tot sind oder frei“ sogar die Zubereitung eines Bircher Müslis (ebenfalls mit Recht) zum Politikum machte. Für „Schwarze Schafe“ ließ er sich von Zeitungsmeldungen inspirieren, um in fünf unabhängigen, lose miteinander verflochtenen Episoden wahrhaftig und authentisch über Außenseiter und Weltverbesserer im armen, aber sexy Berlin zu erzählen. Realisiert wurde das „Sommer-Spaßprojekt“, wie Rihs es damals nannte, ganz ohne Fördermittel – aus finanziellen Gründen digital und in Schwarzweiß.
Fast zwei Jahrzehnte später kehrt der Filmemacher mit einem neuen Blick auf dieses „fruchtbare Gelände für sumpfige Typen“ auf den Neuköllner Kiez zurück. Jetzt in Farbe. Der Humor ist immer noch tiefschwarz. Die Temperaturen sind der Klimakatastrophe entsprechend gestiegen, einige Charaktere dem Alter und Zeitgeist gemäß inzwischen Eltern. Zum bekannten, star-besetzten Cast stößt unter anderem Jella Haase in der Rolle einer „verwahrlosten hysterischen Wohlstandstussi aus einer Faschofamilie“, quasi als I-Tüpfelchen führt Katharina Thalbachs Erzählerinnenstimme durch den Reigen und ersetzt mit lyrischen Versen in gewisser Weise die Schwarzweiß-Poesie des Vorgängerfilms. Das Erzähltempo wird von einem sehr tollen, abwechslungsreichen Elektro-Soundtrack angeheizt, die Handkamera jagt wie auf Speed durch Straßen und Hinterhöfe, die Sonne brennt, der Asphalt schmilzt, irgendwie auch das Hirn, der Lärmpegel ist ununterbrochen hoch wie das Energielevel der Darsteller und Figuren.
Der Kleindealer/Balkon-Imker Fritz (Frederick Lau) hat versehentlich ein Bienenvolk unter Drogen gesetzt und muss den aggressiven Schwarm beruhigen, um ein Paket Kokain aus dem Kasten zu befreien, das sein tschechischer Kollege Kafka (Marc Hosemann) einem Clan-Boss namens Omar (Yasin El Harrouk) schuldet. Der wiederum beschließt nach einem Erweckungserlebnis im Kinderzimmer, den illegalen Handel in Deutschland grün zu machen, dem Klimawandel auf die Fresse zu hauen und die Geschäfte ab sofort mit der Rikscha zu erledigen – „egal, ob du im Hummer oder Fahrrad fährst, deine Eier bleiben gleich groß“. Bei einer zufälligen Begegnung in einem Spielzeugladen stiehlt ihm Fritzs Schwester Delphine (Jella Haase) die Kreditkarte, weil es ihr nicht gelungen ist, ihre ziemlich hässlichen, selbst genähten genderneutralen Stoffpuppen an den Mann zu bringen. Sie stürzt sich umgehend in den Konsumrausch, begleitet von Charlotte (Jule Böwe), die zwanzig Jahre zuvor noch Touristenführerin auf einem Ausflugsschiff war, nun frustrierte Mutter eines streberhaften Elfjährigen ist – und weiterhin zusammen mit dem „Ossi-Alki“ Peter (Milan Peschel). Dessen brandneue Geschäftsidee: Er will mit einem Marktstand für regionale Sumpfkrabben Fuß fassen, muss sich aber erneut von dem kapitalistischen Münchner Schnösel Stefan (Robert Lohr) demütigen lassen, der als Veranstalter eines „Green Hub“ auf dem ehemaligen Tempelhofer Flughafen dem Ost-Berliner Loser erklärt: „Man braucht keine Ziele, sondern System, um erfolgreich zu sein. Ziele sind nur Träume, die nicht in Erfüllung gehen!“
„Der eigensinnige Spinner ist vielleicht in Gottes Antlitz der wahre Gewinner“, reimt Katharina Thalbach in Erinnerung an das Theodor-Fontane-Zitat „Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner“. Die ständige Selbstüberschätzung und das Dulden des eigenen Versagens macht die Charaktere sympathisch und liebenswert, alle tragen kleine Siege davon, die sie aber nicht ihrem Verstand, sondern dem Karma, Wunder oder Zufall verdanken, der auch dafür verantwortlich ist, dass sich die Episoden beziehungsweise Erzählstränge diesmal überschneiden und die Dinge schon nach kurzer Zeit slapstickhaft eskalieren. Der Einsatz einer Spielzeugpistole gibt den Startschuss, woraufhin die Beteiligten jede noch so dumme Idee gnadenlos bis zum Ende durchziehen. Während Omars Männer beim Shoppen in einem Unverpackt-Supermarkt von einem SEK-Kommando überfallen werden – pauschal kriminalisiert von einer amerikanischen Verkäuferin –, gipfelt der Konsumrausch von Delphine und Charlotte in einer Orgie perverser Tabubrüche, die hin und wieder eher erzwungen als spontan wirken, in der ein oder anderen Sequenz kollidiert der Zufall dann doch ein bisschen mit der Authentizität. Die Rebellion mag greller verpackt sein als 2006, der Mut zum Wahnsinn ist ungebrochen: „#SchwarzeSchafe“ folgt niemals dem System, sondern stets dem Ziel, aus Trash Poesie zu machen, feiert das Unperfekte und das Schräge, das Unfertige und vor allem das Scheitern. „This is where I hoped for something“ steht auf dem Aufkleber an einem Mülleimer. Vergiss es, antwortet der Film, wofür man ihn einfach lieben muss, obwohl oder gerade weil nicht immer alles supi ist.
Corinna Götz