Herausragende Filmbiographie der surrealistischen Künstlerin Leonora Carrington.
FAST FACTS:
• Außergewöhnliche Filmbiographie der außergewöhnlichen Künstlerin Leonora Carrington (1917 – 2011)
• Herausragende darstellerische Leistung von Olivia Vinall in der Titelrolle
• Dritte gemeinsame Filmarbeit des deutschen Filmemacherduos Thor Klein und Lena Vurma, Absolventen der dffb
• Internationale Koproduktion von Deutschland, Mexiko, Rumänien und UK
• Feierte seine Doppel-Weltpremiere auf dem 42. Filmfest München und dem 40. Guadalajara International Film Festival in Mexiko
CREDITS:
O-Titel: Leonora in the Morning Light; Land / Jahr: Deutschland, Mexiko, Rumänien, Vereinigtes Königreich 2025; Regie & Drehbuch: Thor Klein & Lena Vurma; Besetzung: Olivia Vinall, Alexander Scheer, István Téglás, Ryan Gage, Cassandra Ciangherotti; Verleih: Neue Visionen; Start: 17. Juli 2025
REVIEW:
„Ihre Bilder sind nicht gemalt, sie sind gebraut“, wird der exzentrische Brite Edward James zitiert, Freund und Förderer von Leonora Carrington, die im Auge der Öffentlichkeit als Künstlerin im Schatten berühmter Männer wahrgenommen wird, sich aber niemals vereinnahmen ließ, ihren eigenen Weg ging, auf Biegen und manchmal auch Brechen, und die endlich als die große, eigenwillige Surrealistin rezipiert wird, wie es dieser Frau gerecht wird, so modern und doch aus der Zeit gefallen, nicht einzuordnen und zu klassifizieren. „Ich warne Sie! Ich weigere mich, ein Gegenstand zu sein“, hat sie selbst gesagt. Ich denke, man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man das eingehende Zitat von Edward James auch auf den Film ummünzt, weniger gefilmt als gebraut, den die beiden deutschen Filmemacher:innen Thor Klein und Lena Vurma der Künstlerin geschenkt haben, dieser rätselhaften und verrätselnden „Sphinx, sie ist schön, intelligent und frei“ (noch einmal Edward James).
Es ist ein Biopic, gewiss, aber mehr noch eine alchemistische Anordnung, die wichtige Lebensphasen streift, aber nicht gewissenhaft abhakt mit der Geflissenheit des Chronisten, sondern sich frei durch die Zeit bewegt, um ein Gefühl zu bekommen, wer sie war, wie sie war, wie sie empfand. Wie sie eine oppressive Kindheit als wildes, fantasiebegabtes Mädchen unter der Knute ihres verständnislosen Vaters überstand, ein steinreicher Magnat, der die Tochter als Schande empfand und am liebsten weggesperrt hätte. Wie sie sich als 19-Jährige in eine stürmische Affäre mit dem 27 Jahre älteren Max Ernst stürzt, ein Zuhause findet zunächst bei den Surrealisten in Paris, dann mit ihrem Liebhaber in einem Bauernhof im Süden des Landes. Wie sie nach dessen Internierung in Frankreich im Jahr 1940 den Boden unter den Füßen verliert, ihre Schizophrenie von ihr Besitz ergreift und sie von ihrem Vater in Spanien in eine geschlossene Anstalt gesteckt wird, wo sie sich einer Elektroschocktherapie ausliefern muss. Und wie sie schließlich ihre Bestimmung findet in Mexiko als Frau, als Ehefrau, als Mutter und als Künstlerin.
„Leonora im Morgenlicht“ basiert auf dem Roman „Frau des Windes“ von Elena Poniatowska und ist aufgeteilt in Kapitel, „Tod“, „Das Pferd“ „Die Hyäne“, „Mexiko“, „Die Ausstellung“, „Die alchemistische Küche“, die weniger die Handlung ordnen, als dass sie Zustände beschreiben, wie es überhaupt der Film versucht, die Authentizität seiner Bilder, die genaue Abbildung von Zeit und Raum, lediglich als Grundlage zu verwenden, sie zu transzendieren, bisweilen regelrecht zu unterwandern. Es ist, als spielte sich der eigentliche Film zwischen den Bildern ab, wo nichts mehr greifbar ist, das Metaphysische in den Vordergrund rückt, was der Himmel erlaubt. Er will seine Geschichte nicht erzählen, er will sie begreifbar machen. „Ist es nicht gefährlich, wenn man die Grenze zwischen Abstraktion und Realität verwischt?“, fragt Leonora in einem kurzen Moment des Glücks Max Ernst, als sie gemeinsam in St. Martin de L’Ardèche an einer Skulptur arbeiten. Er könne sich das Leben überhaupt nicht anders vorstellen, kommt seine Antwort. Und „Leonora im Morgenlicht“ sieht das auch so, ist Seite an Seite mit seiner Heldin, die mit den Tieren zu kommunizieren können glaubt und auch dann den Boden nicht wirklich berührt, wenn sie mit Gewalt auf ihn zurückgezwungen werden soll, am brutalsten und unerträglichsten, als die Welt ihr mit Elektroschocks ihren Willen aufzwingen will.
Thor Klein und Lena Vurma gelingt ein ausgeklügeltes Spiel mit Wahrnehmungen, eine Fantasmagorie zwischen den Welten. Sie verfremden die Tonspur, setzen Musik sparsam und kontrapunktisch ein, drehen mit ähnlichen Objektiven, wie sie Jane Campion bei „Das Piano“ eingesetzt hatte, die nur das Zentrum scharfstellen, alles andere drumherum verschwimmen lassen. In der allerersten Szene zeigen sie eine unberührte Berglandschaft, durch die sich irgendwann ein rotes Auto den Weg bahnt, als wollten sie die Leinwand in zwei Hälften trennen. Einmal steht Leonora allein auf einem Plateau von Edward James‘ surrealistischen Skulpturengarten Las Pozas im mexikanischen Regenwald, umgeben von einer Natur, wie sie Werner Herzog nicht atavistischer würde festhalten können: Die Heldin des Films ist selbst wie dieser Garten, Fremdkörper und doch nicht wegzudenken aus dem Szenario. Himmel und Hölle, Realität und Fantasie, Wachsein und Traum, Leonora mittendrin, dazwischen, Halt suchend, wo sie ihn nicht finden kann. „Ich bin immer auf eigene Faust durchgebrannt“, wird sie zitiert, diese halsstarrige Individualistin in einer Zeit, in der man Frauen für dieses Bestreben schäl ansah.
Gespielt wird sie von der britischen Theatergigantin Olivia Vinall, und man kann die Augen nicht nehmen von dieser unfassbar schönen Frau, die sich von ihrer Rolle förmlich verzehren lässt und ihren Körper und ihren Geist dafür verschwendet. Kostümbildnerin Gudrun Leyendecker („Winterreise“) hat ihr atemberaubende Outfits auf den zierlichen Körper geschnitten, die ihre Schultern noch schmaler aussehen lassen und ihren Widerstand gegen die Welt noch heroischer. Vinall dominiert den Film nach Belieben, ist ebenso überzeugend als jugendliche Muse, die stets an den Männern in ihrer Gegenwart gespiegelt wird, wie als erwachsene Frau, die darum ringt, endlich Fuß zu fassen in ihrem Leben, Freiheit zu erlangen in ihrer Kunst, die unergründlich und fiebrig ist, Spiegel ihrer außerordentlichen Fantasie, die Pferde träumt und Hyänen spinnt. Die Männer können nicht Schritt halten mit ihr, auch nicht Max Ernst, gespielt mit wohltuender Zurückhaltung von Alexander Scheer, nur dem Film gelingt es in seinen besten Momenten, wenn er selbst ist wie eine Sphinx: schön, intelligent und frei.
Thomas Schultze