Mit viel schwarzem Humor angereicherte Komödie, in der ein dänischer Pfarrer in die schwäbische Provinz kommt und seine nicht ohne Eigennutz entstandene Bestimmung darin findet, die Pfarrei und Gemeinde mithilfe eines Kirchentheaters zu retten.
FAST FACTS:
• Kinoregiedebüt von Alison Kuhn nach eigenem Drehbuch
• Mit dem dänischen Schauspielstar Jens Albinus („Idioten“, „Nymphomaniac“)
• Weltpremiere beim 42. Filmfest München in der Reihe Neues Deutsches Kino
• Alison Kuhn war beim 42. FFMUC auch mit der Serie „Schattenseite“ (in Ko-Regie mit Özgür Yildirim)
• Ihre ersten Regieverfahrungen sammelte Alison Kuhn bei der Serie „Druck“
CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland 2025; Regie: Drehbuch: Alison Kuhn; Darsteller: Homa Faghiri, Pit Bukowski, Jens Albinus, Lou Strenger, Jeremias Meyer; Casting: Stephanie Maile; Kamera: Matthias Reisser; Szenenbild:Paula Trimbur; Kostümbild: Juliane Maier; Produktion: Niama-Film; Koproduktion: DOMAR Film; Verleih:Camino Filmverleih
REVIEW:
Bis es zu der gleich zu Beginn des Films als Prolog gezeigten, den Zuschauer von den Sitzen reißenden provozierenden Inszenierung von „Die Passion Christi“ als Performance-Theater kommt, der Kreuzweg als Rave mit Jesus als zu schlachtendes Schwein aus der Massentierhaltung, ein Wesen, das sich opfert für die Gesellschaft, eine blutig-matschige Angelegenheit, in der die Spielenden in SM-Kleidung ihrer Wollust frönen, der Heilige Geist Würste vom Himmel schmeißt und Plastik-Penisse angebetet werden, liegen die Geschichten des dänischen Pfarrers Oskar, der Metzgerstochter Mia und des Theaterregisseurs Roberto dazwischen. Ihre Wege führen in die schwäbische Provinz, in ein Kaff namens Winteringen. Oskar, weil von großer Sünde geplagt, Mia, weil ihre Mutter tot und die Schwester mit Down-Syndrom allein in der Dorf-Metzgerei, und Roberto, weil vom Theater in der Großstadt suspendiert. Alle drei sind verlorene, einsame Seelen, gestrandet zwischen Kikeriki und Kuhmist.
Seine erste Messe hält Oskar, umsorgt von Messdiener Oskar und der alleinerziehenden Mutter Nadine, gleich mal vor leeren Bänken, und sein Vorgesetzter teilt ihm mit, dass die Pfarrei wegen Unrentabilität aufgelöst werden soll. Aus Panik, nach Dänemark zurückgeschickt werden zu können, setzt Oskar alles daran, die kleine Gemeinde wieder erblühen zu lassen. Ein Theaterprojekt soll den Erzbischof milde stimmen. Es gelingt sogar, mit Roberto einen Theaterregisseur aus Berlin ins Dorf zu holen. Doch woher Geld nehmen? Jedes Mittel ist Oskar recht: Kurzerhand besucht er die Hospiz-Station, um willige Spender für die Kirche zu finden. Den Jackpot knackt er mit einer Frau, die ihm das Testament überschreibt. Dass es die Inhaberin der Winteringer Dorfmetzgerei war, bei der nun die seit Jahren in die Großstadt verschwundene Tochter Mia übernimmt, die es alles andere als lustig findet, als sie erfährt, dass ihre Mutter das Erbe der katholischen Kirche überschrieben hat, kann er nicht ahnen.
Die katholische Kirche als Apparat, der in einer tiefen Krise steckt, in dem aber auch Kapitalismus und Machtmissbrauch Hand in Hand gehen, kriegt in Alison Kuhns Kinofilmdebüt ihr Fett weg. Satirisch-überspitzt stellt sie Kirche und Kunst gegeneinander, eingebettet in ein raffiniertes Erzählkonstrukt, in dem eine kleine schwäbelnde Gemeinde zueinanderfindet und zeigt, dass Leute aus der Provinz nicht von gestern sind, nur weil sie auf dem Land wohnen. So radikal, abstrakt und provokant Roberto mit Hilfe von Mia „Die Passion Christi“ inszeniert, so liebevoll, zart und umarmend ist Alison Kuhns Blick auf ihre Figuren, die alle ein wenig verloren sind, Identitätskrisen durchleben und sich nichts mehr wünschen, als nicht mehr einsam zu sein.
Für ihr Kinofilmdebüt, das beim 42. Filmfest München Premiere in der Reihe Neues Deutsches Kino feierte, hat sie mit Casting Director Stephanie Maile ein tolles Ensemble zusammengestellt, allen voran Jens Albinus(der übrigens in einem evangelischen Pfarrhaus aufgewachsen ist), bekannt für seine Zusammenarbeit mit Lars von Trier, Jeremias Meyer, der in „Tschappel“ schon sein exzellentes Schwäbisch zum Besten gab,Homa Faghiri als Metzgerstochter Mia und Pit Bukowski, der im August in „Das Kanu des Manitu“ zu sehen sein wird, als Regisseur Roberto. Alle spielen sie Figuren mit Abgründen, die es nicht leicht haben, ihren Platz zu finden und letztendlich auf dem gemeinsamen „Kreuzweg“ zueinander finden. „Kunst, die was auslösen will, bedeutet immer auch Wagnis“, heißt es mal im Film. Das trifft auch auf „Holy Meat“ zu und auf Alison Kuhns Inszenierung. Und wer danach vielleicht lieber vegetarisch isst, dem mag verziehen werden.
Barbara Schuster