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REVIEW FILMFEST MÜNCHEN: „Danke für Nichts“


Coming-of-Age-Tragikomödie um vier Jugendliche, die in einer betreuten WG in Berlin nach ihren eigenen Regeln leben, bis wiederholte Selbstmordversuche einer der Freundinnen das ohnehin fragile Konstrukt ins Wanken bringen.

CREDITS: 
Land/Jahr: Deutschland 2025; Länge: 105 Minuten; Drehbuch: Stella Marie Markert; Regie: Stella Marie Markert; Besetzung: Lea Drinda, Sonja Weißer, Safinaz Sattar, Zoe Stein, Jan Bülow, Kathrin Angerer, Sophie Rois, Trystan Pütter, Ludger Bökelmann 

REVIEW:
Wenn man den Film im Kontext, in der Reihe Neues Deutsches Kino beim 42. Filmfest München sieht, dann passt „Danke für Nichts“ gefühlt ziemlich genau zwischen Oliver Rihs‘ „#SchwarzeSchafe“ und Julius Grimms „Zweigstelle“: Stella Marie Markerts außerordentliches Regiedebüt ist eine weitere Auseinandersetzung mit der Trostlosigkeit der Generation Y, deren Authentizität in diesem Fall fest im Berliner Kiez verankert ist, der den Figuren einen gewissen Handlungsspielraum abseits etablierter Regeln eröffnet. Nicht nur könnten die Charaktere mit ihrer Neigung zu Exzentrik und Melancholie glatt dem Universum von Wes Anderson entsprungen sein, auch die nicht-lineare Erzählstruktur erinnert mal mehr, mal weniger subtil an „Die Royal Tenenbaums“. Zwischen dem Prolog und Epilog wird die Handlung von vier Kapiteln unterbrochen, die das notwendige Hintergrundwissen liefern, über vier Außenseiterinnen, die in einer selbstgegründeten, anarchischen „betreuten Wohngruppe“ leben. Oder, mit den Worten der zuständigen Jugendamt-Mitarbeiterin: „zukünftige Sozialhilfe-Empfängerinnen, die durch das Versagen der Eltern gebrandmarkt sind“. Oder, im Wes Anderson‘schen Sinn: vernachlässigte junge Menschen mit verkümmerten Talenten, mentalen Problemen und Bindungsängsten, die die Last ihrer dysfunktionalen Kindheit tragen und auf unterschiedliche Weise damit umzugehen versuchen. 

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„Danke für nichts“ (Credit: Filmfest München 2025)

In den Zwischenkapiteln beschreibt ein allwissender Erzähler voice-over mit dieser besonderen Mischung aus nüchterner Information, lakonischem Witz und Schwermütigkeit die frühen (Miss-)Erfolge der vier Freundinnen, ihre Beziehungen zueinander und ihre charakteristischen Lebenswelten: Die verschlossene, hochintelligente Malou (Zoe Stein) trug bereits als kleines Kind exakt denselben Look und Gesichtsausdruck, hat kein einziges Wort mehr gesprochen, „seit sie mit fünf erfahren hat, dass Wurst aus gepresstem Fleisch im Darm besteht“, aber heimlich zwei Bestseller geschrieben. Ricky (Safinaz Sattar) wusste schon immer, dass sie auf Mädchen steht und auf sich selbst aufpassen kann, verliebt sich dennoch ständig in Heteros. Da die deutsche Bürokratie den Traum ihrer Eltern von einem Fischgeschäft platzen ließ, mussten sie in ihre Heimat zurückkehren – ohne ihre 13-jährige Tochter, die der Meinung war, dass es besser sei, auf einer Sitzbank in der S-Bahn zu wohnen, als sich verbiegen zu lassen. Victoria (Sonja Weißer), früher bulimisch, nun bipolar, wäre gerne Model oder Französin und stets im Mittelpunkt, stammt aus einer reichen Familie und ist der Inbegriff von Wohlstandsverwahrlosung. Katharina (Lea Drinda) hat verstörend schnell eine Faszination für den Tod entwickelt, unternahm ihren ersten Selbstmordversuch mit neun, trieb katholische Erzieherinnen in die Verzweiflung, arbeitet weiter an ihrem Ziel, sich noch vor ihrem 18. Geburtstag umzubringen. Was ihren nicht vertrauenswürdigen Bezugsbetreuer unter Druck setzt: „Ballack“ – verkörpert von Jan Bülow mit angedeuteter Tolle und zerknittertem weißen Anzug als Mix aus Elvis-Imitator und Alex aus „Clockwork Orange“ – versucht zunächst eher eigennützig, die alarmierenden Mental-Health-Issues seiner Schutzbefohlenen dem Jugendamt vorzuenthalten. Weil aber alle das Motto „Unsere Fehler warten nur auf eine Gelegenheit“ verinnerlicht haben, droht Ricky nun die Abschiebung, gleichzeitig rückt auch Katharinas Deadline immer näher. 

Danke für Nichts
Läuft auch in München: „Danke für Nichts“ (Credit: Filmfest München 2025)

Die scheinbar unergründliche Frage, warum Katharina unbedingt sterben will, zieht sich wie ein roter Faden durchs Drehbuch. Möglicherweise „will sie einfach nur wissen, ob wir für sie da sind, wenn’s drauf ankommt“, vermutet Ricky. „Emo-Aufmerksamkeitsnummer“, spottet ihre eifersüchtige Freundin Gina (Chenoa North-Harder), die am Ende für den Plottwist sorgt. Schliemann (Pablo Striebeck), der Katharina seine Liebe gestanden hat, glaubt, dass ihr Nihilismus die einzige Antwort auf die derzeitige Weltlage ist. Die Mutmaßungen werden an verschiedenen Stellen direkt in die Kamera gesprochen, die Perspektivwechsel und dynamische Bildgestaltung (Edgar Fischnaller und Jonas Kolahdoozan) schaffen eine energiegeladene, oft intime Atmosphäre, unter anderem in einer geradezu immersiven WG-Party-Sequenz. Die Altbau-Wohnung, in der der Putz bis auf den tiefen Grund von den Wänden blättert, ist der einzige Ort, an dem die Freundinnen so sein dürfen, wie sie sind, was das Szenenbild (Fritzi Heubaum) ironisch widerspiegelt – im romantischen moody blue und der Trockenblumen-Deko in Katharinas Schlafzimmer, Rickys pragmatischer Stapelkisten-Übergangslösung, Victorias grell überladener Glam-Rock-Einrichtung und in einem sehr kleinen Kleiderschrank mit ausschließlich gestreiften T-Shirts und Malous Persönlichkeit. Die Antagonistinnen, die Sozialarbeiterin Frau Rottenborn (Kathrin Angerer), Psychotherapeutin Frau Dr. Doktor (Sophie Rois), alle Stellvertreter von Institutionen werden (wie in Julius Grimms „Zweigstelle“) leicht überzeichnet und häufig aus mindestens einer Armlänge Distanz gezeigt. Diejenigen, die Unterstützung bieten sollten, sind voreingenommen, ablehnend und ignorant. Als solidarisch entpuppen sich überraschenderweise die zu Beginn noch toxisch männlich wirkenden Nebenfiguren (Ludger Bökelmann als „Zitterbacke-Bela“!). 

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„Danke für nichts“ (Credit: Filmfest München 2025)

Die äußere Komik erleichtert zugleich die schwerwiegende Thematik und verstärkt den  inneren Schmerz, den vor allem Lea Drinda erschütternd eindringlich verkörpert, mit ihrem zerlaufenen pechschwarzen Lidstrich und übercoolen Margot-Tenenbaum-Gedächtnislook (Kostümbild: Sophie Peters), der nie über ihre Zerbrechlichkeit hinwegtäuschen kann. So wenig, wie Katharinas Todessehnsucht einer Erklärung bedarf, braucht Zoe Stein in ihrer stummen Rolle auch nur ein einziges Wort Dialog, um mit ihrem durchdringenden Blick dem Zuschauer spätestens zum Schluss glatt das Herz zu zerreißen. Unterstützt wird das Ensemble von einem ebenso großartigen Soundtrack, mit Kompositionen von Rosa Lee Luna Markert, der Schwester der Filmemacherin, Songs von Tom WaitsStereo Total und Lou Reed – und Rio Reisers Ballade „Für immer und Dich“, die hier genauso zärtlich und hoffnungsvoll klingt wie „Hey Jude“ am Anfang von „Die Royal Tenenbaums“. Allein für dieses Lied lohnt es sich zu leben, könnte die Botschaft am Ende lauten, das konsequent ist und intensiv und noch einige Zeit nachwirkt – Millennial-Melancholie, aber dieses Mal tut’s weh. 

Corinna Götz