Bestechende Tragikomödie mit einem Dreh über zwei trauernde Männer in einer Selbsthilfegruppe, die eine ungewöhnliche Freundschaft miteinander beginnen.

FAST FACTS:
• Gewinner des begehrten Publikumspreises beim Sundance Film Festival
• Einziges Nicht-Regiedebüt im US-Wettbewerb von Sundance
CREDITS:
Land / Jahr: USA 2025; Laufzeit: 100 Minuten; Regie, Drehbuch: James Sweeney; Besetzung: Dylan O’Brien, James Sweeney, Lauren Graham, Aisling Franciosi, Chris Perfetti; Festiva: Sundance Film Festival
REVIEW:
Nur eine einziger der zehn Produktionen, die im US-Spielfilmwettbewerb beim diesjährigen Sundance Film Festival vertreten waren, war kein Regiedebüt. Und ausgerechnet dieser Film – der „Twinless“ betitelte Zweitling von James Sweeney – erwies sich letztlich als stärkster aller Beiträge. Was am Ende auch das Publikum befand, wurde der Film doch mit dem begehrten Audience Award ausgezeichnet (den in der Vergangenheit auch schon spätere Oscar-Gewinner wie „CODA“, „Whiplash“ oder „Precious – Das Leben ist kostbar“ erhielten).
Sweeney, der auch als Drehbuchautor und Mitproduzent verantwortlich zeichnet, spielt eine der beiden Hauptrollen gleich selbst. Die andere – wohl gemerkt als Doppelrolle – hat Dylan O’Brien übernommen, dank der Serie „Teen Wolf“ und den „Maze Runner“-Filmen lange als Teenie-Star abgestempelt und in Sundance nun von der Jury mit einem Schauspiel-Spezialpreis bedacht.
Nach dem Unfalltod seines Zwillingsbruders Rocky kommt der zurückhaltende Roman (O’Brien) aus der Provinz nach New York, um dort die Wohnung des Verstorbenen aufzulösen, aber vielleicht auch ein wenig auf den Spuren eines Lebens zu wandeln, von dem er nicht mehr viel wusste, seit die Unzertrennlichkeit der Kindheit abhandengekommen war. In einer Selbsthilfegruppe für Menschen, die den Verlust eines Zwillings betrauern, lernt er dann den nerdig-romantischen Dennis (Sweeney) kennen.
Vereint in der Trauer freunden die beiden sich an, nicht trotz, sondern gerade weil sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Dennis ist selbstbewusst, nicht auf den Mund gefallen und schwul, worin der schüchterne, wenig intellektuelle und heterosexuelle Roman auch seinen Bruder wiedererkennt. Doch anders als bald die Zuschauer:innen weiß er nicht, dass diese neue Freundschaft, die ihn auf ganz neue Art aufblühen lässt, auf einer falschen Prämisse basiert.
Nicht erst ab eben dieser Enthüllung, die – gemeinsam mit den Opening Credits – gegen Ende des ersten Filmdrittels kommt, erweist sich „Twinless“ als tonaler Balanceakt, wie ihn selbst die erfahrensten Filmemacher nicht oft hinbekommen. Was zunächst als spleenige Indie-Komödie über eine eigenwillige Freundschaft beginnt, wird erst zu einer erstaunlich einfühlsamen Auseinandersetzung mit Trauer und Einsamkeit und schließlich zu einer unerwartet abgründig-bitteren, überraschenden Angelegenheit, über die man im Idealfall nicht allzu viel vorab wissen sollte, bevor man sich ihr aussetzt.
Eines darf man allerdings dezidiert schon vorab verraten. Wie Sweeney diesen Balanceakt erzählerisch meistert und „Twinless“ zu einem der witzigsten, berührendsten und gleichzeitig oft unangenehmsten Filme macht, die das US-Independentkino in jüngster Zeit zu bieten hatte, ist nicht weniger als bemerkenswert. Der in der Tat stark aufspielende O’Brien, ein allgemein starkes Ensemble (zu dem auch Lauren Graham, Aisling Franciosi oder Chris Perfetti gehören) sowie ein paar freizügige Sexszenen tun ihr übrigens. Man darf also nur hoffen, dass auch ein deutschsprachiges Publikum bald in den Genuss dieses Sundance-Highlights kommt – und man von Sweeney künftig noch viel hören wird.
Patrick Heidmann