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REVIEW FESTIVAL: „Toxic“ aka „Akiplėša“

Der Gewinner des Goldenen Leoparden von Locarno 2024 darf bei den Nordischen Filmtagen nicht fehlen. Schließlich gehört der so rohe wie stilisierte litauische Coming-of-Age-Film „Toxic“ generell zu den stärksten Filmerfahrungen des Jahres.

Toxic / Akiplėša
Der litauische Film „Toxic“ (Credit: Akis Bado)

CREDITS:
Litauen 2024; Regie & Drehbuch: Saulė Bliuvaitė; Produktionsfirma: AKIS BADO; Produzentin: Giedrė Burokaitė; Weltvertrieb: Bendita Film Sales; Cast: Ieva Rupeikaitė, Vesta Matulytė, Giedrius Savickas, Vilma Raubaitė, Eglė Gabrėnaitė; Weltpremiere: 15.8.24 in Locarno

REVIEW:
Bei den Nordischen Filmtagen 2024, die einen so starken Jahrgang der baltischen Staaten präsentieren, darf auf keinen Fall der Gewinner des Goldenen Leoparden von Locarno 2024 fehlen: Das litauische Debütwerk „Toxic“ („Akiplėša“) von Saulė Bliuvaitė ist eine kleine cineastische Coming-of-Age-Sensation – roh und stilisiert zugleich. Roh und ungefiltert in den Emotionen der jungen Teenagerinnen, die zwischen Mobbing, Alkohol, Model-Träumen, ersten sexuellen Erfahrungen und Langeweile in einer litauischen Industriestadt mäandern.

Stilisiert, weil im Film der Debütantin Saulė Bliuvaitė selbstbewusst und gekonnt mit ganz klaren und teils statischen, teils auch dynamischen Mise en Scènes gearbeitet wird, die wie aus einem Guss wirken. Jeder Raum, jede Kameraeinstellung, jede Farbgebung wirkt genau überlegt. Dann wird die Szenerie manchmal auch berauschend von Pina-Bauschartigen Tanzeinlagen surreal aufgebrochen.

Die 13-jährige Marija (Vesta Matulyte) ist neu in der Stadt. Die von der eigenen Mutter im Stich Gelassene muss jetzt bei der Großmutter wohnen und wird als Neuling in der Schule vor allem von den Klassenkameradinnen gemobbt. Auch, weil sie mit einem Bein hinkt. Marija ist für ihr Alter ziemlich hochgewachsen. Wie viele andere Mädchen versucht sie in der Stadt ihr Glück bei einer dubiosen Casting-Agentur für eine Modellkarriere.

Saulė Bliuvaitė
Einer der Shooting Stars 2024: Die Regisseurin Saulė Bliuvaitė (Credit: Akis Bado)

Tatsächlich Halt findet sie aber in der Freundschaft mit der gleichaltrigen, taffen Kristina (Ieva Rupeikaitė), die nicht nur unter der Beziehung deren Vaters zu einer neuen Freundin leidet, sondern generell mehr vom Leben will, als das, was ihr die litauische Stadt bieten kann. So probiert sie viel aus: Mit Alkohol, Partys, Zungen-Piercings und aus dem Dark Net bestellten Bandwürmern. Kristina und Marija lernen sich kennen und schätzen, als sich Marija mit ihrer Körpergröße für eine Erwachsene ausgibt und für die Clique Alkohl besorgt.

Eingerostet ist das erste Wort, das einem einfällt, wenn man an die Inszenierung dieser vielleicht einstmals blühenden Industriestadt denkt, die vor allem aus heruntergekommenen Gebäuden und Autowracks zu bestehen scheint. Die Zukunftsaussichten sind generell begrenzt. Und wie dann die jungen Mädchen in die Fänge der vermeintlichen Model-Agentur geraten, ist so eiskalt und realistisch gezeigt, dass darin eigentlich fast ein eigener kleine „The Substance“-Horrorfilm steckt, die übrigens zusammen ein gutes Double Feature über die Objektivierung von Frauen in der modernen Gesellschaft und deren kapitalistische Verflechtungen abgeben würden.

Aber „Toxic“ ist mehr: Es ist eine Sozialschilderung der litauischen Gegenwart, es gibt die zart erzählte Freundschaftsgeschichte der beiden jungen Mädchen, die aber auch alles andere als Engel sind. Das Ganze ist auf einem hohen Niveau inszeniert und gespielt und deckt die ganze Emotionspalette für das Publikum ab. Ein ziemlich großer Wurf!

Michael Müller