Ein assoziativer Trip, der jungen Menschen am Ufer und im angrenzenden Wald eines Flusses folgt und in dem Zeit keine Rolle spielt.
FAST FACTS:
• Langfilmdebüt des in Hamburg lebenden Filmemachers Willy Hans
• Weltpremiere beim 77. Locarno Film Festival (Concorso Cineasti Del Presente)
• Mit seinen Kurzfilmen hat Hans bereits zahlreiche Preise gewonnen und an vielen Festivals teilgenommen
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland, Schweiz 2024; Laufzeit: 94 Minuten; Regisseur & Drehbuch: Willy Hans; Schnitt: Willy Hans; Produktion: Fünferfilm, 8horses; Produzent:innen: Julia Cöllen, Frank Scheuffele, Karsten Krause, Michela Pini, Matthias Huser; Besetzung: Leo Kuhn, Alva Schäfer, Shadi Eck, Felix Maria Zeppenfeld; Weltpremiere: Locarno Film Festival 10.8.24; Verleih: Grandfilm
REVIEW:
Der 17-jährige Simon ist kein gesprächiger Teenager. Als es zum Sportunterricht gehen soll, entscheidet er sich kurzfristig, einfach nicht in die Turnhalle zu gehen, sondern den Heimweg anzutreten. Zuhause klatscht er lieblos Katzenfutter in den Fressnapf. Es ist heiß, ein heißer Sommertag. Simon geht wieder ins Freie. Dort trifft er einen Kumpel, der ihn fragt, ob er nicht Bock hätte, auch mit an den Fluss zu fahren. Simon nickt, steigt ins Auto. Ein Stück müssen sie zu Fuß durch den Wald. Am Flussufer liegt bereits die Gruppe Jugendlicher, der sie sich anschließen. Die meisten haben bereits ihr Abitur in der Tasche. Simon bleibt als Außenseiter ein Stück abseits. Das Wasser des Flusses fließt, die Blätter der Bäume bewegen sich im leichten Wind. Die Jugendlichen fläzen im gleißenden Sonnenlicht auf ihren Decken.
Es passiert nicht viel. Sehr wenig. Belanglose Gespräche, ein Pärchen sitzt mit dem Handtuch über den Köpfen eng beisammen und tuschelt. Zigaretten werden geraucht, Feuerzeuge hin- und hergeworfen. Simon beobachtet, seine halbvolle Plastikflasche voller Wasser in der Hand. Gut schmecken kann das nicht mehr. Er streunert herum, entdeckt ein altes Ledersofa im Wald, bedeckt von grünen Ranken und Ästen, Überbleibsel vergangener Partys. Auch einen alten Kassettenrekorder. Simon räkelt sich auf das Sofa, blickt in die Baumkronen. Einige gehen ins Wasser, andere kicken den Ball. Der trifft Simon mit voller Wucht auf der Nase. Die blutet und macht einen Fleck auf sein T-Shirt. Da taucht Marie auf und reicht ihm ein Taschentuch. Diese Begegnung lockt Simon aus seinem Schneckenhaus. Ohne viel zu sprechen ziehen sie gemeinsam durch die Wälder.
In traumwandlerischen Bildern, auch poetischen Naturaufnahmen, manchmal mit einer Kamera, die scheinbar vom Hauptdarsteller (Leo Kuhn in seiner ersten Rolle) getragen wird, begleitet Willy Hans in seinem selbstgeschriebenen Langfilmdebüt Jugendliche während eines lazy summer day und erzählt einen assoziativen Trip, bei dem die Zeit wie aufgehoben scheint, an einem „Fleck“ Natur, über junge Menschen zwischen Einsamkeit und den etwas weirden Dynamiken in einem Gruppenzusammenhang. Hans’ Hintergrund aus dem Kunstbereich schimmert durch (er studierte an der Hochschule für bildende Künste Hamburg unter Angela Schanelec und Wim Wenders nämlich nicht nur Film, sondern unter Andreas Slominski auch Fine Arts und ist seit 2014 Teil des Künstlerkollektivs „Spengemann Eichberg Goldkamp Hans“), „Der Fleck“ ist wie ein flüssiges Gemälde, das sich im Tempo des ruhigen Gewässers bewegt. Gedreht auf 16mm.
Produziert wurde „Der Fleck“ von der 2016 gegründeten Hamburger Produktionsfirma Fünferfilm (in Koproduktion mit 8horses aus der Schweiz), die gerne im Experimentalfilmbereich unterwegs ist, u.a. mit Helena Wittmanns „Human Flowers of Flesh“ bereits in Locarno waren (und auch Wittmanns „Drift“ produzierten) und Willy Hans bei dessen Kurzfilm „Was wahrscheinlich passiert wäre, wäre ich nicht zuhause geblieben“ unterstützten. Das Projekt hatte Hans vor zwei Jahren bereits beim Industry-Event in Locarno gepitcht. Jetzt feierte es im Nachwuchswettbewerb, dem Concorso Cineasti Del Presente, eben dort seine Weltpremiere. Eine schöne Entdeckung.
Barbara Schuster