Moderner Heimatfilm, in dem eine Familie mit Baggerbetrieb in der ländlichen Schweiz nach dem Tod der 19-jährigen Tochter auseinander bricht.
FAST FACTS:
• Spielfilmdebüt des Schweizer Filmemachers Piet Baumgartner
• Weltpremiere im Debütfilmwettbewerb des Internationalen Filmfestivals San Sebastián
• Auszeichnung mit dem New Directors Award in San Sebastián
• Deutschlandpremiere beim Filmfestival Max Ophüls Preis
CREDITS:
Land/Jahr: Schweiz 2024; Regie/Drehbuch: Piet Baumgartner; Cast: Bettina Stucky, Phil Hayes, Vincent Furrer, Maximilian Reichert u.a.; Kamera: Pascal Reinmann; Produktion; Dschoint Ventschr Filmproduktion; Förderung: Verleih (Schweiz): Filmcoopi; Festivals: San Sebastián, Max Ophüls Preis
REVIEW:
Bierflaschen mit der Baggerschaufel geöffnet wurden auch schon bei „Wetten, dass…“. Diese Kunst gehört auch zum Einstellungstest in die Baggerfirma von Daniels Familie, die in einem nicht weiter benannten Ort in der Schweiz – oder sagen wir besser: Kaff – lebt. Philipp hat sie bestanden. Ebenso begabt zeigt er sich beim Bagger-Ballett, mit dem die Familie um Vater Paul und Mutter Conny seit jeher bei ihren Sommerfesten unterhält. Daniel fühlt sich zu Philipp hingezogen. Die beiden Jungs freunden sich schnell an, büchsen nachts mit zwei der neuen Bagger aus, um zum McDrive zu fahren. Das Burger-Menü essen sie am Flussufer, genau dort, wo Daniels Schwester Nadine mit dem Kanu tödlich verunglückt ist und die Familie in ihrem Andenken einen Baum gepflanzt hat.
Ihr Tod hat ein tiefes Loch in die Familie gerissen, ist auch der Grund dafür, dass Daniel vorerst nicht auf die Business School in die USA gehen konnte, sondern erst einmal im elterlichen Betrieb hilft. Doch Spannungen zwischen Vater und Sohn machen es nicht leicht. Daniel hat keine Lust mehr, sein Schwulsein zu verstecken. Die Mutter bricht in Tränen aus: „Es ist nichts gegen dich, versteh mich nicht falsch.“ So gerne hätte sie Enkelkinder gehabt. Mit dem Vater kann Daniel eh nicht sprechen. Dennoch weiß er es, dass sein Sohn anders ist. „Mir ist egal, was du machst. Aber du weißt, wie die Leute hier sind, ich würde es nicht herumposaunen.“
Piet Baumgartner inszenierte sein Spielfilmdebüt nach eigenem Drehbuch. Erst 2023 erschien sein viel beachteter Dokumentarfilm „The Driven Ones“ über die Business-Elite von morgen. Eingeteilt ist „Bagger Drama“ in Jahreskapitel – vier Jahre folgt der Zuschauer der Familie, wie sie nicht nur in der Erde, sondern auch in ihrem Inneren wühlt. Es geht um das Nicht-verstanden-werden, das Verlassen-werden, das Nicht-miteinander-reden-können. Dabei gelingt Baumgartner, die Geschichte präzise, respektvoll, ohne hysterische Streitereien zu inszenieren. Kameramann Pascal Reinmann findet die richtigen Bilder, mal wirken sie sommerlich-lebendig, etwa, wenn die beiden Jungs in dem Fluss baden, in dem Nadine ertrunken ist, mal wirken sie wie eingefroren, wenn Daniel auf seinem höhenverstellbaren Schreibtisch sitzt und auf- und abfährt. Überhaupt spielt Mechanik eine Rolle, wenn die Mutter im Krankenhaus liegt und sich per Knopfdruck von ihrem am Bettrand sitzenden Mann entfernt. Oder natürlich – und das ist besonders toll – die roten Baggerschaufeln mit ganz viel Himmel tanzend einfängt.
Als Daniel zum Studium in die USA fliegen will, verlagert sich das Drama auf die Eheleute. Die Mutter verkraftet es nicht, ihre Tochter verloren zu haben und nun auch Abschied von ihrem Sohn nehmen zu müssen. Sie schluckt eine Packung Aspirin und kommt in die Klinik. Wieder kommt Daniel nicht weg von zuhause. En passant passieren die Dinge, ziehen die Jahre ins Land. Daniel lebt offen schwul, Paul zieht von zuhause aus, weil er sich in die Chorleiterin verliebt hat, und Conny versucht es mit Therapie und Sport. Stark ist das Spiel von Phil Hayes als wortkarger Mann und von Bettina Stucky als Mutter, die in einer Spirale aus Trauer feststeckt. Und wie sich die Eheleute gegen Ende auf „Who Cares“ der Zürcher Band JJ & Palin im Maisfeld niederringen, muss man gesehen haben. Ein Pas de Deux, der nicht im Einklang ist wie die Schaufeln beim Bagger-Ballett. Die Regieleistung von Piet Baumgartner wurde zu Recht beim Filmfestival in San Sebastián mit dem New Directors Award geehrt.
Barbara Schuster