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REVIEW FESTIVAL: „Am Ende der Wahrheit“

Prominent besetztes, intensives und zum Nachdenken anregendes Drama über die Folgen von sexualisierter Gewalt und weibliche Selbstermächtigung.

CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland, 2023; Laufzeit: 90 Minuten; Drehbuch: Lena Fakler; Regie: Saralisa Volm; Besetzung: Maria Furtwängler, Margarita Broich, Damian Hardung, Pasquale Aleardi, Uwe Preuss, Sara Masuch

REVIEW:
Martina (Maria Furtwängler) ist Mitte 50, Neurochirurgin an einer renommierten Klinik, verheiratet, Mutter einer Teenagerin, sie behauptet sich selbstbewusst in ihrem Beruf und gegenüber ihren männlichen Kollegen, hat alles erreicht und wird von allen respektiert, sie hat ihr Leben im Griff. Bis sie im Familienurlaub mit ihren besten Freunden Jutta (Margarita Broich) und Thorsten (Uwe Preuss) von deren Sohn vergewaltigt wird. 

Martina kennt Mischa („Maxton Hall“-Hauptdarsteller Damian Hardung) von klein auf, sie haben sich lange nicht gesehen, er ist gerade von einem USA-Aufenthalt zurückgekehrt – „Amerika hat einen richtigen Mann aus ihm gemacht“, meint Thorsten, dem der mangelnde berufliche Ehrgeiz seines Sohnes ein Dorn im Auge ist. Martina zeigt als Außenstehende mehr Verständnis für Mischas Generation-Z-Frust, sie verbringen Zeit miteinander, sie lässt sich auf den Flirt mit ihm ein. Sie ermutigt ihn, nach einer ausgelassenen Strandparty, in leicht angetrunkenem Zustand, zu ihr in den Pool zu springen, aber sie sagt nein, als er die Einladung missversteht, und sie sagt es noch einmal, als er sie trotzdem weiter bedrängt. 

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„Am Ende der Wahrheit“ mit Damian Hardung und Maria Furtwängler (Credit: Boris Laewen)

„Ich hab‘ nein gesagt“, erklärt Martina auch im Prolog des Films, der sie in einem späteren Gespräch mit ihrer Anwältin (Sara Masuch) zeigt. „Aber hast Du dich auch gewehrt?“ fragt diese zurück, und immer wieder muss sich Martina mit dieser Frage auseinandersetzen, auf die sie keine befriedigende Antwort geben kann. Der Schock, die Scham, der psychische Ausnahmezustand – eben noch hat sie in ihrer Klinik einen Vortrag über die Reaktion des menschlichen Gehirns auf traumatische Ereignisse gehalten. Sie kann alles erklären, doch sie kann den Übergriff trotzdem nicht so einfach verdrängen, wie sie es sich eingebildet hat. In den Tagen danach trinkt sie zu viel und schläft zu wenig, ihr ohnehin zu Eifersucht neigender Mann Andi (Pasquale Aleardi) wird bald misstrauisch, er lässt ihr keine andere Wahl, als die Wahrheit zu sagen. Andi konfrontiert daraufhin Thorsten mit der Tat seines Sohnes, ausgerechnet vor all ihren Bekannten und Kollegen, die sich sofort von Martina abwenden, sogar ihre beste Freundin unterstellt ihr, aus Scham über einen Seitensprung das Leben eines jungen Mannes zu ruinieren. Es steht Aussage gegen Aussage. „Sie hätte sich doch gewehrt, wenn sie es nicht gewollt hätte“, heult Mischa. Thorsten droht mit einer Verleumdungsklage, der Klinikdirektor beschließt, dass Martina aufgrund des „Schicksalsschlags“ eine Auszeit braucht, und ihre Anwältin rät von rechtlichen Schritten ab, weil sie „ihr Nein nicht beweisen kann“. 

Martina muss Peinlichkeiten und Demütigungen ertragen, man(n) nimmt ihr die Kontrolle über ihren Körper, anschließend über ihr Leben. „Bis ich dir davon erzählt habe, bin ich eigentlich ganz gut klargekommen“, sagt sie zu Andi. Der Zuschauer wird Zeuge, wie sie Schritt für Schritt ihre Selbstbeherrschung verliert. Vom ersten Moment an, in dem Mischa überraschend in ihrem Ferienhaus an der Ostsee auftaucht, wo sie ihn tatsächlich zunächst für einen Einbrecher hält, scheint er bereits in ihre Privatsphäre einzudringen, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, aus der Bahn zu werfen. In einer der stärksten Einstellungen zeigt der Film den beleuchteten Pool in der Nacht nach dem Übergriff aus der Vogelperspektive, den Täter auf der einen Seite im Wasser schwimmend, das Opfer auf der anderen Seite, an den (Becken-)Rand gedrängt, wie erstarrt. Die atmosphärische Bildgestaltung von Kameramann Roland Stuprich („Die Theorie von allem“, „Schweigend steht der Wald“) unterstützt das nuancierte Spiel von Maria Furtwängler, deren Figur sich nicht damit abfinden will, dass plötzlich andere darüber entscheiden, was in ihrem Kopf vorgeht, was sie fühlt, wie sie sich verhalten soll, und die nicht dazu bereit ist, daran zu zerbrechen: „Es ist meine Vergewaltigung!“ schreit sie Andi irgendwann an, und der einzige Weg, um ihre Selbstbestimmung und Freiheit zurückzugewinnen, ist die Konfrontation mit Mischa – doch dazu muss sie ihn erst zwingen.

Die Umkehrung der Täter-Opfer-Verhältnisses erfolgt nicht auf eine gewalttätige Weise wie in einem Rape-and-Revenge-Movie, sondern vor allem auf verbaler Ebene. Dank des klugen Drehbuchs von Lena Fakler („Am Ende der Worte“) und fesselnd inszeniert von Saralisa Volm, deren furioses Debüt als Regisseurin, „Schweigend steht der Wald“, 2022 bei der Berlinale zu sehen war, beleuchtet das Drama auch Mischas Verhalten, das sich vielleicht mit seiner patriarchalisch geprägten Erziehung und toxischen Vater-Sohn-Beziehung erklären, aber weder entschuldigen noch verzeihen lässt. Sie hat nein gesagt. Punkt. Und damit stellt der Film die wichtige und brisante Frage, warum dieses längst im Strafgesetzbuch verankerte Prinzip trotzdem nicht das Ende der Wahrheit ist.

Corinna Götz