Atemloser Gesellschaftsthriller über eine BKA-Personenschützerin, die dem mysteriösen Tod des Umweltministers auf die Spur kommen will.
FAST FACTS:
• Dystopischer Science-Thriller nach Bestsellervorlage von Marc Elsberg
• Nach „Zero“ die zweite Elsberg-Verfilmung durch near future Films und WDR
• „Zero“ erreichte bei der Erstausstrahlung am 3. November 2021 3,89 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 13,7 %
• Brisantes gesellschaftliches Reizthema: Gentechnik
• Starke Besetzung mit Svenja Jung, Marie Bloching, Samuel Finzi, Mina Tander und Ugur Kaya
• Topregie: Elmar Fischer; namhafter Autor: Jörg Tensing
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 85 Minuten; Produktion: near future Films, Swidler Film (Nicole Swidler und Fritjof Hohagen); Regie: Elmar Fischer; Drehbuch: Jörg Tensing; Besetzung: Svenja Jung, Marie Bloching, Samuel Finzi, Mina Tander, Ugur Kaya, Benny O. Arthur, Helene Grass, Hannes Jaenicke; Sender: ARD; Termin: 8. Januar 2025, bereits abrufbar in der ARD Mediathek
REVIEW:
Die Romane des Wiener Schriftstellers Marc Elsberg meinen es gut mit dem deutschen Fernsehen, insbesondere dem WDR und der 2020 gegründeten Münchner Produktionsfirma near future Films: Nachdem Elsbergs wohl bekanntester Roman, die Dystopie „Blackout“, 2020 von W&B Television mit den Regisseuren Lancelot von Naso und Oliver Rihs sowie Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle als High-End-Serie für Joyn entstanden war, ist „Helix“ nun der nach „Zero“ (Regie: Alexander Freydank; Drehbuch: Johannes Betz; Hauptrollen: Heike Makatsch, Sabin Tambrea) zweite, nunja, Near-Future-Thriller Elsbergs, der für die junge Firma des Produzentenduos Nicole Swidler und Fritjof Hohagen realisiert wurde. Der Schriftsteller selbst nennt „Helix“, sein siebtes von aktuell zehn Büchern, ursprünglich 2016 entschieden und heute definitiv ein gutes Stück aktueller als damals, einen „Debattenthriller“. Er beschrieb seinen Ansatz in einem Interview damals als Versuch, auf „spannende und emotionale Weise von den Herausforderungen, vor die technische Entwicklungen unsere Gesellschaft und jede/n Einzelne/n stellen, und den daraus resultierenden notwendigen Diskussionen“ zu erzählen.
Womit auch die Zielrichtung der Verfilmung durch Regisseur Elmar Fischer, zunächst mit Filmen wie „Fremder Freund“ und „Offroad“ hochgehandelt als Kinoregisseur, mittlerweile aber mit blitzsauberen Arbeiten wie „Die Whistleblowerin“ und zuletzt zwei Folgen der Reihe „Das Quartett“ aus dem Fernsehen nicht mehr wegzudenken (aktuell arbeitet er mit dem selbstgeschriebenen „Tanja“ mit Karoline Schuch für Enigma Film an seinem ersten Kinofilm seit 15 Jahren), klar vorgegeben ist. Das globale Szenario der literarischen Vorlage, das unter anderem in Kalifornien, Brasilien und Deutschland spielt und den mysteriösen Tod des amerikanischen Außenministers als Ausgangspunkt für seinen Deep-Dive in die moralischen und ethischen Untiefen moderner Gentechnik nimmt, wurde von Drehbuchautor Jörg Tensing („Katie Fforde“, jüngst „Allein zwischen den Fronten“) sicherlich auch aus Gründen der Umsetzbarkeit auf Motive in und um Berlin eingedampft, ohne der Geschichte allerdings ihre Spannung zu nehmen. Im Gegenteil: Die filmische Umsetzung ist geradliniger, konziser, konzentrierter als der Roman.
Und dabei sehr effektiv, weil „Helix“ einen doppelten Ansatz verfolgt, Spannung und Emotion verbindet, indem auf der seinen Seite ein Krimi erzählt wird, es um die Aufklärung des Mordes an dem Wirtschafts- und Umweltminister – Hannes Jaenicke mit einer effektiven Gastrolle – durch ein ganz persönlich auf ihn gemünztes Virus geht, auf der anderen Seite der persönliche Wunsch der Hauptfigur, der von Svenja Jung überzeugend und energetisch gespielten BKA-Personenschützerin Helen Schilling, mit ihrem Lebensgefährten Cem (Ugur Kaya) endlich ein Kind zu bekommen, einen ebenso großen Raum einnimmt. Dass die beiden zunächst disparat erscheinenden Plotstränge dann nur zwei Seiten von ein- und derselben Medaille sind und sich im Verlauf der Handlung weniger überkreuzen, als vielmehr wie ein hochexplosives Gemisch ineinander crashen, mag man frühzeitig ahnen – es ist immerhin ein Thriller -, aber ist dann doch erfrischend konsequent erzählt, ohne jemals in Schwarzweißmalerei zu verfallen. Nicht die Möglichkeiten der Gentechnologie als solches sind böse: Es kommt darauf an, wer und wie man sie einsetzt.
„Helix“ weiß um die Brisanz seiner Thematik, müht sich aber um die nötige Distanz in einer heißen, gesellschaftlichen Debatte, ergreift zumindest nicht erkennbar Partei für eine Seite. Wie Helen leidet auch ihre Schwester Paula, gespielt von Marie Bloching aus „Die Discounter“, an einer genetischen, potenziell tödlichen Krankheit, für sie der Ausgangspunkt, sich politisch zu engagieren, gegen multinationale Konzerne, die Genmanipulation nutzen, um Gewinne zu maximieren, vorzugehen, was sie bei Protesten in Konflikt mit dem Gesetz bringt und in Kontakt mit einem undurchschaubaren jungen Mann, gespielt von Benny O. Arthur, der im Verborgenen von seinem Computer aus Strippen zu ziehen scheint. Helen wiederum landet bei dem Institut von Dr. Wöllner, einem Experten auf dem Gebiet der Gen-Optimierung, gespielt von Samuel Finzi, der ihr bei ihrem Babywunsch mit nicht ganz koscheren Methoden behilflich sein kann.
Dass Institut und multinationaler Konzern unter einem Dach arbeiten und auf einmal einfachste Sachverhalte nicht mehr so ganz klar sind, lässt „Helix“ als Angebot an das Publikum mitschwingen, während er konsequent sein Spannungsszenario vorantreibt, in einem kompetenten, funktionalen, nie sich in den Vordergrund spielenden Look (Kamera: Bjørn Haneld, Szenenbild: K.D. Gruber, Kostümbild: Nicole Stoll). Sollte man Anklänge an „Rosemaries Baby“, „Gattaca“, John Frankenheimers „Seconds“ oder gar „Wicker Man“ entdecken, so bleiben sie dezent und ordnen sich der Geradlinigkeit des Narrativs unter, ein filmischer Page-Turner, der immer nach vorne drängt, begleitet von einem ominösen Score von Matthias Beine, der zumindest für diesen Rezensenten gerne ein bisschen gewagter und mehr gegen den Strich gebürstet hätte sein können, aber sein Ziel erfüllt: Als Zuschauer bleibt man immer mit dabei, hautnah, wenn Helen sich schließlich ein Herz fasst, um die gesamten Ausmaße der Geschichte aufzudecken, nicht mehr länger ein Spielball zu sein, sich nicht mehr formen zu lassen, eine Heldenreise durch eine undurchdringlich erscheinende Welt.
Thomas Schultze