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REVIEW CANNES: „Woman and Child“


Kämpferischer Frauenfilm über eine alleinerziehende Mutter, der die Kontrolle über ihr Leben in einem tragischen Moment entgleitet.

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„Woman and Child“ von Saeed Roustayi (Credit: © Amirhossein Shojaei & Saeed Roustaee)

CREDITS:
O-Titel: Zan o bacheh; Land / Jahr: Iran, Frankreich 2025; Regie, Drehbuch: Saeed Roustyi, Besetzung: Parinaz Izadyar, Payman Maadi, Soha Niasti, Maziar Seyedi, Fereshteh Sadr Ofarfaee, Sinan Mohebi

REVIEW:
70 Minuten lang ist man sicher, hier den sicheren Gewinner der Goldenen Palme zu sehen: Saeed Roustayi, der drei Jahre nach „Leilas Brüder“ zurück ist in im Wettbewerb von Cannes, beweist einen so sicheren Blick für sein Szenario, geht mit einem filmischem Witz und visuellen Flair vor, wie man das im iranischen Kino bislang noch nicht gesehen hat: Gerade nach dem schlicht bebilderten „Un simple accident“ von Jafar Panahi zwei Tage früher, ist Roustayis subversives Porträt einer Mutter um die 40, die der dominieren Männerwelt in ihrem Leben erst mit pfiffiger Bauernschläue und dann mit gerechtem Zorn die Stirn bietet, ein Energieschock, ein Film mit dem wilden Schlag des Herzen, einfach mitreißend, immer Frau, Leben, Freiheit, nur eben nicht als politische Pose, sondern als gelebte Erfahrung. . 

Woman and Child“ zeigt einen Iran der Frauen. Das allein ist sein Statement. Sie sind keine Demonstrantinnen oder Revoluzzerinnen, sie planen nicht den Aufstand oder den Umsturz. Und doch bieten sie den Männern die Stirn und damit diesem Land, das den Männern gehört. Sie wollen etwas vom Leben und etwas aus sich machen. Seine Heldin ist die 40-jährige Krankenpflegerin Mahnaz, sie lebt in einem Haushalt mit ihrer patenten Mutter und ihrer jüngeren Schwester Mehri, ihrer kleinen Tochter  – und dem einzigen Jungen im Haushalt, ihrem 13-jährigen Sohn Aliyar, der eine gleichbedeutende Rolle spielt in diesem Film und den man sofort mag, weil er es faustdick hinter den Ohren hat, nicht zu bändigen ist und genau deshalb über alles geliebt wird von seiner Mutter. Irgendetwas hat Aliyar immer am Laufen. Ob er nun seiner Großmutter Geld abnimmt für das Schreiben eines Tests, den er dann seiner Schwester zum Ausfüllen gibt, während sie auch noch seine Aufgaben macht oder bei einem tollen Würfelspiel während des Unterrichts eine dicke Lippe riskiert. 

Aliyar vermisst seinen Vater und soll erst einmal besser nicht wissen, dass Mahnaz mit dem Gedanken spielt, mit dem Krankenwagenfahrer Hamid eine zweite Ehe einzugehen. Als die Beziehung öffentlich gemacht werden soll, geschehen parallel und unabhängig voneinander, aber doch miteinander verknüpft zwei Dinge, die Mahnaz‘ Leben aus den Fugen geraten und sie zu einer Frau mit einer Mission werden lassen. Der zunächst so beschwingte Film wird zusehends ernster, nimmt immer düsterere Züge an, vollzieht den Schritt von der Komödie zur Tragödie so selbstbewusst und radikal, dass einem der Atem stockt, wenn die Handlung mit einer zwingenden Logik immer weiter eskaliert. So geschickt treibt „Woman and Child“ die Figuren in die Ecke, dass ab einem Punkt alles möglich scheint. Nur bei der Auflösung kommt Roustayi schließlich ins Straucheln, überdreht sein Szenario, gibt diesen magischen Fluss aus einem Guss aus der Hand, der einen bislang mitgerissen hatte. 

Immer wieder gelingen Bilder und Einstellungen, wie man sie aus dem iranischen Kino so bislang nicht kannte. Einen Moment gibt es beispielsweise, da schließt Mehri eine bespiegelte Schranktür und im Bruchteil einer Sekunde sieht man aus dem Dunkeln Mahnaz, die wie ein Dämon auf ihre Schwester zustürmt. Oder wenn Mahnaz sich den Direktor von Aliyars Schule zuknöpft und ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit in ihrem Wagen frontal auf dessen Auto zurast. Da beherrscht einer sein Handwerk, weiß, wie man das Kino bespielt und Wirkung erzielt. Aber diesen Zauber doch nur entfacht, um seiner Hauptdarstellerin eine Bühne zu geben: Parinaz Izadyar, die für Roustayi schon in dessen Debüt „Life and a Day“ und dem Folgefilm „Just 6.5“ vor der Kamera gestanden war, liefert eine Darstellung für die Ewigkeit ab. Auf dem 78. Festival de Cannes war keine besser als sie. Auch wenn sich Saeed Roustayi, der wegen „Leilas Brüder“ ein halbes Jahr ins Kino kam und mit einem fünfjährigen Berufsverbot belegt worden war, mit den Zensurbehörden arrangiert hat und die Frauen immer mit Kopftuch zeigt, um den Film machen zu können, bleiben ihre Gesichter doch unverhüllt, erlebt man ihre Wut doch hautnah mit, bekommen die Männer ihren Zorn immer unmittelbar zu spüren, wie auch ihren Stolz und ihre Würde, die sich nicht brechen lassen. 

Thomas Schultze