Bewegende Abenteuergeschichte mit märchenhaften Zügen über ein neunjähriges Mädchen, das dem Präsidenten Saddam Hussein zu dessen Geburtstag einen Kuchen backen soll.

FAST FACTS:
• Umjubelte Weltpremiere in der Quinzaine des Cinéastes
• Erste irakische Produktion auf dem Festival de Cannes
• Publikumspreis der Quinzaine; Camera d’Or des 78. Festival de Cannes
CREDITS:
Land / Jahr: Irak, USA, Qatar 2025; Laufzeit: 102 Minuten; Regie: Hasan Hadi; Drehbuch: Hasan Hadi, Eric Roth; Besetzung: Baneen Ahmad Nayyef, Waheed Thabet Khreibat, Sajad Mohamad Qasem, Rahim AlHaj
REVIEW:
In „Amrum“ von Fatih Akin sucht ein Junge unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach den Zutaten für ein Honigbrot für seine Mutter – auf einer Insel, auf der es kein Mehl, keinen Zucker und keinen Honig gibt. Wie kurios ist es, dass in der Quinzaine des Cinéastes im ersten irakischen Film, der nach Cannes eingeladen wurde, ein mittelloses Mädchen aus dem Marschland im Jahr 1997 mit Hilfe eines benachbarten Jungen in der nächsten nahegelegenen Großstadt ebenfalls eben diese Zutaten sammeln wollen, weil sie vom Klassenlehrer den Auftrag erhalten hat, anlässlich des 50. Geburtstags von Präsident Saddam Hussein einen Kuchen zu backen? Und doch ist es ein gänzlich anderer Film geworden, bestimmt von der Hektik und dem Gewusel in der Hauptstadt des Irak, unruhiger und quecksilbriger als Akins mit großem Bedacht gemachter Film. Wie gut das Auge und die Inszenierung von Hasan Hadi bei seinem beachtlichen Debüt ist, lässt sich auch daran ablesen, dass der Film in Cannes nicht nur den Publikumspreis der Quinzaine, sondern am Tag darauf bei der Abschlussgala auch noch die Camera d’Or als bestes Debüt entgegennehmen zu können.
Dabei schlagen erkennbar zwei Herzen in der Brust von „The President’s Cake“. Er ist einerseits angefüllt mit Bildern, Momenten und Szenen, die unverkennbar der persönlichen Erinnerung des Regisseurs vom Aufwachsen im mesopotamischen Marschland im Süd-Irak, wo die Menschen unter einfachsten Umständen in schwimmenden Hütten leben und nur per Boot mobil sein können. Da ist der Film dann am stärksten, wenn sich der Film anfühlt wie aus dem Leben direkt auf die Leinwand gebannt, die nächtlichen Szenen im Marschland, die Momente in der Schule, wenn die Kinder im Chor dem Diktator ihre Treue schwören müssen, oder die Bilder vom Besuch eines heruntergekommenen Kinos. Andererseits ist da das gefällige Plotting, das sich offenbar nicht nur anfühlt, als sei es bei Hollywood-Profis geworkshoppt worden, wenn sich in den Credits als ausführende Produzenten erfahrene US-Filmemacher Chris Columbus und Marielle Heller und als Mitdrehbuchautor „Forrest Gump“-Oscargewinner Eric Roth finden. Da prallt dann eine spürbar westliche Erzählsensibilität auf die Authentizität der Bilder und sorgt für eine gewisse Unwucht: Allzu selbstsicher trifft der Film alle nötigen emotionalen Noten, um beim Publikum rund zu funktionieren.
Was ein bisschen bedauerlich ist (aber gewiss der Kommerzialität entgegenkommt), weil „The President’s Cake“ auch ohne das Glattfeilen funktionieren würde: Die neunjährige Lamia, die mit ihrem in einem Tragetuch eingewickelten Hahn und dem mit allen Wassern gewaschenen Nachbarsjungen, dem Lebenskünstler Saeed, in die große Stadt fährt und nicht ahnt, dass ihre liebende Großmutter sie dort bei einer Familie abliefern will, weil sie nicht mehr die nötige Kraft hat, sich um die Enkelin zu sorgen, vergisst man so schnell nicht mehr, wie sie die Straßen navigiert, sich von den immer schreienden Erwachsenen nicht ins Bockshorn jagen lässt und nach einer regelrechten Irrfahrt mit nicht nur erfreulichen Abenteuern und einem tragischen Ereignis ein bisschen ernüchtertet und erwachsener nach Hause zurückkehrt, wo dem Publikum schließlich in einer erschütternden letzten Szene der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Man fühlt sich erinnert an Nadine Labakis „Capernaum: Stadt der Hoffnung“, der einen Zwölfjährigen mit seinem einjährigen Bruder im Schlepptau eine vielleicht sogar noch etwas intensivere Überlebensgeschichte auf den Straßen einer libanesischen Stadt erleben lässt. Das ist nicht die schlechteste Referenz für diesen Film, der so einfühlsam die Erlebniswelt eines Mädchens in einer männerdominierten Gesellschaft vermittelt, dass man sich vielleicht die einer oder andere rauere Kante gewünscht hätte.
Thomas Schultze