Psychedelisches Roadmovie über einen Vater, der sich mit seinem Sohn auf der Suche nach der seit Monaten vermissten Tochter einem Treck Techno-Nomaden in Richtung eines Wüstenraves in Marokko anschließt.
FAST FACTS:
• Erster Film von Óliver Laxe im Wettbewerb des Festival de Cannes
• Sensationelles Roadmovie mit Anklängen an „Sorcerer“ und Jodorowsky
• Umjubelt bei der Premiere in Cannes
CREDITS:
Land / Jahr: Spanien / Frankreich 2025; Laufzeit: 120 Minuten; Regie, Drehbuch: Óliver Laxe; Besetzung: Sergi Lopez, Buno Núñez, Jade Oukid, Joshua L. Henderson, Richard Bellamy, Stefania Gadda, Tonin Janvier
REVIEW:
Eine Anlange wird aufgebaut, mitten in der Wüste, Lautsprecher um Lautsprecher, bis eine buchstäbliche Wall of Sound dasteht in der Mitte von Nirgendwo, vor einem archaisch anmutenden Felsrelief. An Pink Floyd muss man denken. An die Rückseite des Covers von „Ummagumma“. An das Konzert in Pompeii. Nur dass hier, in dem wilden und halluzinierenden neuen Film des in Galizien lebenden französischen Filmemachers Oliver Laxe nicht die bewusstseinserweiternden Spektralsounds psychedelischer Rockmusik die Bilder antreiben, sondern das bewusstseinserweiternde Spektralstampfen tranceartigen Technos, wie „Sirât“, Laxes erster Film seit seinem Un-Certain-Regard-Gewinner „Fire Will Come“ im Jahr 2019, gleich in der nächsten Einstellung unterstreicht. Sie zeigt eine Gruppe von Besuchern des illegalen Wüstenraves, für den diese Anlage aufgebaut wurde, die tanzend die Leinwand ausfüllen, selbstvergessen, verloren im Beat und dem verzerrten Bass, aggressiv, glücklich, one nation under a groove. Bis das Militär auftaucht und die Veranstaltung brüsk beendet und die Techno-Nomaden auf ihren Weg schickt.
Zurück in der Zivilisation herrscht Ausnahmezustand, wie wir im Verlauf des Films aus dem Radio erfahren, World War III steht kurz vor Ausbruch, die Zivilisation, von der sich die Besucher dieser atavistisch anmutenden Musik-Happenings längst abgewandt haben, steht vor dem Kollaps. Fünf von ihnen büchsen aus in ihren Lastwägen, die aussehen, als könnte man sie auch in einem „Mad Max“-Film zum Einsatz bringen, Trutzburgen und Heimat in einem, steuern mitten hinein in das unwegsame Gebirge, machen sich auf dem Weg zu dem nächsten apokalyptischen Technofest, das irgendwo im Süden von Marokko stattfinden soll. Ihnen folgen der bürgerliche Vater, gespielt von Sergi Lopez aus „Pans Labyrinth“, und sein Sohn Esteban: Wir haben sie schon auf dem Rave gesehen, wo sie Flugblätter verteilt haben. Luis sucht nach seiner erwachsenen Tochter, die sich seit fünf Monaten nicht mehr gemeldet hat. Er vermutet, sie könnte auf einem dieser Events sein. Je weiter sie fahren, desto mehr nähern sie sich dem Ende der Welt. Zumindest fühlt es sich so an. Immer abenteuerlicher werden die Pfade, Flußbette wollen durchmessen werden, verschlungene Serpentinen über Bergpässe bezwungen. Immer weniger scheinen gängige Gesetze und Regeln zu gelten.
Die Fahrt wird zu einer existenzialistischen Reise, verpackt in einen radikalen Film. Man muss an die Ziellosigkeit von „Zabriskie Point“ denken, an die Unwegsamkeit von „Sorcerer“ von William Friedkin, nur dass die musikalische Begleitung nicht von Tangerine Dream stammt, sondern rudimentärer, immer grotesker verzerrter Techno ist, bei dem man nur der Beständigkeit der Bassdrum vertrauen kann, an das Kino von Werner Herzog und schließlich, als der Film die letzten Reste von Zivilisation zurücklässt, an „La Vallée“ von Barbet Schroeder und „El Topo“ von Jodorowsky, eine Mischung aus Endzeitwestern und surrealer Komödie, losgelöst von allen Konventionen, die Figuren zurückgeworfen auf die Essenz ihrer Existenz, mit den fünf Technofreaks – allesamt Laien, die sich selbst spielen – als eine Art aberwitzige Ritter der Tafelrunde, gezeichnet und versehrt von ihrem unapologetischen Leben im Schatten der lautesten Musik, wie ewige veterans of a thousand psychic wars, die in allen Kriegen gekämpft haben, die sich Michael Moorcock in seinen Texten für Hawkwind jemals ausgedacht hat. Es ist eine wilde Bande, die man mit jeder Wendung des Weges mehr ins Herz schließt, für ihre bedingungslose Solidarität und Liebe füreinander.
Bis man nach einer in seiner Vehemenz kaum mit Worten zu beschreibenden Tragödie auf einer der unbefestigten Bergstraßen, die ich hier auf keinen Fall verraten will (selten hat mich eine Szene so fassungslos gemacht), auf einer von Sandstürmen heimgesuchten Ebene ankommt, die sich buchstäblich als Mienenfeld erweist. Hier wird sich das Schicksal der Verbliebenen entscheiden, als hätte Beckett das Drehbuch zu „Nomadland“ geschrieben und ein grausamer Gott seine Liebe zum Würfelspiel entdeckt. Man ahnt es sicherlich nicht in den ersten zehn Minuten des Films – man könnte ohnehin in keinster Form erwarten, wohin einen „Sirât“ – arabisch für „Weg“ – führen wird, wie Óliver Laxe menschliche Existenz durch den massivsten Subwoofer der Welt shreddert, bis man einen Blick darauf werfen kann, wie Leben nach der Hoffnung aussehen wird.
Thomas Schultze