Bestechender Frauenfilm von Christian Petzold, in dem eine junge Frau aus der Großstadt nach einem tragischen Unfall ein Refugium findet im Landhäuschen einer älteren Frau.
FAST FACTS:
• Vierte Zusammenarbeit in Folge von Christian Petzold mit Paula Beer
• Abschluss von Petzolds Naturgeister-Trilogie, die er mit „Undine“ und „Roter Himmel“ begonnen hatte
• Erster Film von Christian Petzold im Festival de Cannes, in der renommierten Reihe Quinzaine des Cinéastes
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2025; Laufzeit: 86 Minuten; Regie, Drehbuch: Christian Petzold; Besetzung: Paula Beer, Barbara Auer, Matthias Brandt, Enno Trebs
REVIEW:
Ein Crash, ein Zusammenknall bringt zwei Frauen in das Leben der jeweilig anderen, ein tragischer Autounfall mitten auf dem Land, lässt beide Schicksale fortan durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden sein. Die eine will weg aus ihrem alten Leben, die andere will ihr altes Leben zurück. Und irgendwie besteht da die Aussicht auf Heilung und Rettung in dem neuen Film von Christian Petzold, der den Abschluss seiner mit „Undine“ und „Roter Himmel“ begonnen Naturgeister-Trilogie bildet. Ein würdiger Abschluss wohlgemerkt, erfüllt von diesem ganz besonderen Petzold-Touch, der die Handlung fest im Weltlichen, bisweilen Banalen verankert, wo Königsberger Klopse, schaler Kaffee und explodierende Spülmaschinen eine Rolle spielen, aber doch auch immer ein bisschen zwischen den Welten zu schweben scheint, wo das Unerklärliche und Fantastische, auf gut deutsch: Kino, möglich sind, verbunden oftmals von Musik, hier vor allem von dem schmissigen Motown-Pastiche „The Night“ von Frankie Valli & the Four Seasons (das wir vor nicht ganz zwei Jahren schon in Christos Niktos‘ „Fingernails“ so toll fanden), der Leben in die Bude bringt, wenn er erklingt, und zwischenzeitlich das Andersweltliche vertreibt, das den Film sonst erfüllt.
„Miroirs no 3“ ist Petzolds vierte Zusammenarbeit in Folge mit Paula Beer, die als Laura zu sehen ist, die in den ersten Szenen verloren wirkt in Berlin, sich nur widerwillig von ihrem Freund zu einer länger geplanten Tour aufs Land überreden lässt, dann aber zurückgebracht werden will. Eine schicksalhafte Entscheidung, wie Petzold sie so gerne hat in seinen Filmen. Kurz nachdem sie auf einer kaum befestigten Landstraße beinahe eine urplötzlich aufgetauchte Frau überfahren, ereignet sich besagter Unfall. Die Frau rettet Laura, für den Freund kommt jede Hilfe zu spät. Und doch spielt die Tragödie kaum eine Rolle. Um das urknallartige Zusammentreffen der beiden Frauen geht es, ein Wunder, wenn man so will, das Laura und Betty, gespielt von der umwerfenden Barbara Auer, eine Gegenwart ermöglicht und die Vergangenheit zumindest vorübergehend ausblenden lässt. Ein fragiler Burgfrieden ist es, der sie fortan miteinander leben lässt in Bettys hübschem Landhaus, das man sich auch als Lebkuchenhäuschen vorstellen könnte, umgeben von einem Holzzaun, den die Frauen weiß anstreichen, damit er auch wirklich so aussieht wie aus David Lynchs „Blue Velvet“. „It’s a strange and beautiful world“. In der Tat.
Sogar die beiden Männer aus Bettys Leben, ihr Mann und ihr erwachsener Sohn, gespielt von Matthias Brandt und Enno Trebs, die beide auch schon in „Roter Himmel“ zum denkwürdigen Ensemble gehört hatten, werden aufgenommen in diese behauptete Harmonie, über der wie eine dunkle Wolke bittere Wahrheiten und Erkenntnisse hängen, denen man sich schließlich stellen müssen wird. Wie Christian Petzold das aber macht, wie er das Kino mit unerschütterlichem Glauben einmal mehr eine Himmelsmacht sein lässt, ist wie immer sehenswert, eine große Freude. Wie überhaupt nie etwas forciert wirkt in diesem modernen Märchen, das gleich diverse Motive aus den Märchen der Gebrüder Grimm auf sich vereint, sowohl „Vertigo“ wie auch „Psycho“ von Hitchcock evoziert und Lynch (siehe oben) obendrein, aber doch immer ein quintessenzieller Frauenfilm bleibt, der sich nicht sattsehen kann an seinen beiden Hauptdarstellerinnen, die sich in einem fein choreographierten Pas de deux umkreisen. All that heaven allows, ist möglich im Kino von Christian Petzold, das sich so souverän und seiner selbst bewusst anfühlt, dass man es auf keinen Fall mehr missen will. Wie schön, dass der Regisseur mit „Miroirs no 3“ erstmals nach Cannes reisen durfte, wo er im Rahmen der Quinzaine des Cinéastes Weltpremiere feiern und viel begeisterten Applaus ernten durfte. Es ist eine Kombi, die passt.
Thomas Schultze