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REVIEW CANNES: „Der phönizische Meisterstreich“


Umwerfendes Bildersturm-Abenteuer über den reichsten Mann der Welt, der sich gegen seine Kontrahenten behaupten und seine entfremdete Tochter für seine Sache gewinnen will.

CREDITS:
O-Titel: The Phoenician Scheme; Land / Jahr: USA, Deutschland 2025; Regie, Drehbuch: Wes Anderson; Besetzung: Benicio Del Toro, Mia Threapleton, Michael Cera, Tom Hanks, Bryan Cranston, Scarlett Johansson, Benedict Cumberbatch, Jeffrey Wright; Verleih: Universal Pictures International; Start: 29. Mai 2025

REVIEW:
Es bleibt dabei. Wes Anderson kann keinen schlechten Film machen. Er hat in seiner Karriere Filme gemacht, die a) meisterlich sind, b) stark) oder c) solide. Manchmal mag man den Eindruck gehabt haben, er trete auf der Stelle oder der kreative Motor laufe nur mit halber Kraft. Aber ein Ausfall war noch nicht dabei. Das ändert sich auch mit dem zwölften abendfüllenden Film in einer mittlerweile fast 30 Jahre umspannenden Karriere nicht, der vierten Arbeit des in Paris lebenden Texaners, die er in Cannes im Wettbewerb präsentiert, nach „Moonrise Kingdom“ im Jahr 2012, dem für das abgesagte Coronajahr 2020 ausgesuchten und dann ein Jahr auf Halde gelegten „The French Dispatch“ und „Asteroid City“ von 2023. Nachdem gerade der letzte Film nicht nur ein unverkennbarer Anderson-Film war, mit den genauen, fast statischen Bildkompositionen und seitlichen horizontalen Kamerafahrten, der perfekten Ausstattung, stilvoll und geschmackvoll in einer Art, dass man schon auch den Eindruck gewinnt, alles Leben werde aus den Kadragen gepresst, um noch mehr ausgeklügelte Designdetails unterbringen zu können, sondern auch konzeptionell eine ambitionierte Kopfgeburt, mit kunstvoll ineinander verschachtelten erzählerischen Ansätzen – ein Film, der einen echt fordert, keine Sekunde Raum zum Staunen lässt. Der neue Film ist ebenfalls ein unverkennbarer Anderson-Film mit all den Zutaten, die man sich erwartet und erhofft. Aber er ist auch eine pure Freude, ein fulminanter Spaß, der wie ein Echo von „The Royal Tenenbaums“ wieder einen Patriarchen in den Mittelpunkt rückt, der einiges gutzumachen hat bei seiner Kinderschar, aber ein großes Abenteuer braucht, um das zu erkennen.

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Wes Andersons „Der phönizische Meisterstreich“ mit Benicia Del Toro und Mia Threapleton (Credit: TPS Productions/Focus Features)

Anstelle von Gene Hackman trägt in „Der phönizische Meisterstreich“ nun Benicio Del Toro als Zsa-Zsa Korda, der reichste Mann der Welt, den zweireihigen grauen Nadelstreifenanzug mit perfekt abgestuften Hemden und Krawatten entweder in Blau- oder Rosé-Tönen und raucht die dicken Zigaretten, was in Anderson-Filmen stets die Insignien des Übervatertums sind, Uniformen der weltgewandten Selfmade-Männer, deren Souveränität immer auch einhergeht mit einem gerüttelten Maß an Rücksichtlosigkeit und einem kompletten Mangel an Einsicht: Wer es zu was bringen will in der Welt, der muss die Ellbogen ausfahren. Womit man sich nicht nur Freunde macht. Wenn wir Zsa-Zsa erstmals sehen in diesem bilderbuchartigen Film, überlebt er gerade den sechsten Flugzeugabsturz seines Lebens. Diesmal klopft er sogar schon an die Himmelspforte, die aussieht wie ein Schwarzweißfilm von Michael Powell (siehe „Irrtum im Jenseits“) und wo man sich an Gastauftritten aus Mitgliedern von Andersons erweiterter Filmfamilie freuen kann (Willem DafoeF. Murray AbrahamBill Murray), was den kosmopolitischen Hallodri zu der Überzeugung bringt, es wäre endlich an der Zeit, an seine Nachfolge zu denken. Weil er keinerlei Bindung zu seinen neun Söhnen hat, fällt seine Wahl auf seine einzige Tochter, die tiefgläubige Liesel, gespielt von der Entdeckung Mia Treapleton aus „Firebrand“, deren kantiges Gesicht eines Rubens-Engels gemacht wurde, um in Anderson-Filmen eingesetzt zu werden, die als Nonne in einem Konvent lebt und erst einmal wenig Enthusiasmus für das plötzliche Interesse ihres Vaters an ihr ist, sich dann aber bereit erklärt, an seiner Seite den Versuchen seiner Gegenspieler zu begegnen, ihn mit einer konzertierten Aktion an den Finanzmärkten in die Knie zu zwingen. Begleitet von fortwährenden Anschlägen auf Zsa-Zsas Leben, will der Milliardär in vier Schritten alte Mitstreiter, Geschäftspartner und Kontrahenten auf seine Seite bringen, um seinen großen Traum doch noch umzusetzen, den phönizischen Meisterstreich. 

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Wes Andersons „Der phönizische Meisterstreich“ mit Benicia Del Toro (Credit: TPS Productions/Focus Features)

Wie immer bei Anderson weiß man nicht, wo man zuerst hinschauen soll, kann man sich nicht sattsehen an den Dekors und Kostümen, an der Parade von Superstars, die bisweilen nur für eine kurze Szene reinschauen und unter Beweis stellen, eine wie große Freude es ist, die gedrechselten Dialoge des Regisseurs, der das Drehbuch nach einer Idee von ihm und Roman Coppola allein geschrieben hat, über die Lippen perlen zu lassen: Tom HanksBryan CranstonScarlett JohanssonRupert FriendRiz AhmedMathieu AmalricJeffrey WrightRichard Ayoade und schließlich Benedict Cumberbatch mit Rasputin-Bart und irrem Blick – man muss wirklich in der Besetzungsliste nachschauen, damit man keinen vergisst. Allein das erste von oben gefilmte Bild mit der farblich perfekt auf die ziselierten Bodenfließen abgestimmten Titelschrift ist so üppig, dass man Seiten vollschreiben müsste, um es in seiner komplexen Gänze angemessen zu beschreiben, während am linken Rand die Hauptfigur in der Badewanne liegt und von allen Seiten Krankenschwestern wie Ameisen durch die Anordnung wuseln. So ist der ganze Film ein Schlendern an der Seite von Zsa-Zsa, Liesel und dem von Michael Cera gespielten Aushilfslehrer Bjorn aus Oslo, der die beiden Kordas auf ihrer Reise begleitet. Keine Minute vergeht ohne ein neues inszenatorisches Kabinettstück oder begnadeten Geistesblitz, ein immersives Erlebnis in den endlosen Tiefen von Wes-Welt, der schönste Ort auf Erden, ein Paradies für Menschen, die das Kino lieben und sich von seinem Zauber entzücken lassen. 

Thomas Schultze