Verfilmung des Erfolgsromans von Lukas Rietzschel über zwei Brüder in der Oberlausitz, die als Kinder den Zusammenbruch ihrer Familie miterleben und ein Ventil auch in Gewalt finden.
FAST FACTS:
• Verfilmung des Erfolgsromans von Lukas Rietzschel aus dem Jahr 2018
• Beeindruckendes Langfilmdebüt von Constanze Klaue
• Eine Produktion von Flare Film und Chromosom Film
• Weltpremiere auf der 75. Berlinale im Debüt-Wettbewerb Perspectives
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2025; Laufzeit: 110 Minuten; Regie, Drehbuch: Constanze Klaue; Besetzung: Constanze Klaue; Besetzung: Anton Franke, Camille Moltzen, Anja Schneider, Christian Näthe, Johannes Scheidweiler; Verleih: Across Nations Filmverleih; Start: 3. April 2025
REVIEW:
Man könnte es sich leicht machen und darauf verweisen, dass eine Besprechung diesen Film unmöglich besser beschreiben könnte als sein Titel. „Mit der Faust in die Welt schlagen“. Man weiß Bescheid. Das ist eine Packung. Und ein Versprechen. Das Constanze Klaue, die mit der Verfilmung des Bestsellers von Lukas Rietzschel aus dem Jahr 2018 ihr Spielfilmdebüt feiert, auf ganz besondere Weise einlöst. Mit einem Film frei von Kraftmeierei und Posen, der selbst eben nicht mit der Faust in die Welt schlägt, sondern mitverfolgt, wie seine beiden Hauptfiguren dazu kommen, es zu tun oder tun zu wollen, sie dabei aber in den Arm nimmt und doch, um im Bild zu bleiben, immer handfest ist: Der weder den Stab über seine Figuren bricht, noch es sich einfach macht, bei den Fragen, die er stellt, und den Antworten schon gar nicht, die er oftmals nicht geben kann.
Dafür aber einen genuin neugierigen Blick wirft auf das Erwachsenwerden in einem zerrütteten Umfeld, einerseits ganz „Die große Flatter“, andererseits und ganz besonders „Ratcatcher“, Lynne Ramsays Meisterwerk von 1999, der mit entschlossenem weiblichem Blick einem Jungen aus der Unterschicht von Glasgow folgt. Beiden Filmen ist auch gemein, dass sie einen Blick in die Vergangenheit werfen, „Ratcatcher“ ins Jahr 1973, „Mit der Faust in die Welt schlagen“ in die Zeit der Jahrtausendwende, aber trotzdem keine Distanz zu dem Gezeigten aufbauen, nichts romantisieren oder verklären, eigentlich kein Blick zurück. Was man sieht, das ist jetzt. Man wohnt keinem historischen Stoff bei, sondern erlebt die Figuren ganz unmittelbar. Vielleicht ist das auch dem Umstand geschuldet, dass Schriftsteller Rietzschel selbst erst Anfang 20 war, als er seinen Roman schrieb, und mehr oder minder eigene Erfahrungen und Erlebnisse verarbeitet hat. Ganz sicher ist das dem Umstand geschuldet, dass Constanze Klaue mit Haut und Haar, mit Sinn und Verstand inszeniert hat.
„Philipp und Tobi wachsen als Geschwister in der sächsischen Provinz auf. Ihr Alltag ist geprägt von Perspektivlosigkeit und dem Zerfall ihrer Familie.“ So steht es in der Inhaltsangabe. Und es stimmt auch, das zeichnet der Film auf, das zeichnet er nach, das hält er fest. Aber was sich da so lapidar hingeschrieben liest, das erfüllt er mit Leben. Er findet einen Zugang zu den Erlebnis- und Gefühlswelten der beiden Jungs, neun und zwölf Jahre alt (Anton Franke und Camille Moltzen kriegt man nicht mehr aus dem Kopf), wie sie das miterleben, ohne es in fancy Worte zu fassen, weil sie es selbst gar nicht könnten und ihnen sowieso der nötige Abstand dazu fehlt. Unbeschwert ist die Kindheit nicht. Aber es ist eine Kindheit. Jungs tun, was Jungs tun. Am Rande bekommt man mit, sozusagen aus dem Augenwinkel, dass die Familie Zschornack zwar in ein neues Haus zieht, Bewegung nach oben möglich scheint, die Dinge so gut sind, wie sie es in der wirtschaftlich abgehängten Provinz im Osten eben sein können, aber sich bereits abzeichnet, dass es bald nur noch bergab gehen kann, Alkohol und Arbeitslosigkeit ein langsam, aber stetig wirkendes Gift sind, das Zusammen- und Rückhalt unmöglich macht. Eine Familie zerbricht vor unseren Augen, ohne dass es „Knack“ macht.
Dazu die endlose Monotonie des Alltags, Aggressionen in der Schule, in der die Hackordnung klar bestimmt ist und die Zschornack-Jungs garantiert nicht weit oben stehen, es aber doch gerne tun würden. Wer nicht? Wie Constanze Klaue das zeigt, hat das Allgemeingültigkeit: Diese Erlebniswelt ist nicht beschränkt auf den deutschen Osten, was sie zeigt, kennt jeder, der sich an diese Altersstufe zurückerinnert. Die Auswirkungen wiederum sind spezifisch, wenn sich die Ausweglosigkeit entlädt in sinnloser Zerstörung. „Hitler ist schwul“, brüllen Philipp und sein bester Freund in die Welt hinaus und freuen sich diebisch darüber, etwas Verbotenes zu tun, Grenzen zu überschreiten. Sie sind weder politisiert noch radikalisiert, sie suchen jedoch Anschluss an die Jungs, die den Ton angeben. Auch die sind keine Nazis, nicht wirklich, sondern Prolls durch und durch, die draufhauen wollen, um gesehen zu werden, die andere zahlen lassen wollen, bereit zu Blödsinn und Gewalt, was auch immer die Langeweile durchbricht und sie überlegen fühlen lässt.
Während die Kamera die Weite der Natur einfängt (tolle Bilder: Florian Brückner), wird die Welt für die Brüder immer enger. Radikalisierung ist eine Entscheidung. Man kann Ja sagen oder nicht. Diese Phase ist es, auf der der Fokus des Films liegt: Was passiert, wie es dazu kommt. Am Schluss springt der Film nach vorn, blickt darauf, was geworden ist. Einer der Brüder hat den Absprung geschafft, der andere nicht. Der Vater hat eine neue Frau („Vati trinkt jetzt nicht mehr“), die Mutter muss allein über die Runden kommen. Es ist Jahrmarkt, das Riesenrad dreht sich. In der Entfernung brennt eine Flüchtlingseinrichtung. Man hat Gänsehaut, weil das letzte Bild so erschütternd ist, aber eine fast poetische Schönheit besitzt. Ein besonderer Film ist Constanze Klaue gelungen, produziert von Flare Film (Gabriele Simon, Martin Heisler) und Chromosom Film(Alexander Wadouh, Roxana Richters), eine Erfahrung, die rüttelt und schüttelt. Die Faust, die in die Welt schlägt, trifft ihr Ziel. Mitten in die Magengrube.
Thomas Schultze