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REVIEW BERLINALE: „Christy“


Einfühlsames Porträt eines fast 18-Jährigen im irischen Cork, der wieder bei seinem älteren Bruder wohnen kann, bis eine neue Familie für ihn gefunden ist.

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„Christy“ von Brendan Canty (Credit: Sleeper Films, Wayward Films, Nite Owl Film & TV)

CREDITS:
Land / Jahr: Irland 2025; Laufzeit: 96 Minuten; Regie: Brendan Canty; Drehbuch: Alan O’Gorman; Besetzung: Danny Power, Diarmiud Noyes, Emma Willis, Alison Oliver, Helen Behan, Chris Walley; Festival: Berlinale Generation 14plus

REVIEW:
Einen zärtlichen Film über ein hartes Leben hat Brendan Canty (nicht der gleichnamige Schlagzeuger von Fugazi, sondern ein junger irischer Filmemacher) gemacht. Über zwei Leben. Über viele Leben in Cork, eigentlich, eine ganze Nachbarschaft in der zweitgrößten Stadt des Landes am äußersten Zipfel Irland, im Mittelpunkt ein Brüderpaar, das immer schon Abstand zueinander wahrte und nun üben muss, unter demselben Dach über einen stillschweigenden Burgfrieden hinauszukommen. Denn Christy – den Canty bereits in dem gleichnamigen Kurzfilm von 2019 erstmals zeigte, auch damals schon von Danny Powergespielt – ist ein „Problemjunge“, rochiert seit dem Tod der Mutter von einer Pflegefamilie zur nächsten. Merke: Nur die wenigsten Foster-Familys sind so mitfühlend und zart zu den Kindern wie in dem wunderbaren „The Quiet Girl“ von Colm Bairéad (nach der Romanvorlage „Foster“ von Claire Keegan). Kurz vor seinem 18. Geburtstag ist Christy nach einem Übergriff wieder mal rausgeflogen und zieht jetzt bei seinem Bruder Shane ein, gespielt von Diarmiud Noyes. Zwischenzeitlich, bis die Behörde etwas Neues gefunden hat: „Das wird schwer werden bei einem Kerl in diesem Alter.“ In ein Heim mit anderen Jungs will Christy nicht. 

Und zieht ein bei Shane. Dort ist vorsichtiges Abtasten angesagt. Shane hat mit seiner Frau Stacey gerade eine Tochter bekommen, und so ganz hat sich der neue Alltag noch nicht eingespielt. Christy ist also ein Fremdkörper, auch wenn besonders Stacey, gespielt von Emma Willis, die ohnehin die Hosen anhat und sagt, wo es langgeht, ihn willkommen heißt. Shane ist sich weniger sicher, hat schon zu viel Mist mit seinem Bruder erlebt und sieht nicht recht ein, dass ihm all das zufliegen soll, wofür er als Malermeister hart erarbeitet hat. Es stimmt. Christy ist kein Sympathieträger, er ist einsilbig, zurückhaltend und keine Schönheit: Sein Kopf sieht aus wie aus grobem Stein gehauen, ein grobschlächtiger Typ, will man meinen. Die Kamera von Bildgestalter Colm Hogan sendet indes andere Signale aus. Ganz behutsam ist sie mit dabei und sieht unbeteiligt zu. Ohne jemals die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, lässt der Film nach und nach ein behutsames Bild einer kleinen Gemeinde entstehen. Und Christy ist mittendrin, mit seinen wachen Augen und einer offenkundig großen Empathie für andere Menschen, die es auch nicht einfach haben und bisweilen noch deutlich schwerer als er. 

Er hilft bei seinem Bruder aus und macht sich dann mit einem unverkennbaren Talent beim lokalen Friseur verdient: Das „Christy-Special“ lockt alsbald die gesamte Nachbarschaft an. Wenn keiner hinschaut, grinst der Junge verschmitzt und stolz. Und doch hängt immer eine Bedrohung über seinem Kopf, wie eine dunkle Wolke. Für ihn ist es eine Rückkehr in die Gemeinde, in der seine Mutter gestorben ist und die er danach verlassen hat. Er hat alle Erinnerungen verdrängt, aber man erinnert sich an ihn, und über seinen Cousin gerät er auch in Kreise, in denen man nicht unbedingt verkehren sollte, wenn man nicht irgendwann im Knast landen will. Um den Weg, den er wählen wird, geht es in „Christy“, und weil man doch immer mehr mit ihm bangt, merkt man, dass einem der Film kalt reinläuft, wie sehr man gepackt ist von diesem gefühlvollen Blick auf einen Jungen, der immer nur auf die Fresse bekommen und sich dennoch seine Menschlichkeit und Fürsorglichkeit bewahrt hat. Die Handlung spitzt sich zu, und Shane fürchtet das Schlimmste, konfrontiert sogar den Schlimmfinger des Viertels und stellt dabei selbst verblüfft fest, dass er seinen Bruder tatsächlich liebt. 

Die Bilderfolgen im letzten Akt sind bisweilen furios. Da lässt Brendan Canty aufblitzen, dass er mehr ist als nur ein Chronist einer verlorenen Jugend in einer vermeintlich trostlosen Welt. Auf einmal sind da Nahaufnahmen, Momentaufnahmen, Ausschnitte, die unterstreichen, was wichtig ist. Sein Film feiert die Stärke der Gemeinschaft, der Solidarität zueinander, feiert Freundschaft und Familie, bleibt dabei im Ansatz immer naturalistisch und vor allem realistisch, mit einer ganz unbändigen Energie, wie man sie erzeugt, wenn man dem wahren Leben auf der Spur ist. Fasziniert hört man den Menschen zu, wie sie in ihrem breiten irischen Akzent miteinander sprechen, sich gegenseitig „Boy“ nennen (und „Bei“ sagen), sieht zu, wie sich Blicke kreuzen oder die Menschen aufeinander blicken. Stets ist da mehr Wärme, als es zunächst scheint, ein Bemühen darum, dass es den Leuten bei aller Aussichtslosigkeit der Situation gutgeht in dieser Gemeinde, working class heroes allesamt. Man schließt sie ins Herz. Wie sie da sitzen beim Freudenfeuer ganz am Schluss. Das vergisst man nicht so schnell. 

Thomas Schultze