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REVIEW KINO: „Das Klezmer Projekt“

Ungewöhnlicher Dokumentarfilm über einen jungen Filmemacher, der bei Dreharbeiten unwillentlich auf seine eigenen Wurzeln stößt. 

CREDITS:
O-Titel: Adentro mío estoy bailando; Land/Jahr: Argentinien/Österreich, 2023; Laufzeit: 118 Minuten; Regie: Paloma Schachmann, Leandro Koch; Drehbuch: Paloma Schachmann, Leandro Koch; Besetzung: Paloma Schachmann, Leandro Koch, Perla Sneh, Rebeca Yanover, César Lerner, Marcelo Moguilevsky, Bob Cohen, Ivan Popovych, Simkhe Nemet, Vanya Lemen; Verleih: Film Kino Text; Start: 30. Mai 2024

REVIEW:
Leandro ist ein mittelmäßiger Hochzeitsfilmer in Buenos Aires, der sich nicht wirklich für die jüdische Religion seiner Familie interessiert – bis er sich bei einem seiner Jobs in die Klezmer-Klarinettistin und Musikwissenschaftlerin Paloma verliebt. Da diese für Recherchen nach Osteuropa reist, gibt er vor, an einem Dokumentarfilm über die aussterbende jiddische Kultur zu arbeiten, um in ihrer Nähe zu sein. Er folgt ihr über Österreich, wo er sich die Unterstützung eines befreundeten Produzenten sichert, in die Ukraine und nach Rumänien. Dort spürt er zwar Paloma auf, aber immer noch nicht das, was er eigentlich zeigen wollte. Als die Finanzierung des Projekts auf der Kippe steht, weil Leandro weiterhin keine einzige Klezmer-Band gefilmt hat, fährt er schließlich allein weiter nach Moldawien, wo er überraschenderweise findet, wonach er bis dahin gar nicht gesucht hat. 

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„Das Klezmer Projekt“ (Credit: Filmgarten)

Das Klezmer Projekt“ ist weniger eine Doku als ein Film über das Scheitern einer Doku. Die Musikerin Paloma Schachmann und der Filmemacher Leandro Koch verbinden in ihrem Kinodebüt sehr smart und raffiniert Fakt und Fiktion, Gegenwart und Geschichte, Kultur und Politik. Indem sie dem realen Geschehen eine unterhaltsame Metaerzählung hinzufügen, deren sympathische Hauptrollen sie auch gleich selbst spielen, und indem sie ein eher unpopuläres Thema persönlich machen, sprechen sie ein Publikum an, das mit Klezmer und „jüdischen Hütchen“ eigentlich nichts am Hut hat – wie es Leandro gleich zu Beginn auch von sich selbst behauptet. Er ist ein Hochstapler wie der Totengräber, der sich mit einer List die Zuneigung der Tochter eines Rabbis erschwindelt. Die Geschichte von Yankel und Taibele, off-screen in jiddischer Sprache von einer Erzählerinnenstimme vorgetragen, begleitet die fiktive Lovestory von Leandro und Paloma, die die Handlung vorantreibt. Beides bildet den Rahmen für eine Art kulturwissenschaftliche Schnitzeljagd, die mit einer Hochzeitsfeier beginnt – und dem im Grunde genommen einzigen Auftritt einer „echten“ Klezmer-Band, die im Laufe von knapp zwei Stunden gezeigt wird. 

Während die Filmemacher im Dreiländereck Ukraine-Rumänien-Moldawien an Türen klopfen, um Künstler zu finden, die noch die alten Festtagslieder der aschkenasischen Juden kennen, stoßen sie stattdessen auf die unterschiedlichsten, damit verwandten Spielarten von Folklore. Man sieht und hört gern dabei zu, wie der amerikanische Ethnologe Bob Cohen, der die Protagonisten bei ihrer Arbeit unterstützt, gemeinsam mit den einheimischen Musikern zur Gitarre greift. Mit den Menschen, die die Crew in ihre Häuser einlädt, eröffnen sich immer wieder Erzählstränge, die Leandro aus purer Neugier aufgreift – wodurch Tempo und Forschungsinteresse gelegentlich auf der Strecke bleiben, die Doku aber neue, ungeahnte Richtungen einschlägt. So wird dann aus dem musikalischen Roadtrip durch bislang unbekannte Länder und Landschaften vor allem eine Reise zu den eigenen Wurzeln. Bis am wehmütigen Ende des Films und am anderen Ende der Welt schließlich der Ort auf Leandro wartet, von dem seine verstorbene Großmutter immer erzählt hat. Und endlich auch eine Klezmer-Band. 

Corinna Götz