Am Sonntagabend wird der zehnte Schweizer „Tatort“ mit den Ermittlerinnen Isabelle Grandjean und Tessa Ott ausgestrahlt. Anna Pieri Zuercher und Carol Schuler geben im Interview Einblick in ihr Zusammenspiel und ihre Einbeziehung, sprechen über die öffentliche Aufmerksamkeit, ihre Wünsche und weitere Projekte.

Die Folge „Kammerflimmern“ ist bereits ihr zehnter „Tatort“, eine beachtliche Wegstrecke, gleichzeitig sind die Gedanken an Ihren ersten, „Züri brännt“ noch ganz frisch. Wie fühlt es sich für Sie an?
Carol Schuler: Bei uns ist es ähnlich. Wir denken auch, huch, schon zehn? Das ging schon wie im Flug. Andererseits, wenn wir dann drehen und durch Zürich fahren, fällt uns auf, an wie vielen Ecken von Zürich wir schon Mordopfer gefunden haben.
Anna Pieri Zuercher: Vor einer Woche hatten wir ein Interview. Da hat man uns noch einmal den Anfang unseres ersten Falls gezeigt. Und wir haben unsere Figuren kaum erkannt. Es fühlte sich so weit entfernt an.
Carol Schuler: Es ist eine Mischung aus, es fühlt sich an wie gestern, aber trotzdem ist in der Zwischenzeit viel passiert und wir haben uns weiterentwickelt.
Anna Pieri Zuercher: Aber gleichzeitig haben wir gedacht, die Szene war schon cool. Für eine erste Szene war es nicht so schlecht.
Carol Schuler
„Eine Kommissarin zu spielen stand nicht auf meiner To-do-Liste.“
Mussten Sie damals lange überlegen, als Sie das Angebot für den „Tatort“ bekommen haben?
Carol Schuler: Ich habe schon etwas Zeit gebraucht, weil es sehr überraschend kam und ich davor ganz andere Rollenanfragen bekommen habe. Eine Kommissarin zu spielen stand tatsächlich nicht auf meiner To-do-Liste. Und in einem Interview hatte ich mal gesagt, „Tatort“-Kommissarin sei nicht gerade eine Traumrolle. Ich war eher auf Figuren, die auf der anderen Seite des Gesetzes standen, abonniert und fand die auch immer spannender. Deshalb habe ich hin und her überlegt, auch ob ich das überhaupt kann, ob man mir das glaubt. Ich wollte es schließlich machen, weil es für mich eine Herausforderung war und immer noch ist, eine Polizistin zu spielen, jemanden, der so präzise und analytisch, so professionell in seinem Beruf ist. So eine Rolle hatte ich davor noch nie gespielt.
Anna Pieri Zuercher: Für mich war es das erste Casting auf Deutsch. Ich habe zuerst meine Schwester angerufen, die in München lebt und sie gefragt, ob sie diese „Tatort“-Serie kennt. Und sie war ganz aus dem Häuschen. Dadurch war der Druck plötzlich so hoch, und ich dachte, es wird nie klappen. Ich meine, wer bin ich? Niemand kennt mich. Mein Deutsch ist nicht perfekt… Dann bin ich zum Casting gekommen, Carol war da schon besetzt. Und es ist so gut zwischen uns gelaufen, ich hatte so viel Spaß, mit ihr zu spielen, dass ich nur noch dachte, es muss klappen.
Und dann?
Anna Pieri Zuercher: Dann kam der Anruf, ja, du bist die neue Kommissarin. Ich sagte nur so: Okay. Danke. Auf Wiederhören. Ich habe aufgelegt und danach zwei Wochen lang darauf gewartet, dass es wieder klingelt und jemand sagt, Entschuldigung, es war ein Fehler. Wir haben den falschen Namen in der Liste angerufen.
Carol Schuler: Nach dem Casting war für mich eindeutig, dass Anna die Richtige für die Rolle ist.

Frau Pieri Zuercher, wie würden Sie Tessa Ott, Ihre Kollegin im „Tatort“ beschreiben, was macht Sie aus?
Anna Pieri Zuercher: Tessa kommt immer zu spät, weil sie immer mit ihrem Fahrrad unterwegs ist. Das nervt Isabelle ein bisschen. Sie versteht ihre ökologische Position, aber sie könnte pünktlich sein. Sonst ist Tessa sehr klug. Sie ist sehr direkt, sie ist Rock and Roll. Sie hat eine starke Intuition, liegt damit nicht immer richtig, aber sie bringt uns damit immer weiter. Isabelle fühlt sich immer sicher mit ihr, auch wenn wir in gefährliche Situationen geraten, weil sie weiß, Tessa wird ihre Waffe für sie ziehen. Vor fünf Jahren war das noch nicht so. In diesen fünf Jahren hat Isabelle gelernt, dass sie sehr unterschiedlich sind, aber deswegen sind sie stark und zusammen das beste Team, das man sich vorstellen kann.
Was für einen Eindruck haben Sie von Isabelle Grandjean, Frau Schuler?
Carol Schuler: Isabelle Grandjean hat das beste Pokerface, das ich jemals gesehen habe. Das ist eine von ihren Superkräften. Und sie kann Sachen an sich abprallen lassen. Am Anfang hat das Tessa sehr eingeschüchtert, und sie hat das mit Gefühlskälte verwechselt. Aber je länger die beiden zusammen arbeiten, merkt sie, dass hinter der unterkühlten Fassade ein grosses Herz schlägt. Vielleicht hat sich Isabelle über die Jahre und durch ihre Biografie – ihre Mutter ist früh gestorben, sie musste Verantwortung für ihren Vater übernehmen – diese harte Schale antrainiert, die ihr als Polizistin sehr zugute kommt. Unter dieser Schale kommt peu à peu sehr viel Humor zum Vorschein. Tessa liebt an ihr diesen trockenen, scharfen Humor. Außerdem hat Isabelle auch eine Verletzlichkeit und eine Weichheit, die wir mit den verschieden Fällen immer mehr heraus kitzeln können, worüber ich mich sehr freue.
Tatsächlich fällt auf, dass sich Grandjean und Ott spürbar angenähert haben und das tut der Reihe auch gut. War Ihnen das wichtig?
Carol Schuler: Natürlich. Ich glaube, die anfänglichen Konflikte waren wichtig und richtig, weil die beiden so unterschiedlich sind. Je länger sie zusammenarbeiten, zeigen sie sich aber auch von anderen Seiten und lernen sich gegenseitig von anderen Seiten kennen. Sonst würde es langweilig. Sie sind wie Zwiebeln, bei jedem Fall wird eine weitere Schale abgezogen. Ich finde diese Entwicklung schön, sie lernen sich mit der Zeit wirklich schätzen und lieben. Mittlerweile blüht fast schon eine Art Freundschaft auf.
Anna Pieri Zuercher: Ich hätte das nie gedacht, aber nach diesen fünf Jahren habe ich das Gefühl, dass unsere Figuren auch etwas von uns angenommen haben. Wir geben unseren Figuren eine Farbe, und die kommt von uns, das ist nichts, was in der Produktions-Bibel steht.
Carol Schuler: Ich glaube, das ist fast unvermeidbar, wenn man so lange immer wieder die gleiche Figur spielt.
Wie stark bringen Sie sich grundsätzlich ein? Wie sehr sind eigene Ideen überhaupt gefragt?
Carol Schuler: Natürlich bringen wir uns uns sehr ein, und das ist auch gewollt. Die meisten Autor:innen fragen uns auch nach unserer Meinung. Und wir geben Feedback, ob wir finden, dass die Figur richtig getroffen ist, z.b in der Musikalität der Sprache. Oft legen wir uns die Worte noch ein bisschen mehr in den Mund. Die Schlussverantwortung, was den jeweiligen Fall betrifft, liegt natürlich bei Regie, Redaktion und Drehbuch. Da ist unser Mitspracherecht begrenzt. Aber, was unsere Figuren betrifft, reden wir schon viel mit, da wir sie mittlerweile auch am besten kennen
Anna Pieri Zuercher: Ja. Wir arbeiten mehr an den Dialogen, nicht an der Geschichte. Aber die Autor:innen und Regisseur:innen freuen sich über unser Feedback.
In „Kammerflimmern“ wird ja ein weiterer irrer Fall erzählt, das wollen wir gar nicht spoilern. Interessant ist aber auch, dass die familiären Verhältnisse von Tessa Ott neu geordnet werden und die Konfrontation mit den Eltern eher einem Miteinander weicht. Wie kam es dazu?
Carol Schuler: Als Schauspielerin wünscht man sich immer solche Verwicklungen. Es ist eine Möglichkeit, aus dieser professionellen Ermittlerrolle auszubrechen und ein bisschen mehr in die Seele der Figur zu gucken. Das bringt Abwechslung und gibt der Figur eine andere Tiefe. Dem Zuschauer wird ermöglicht, die Figur von einer anderen Seite, fast schon „privat“ kennenzulernen.

Die Backstory Ihrer Figur nahm in der Folge „Fährmann“ großen Raum ein. Es scheint, als wären hier auch noch einige Türen offen für weitere Entwicklungen.
Anna Pieri Zuercher: Ich hoffe es. Wir wissen es aber nicht.
Gibt es da keinen großen Erzählbogen, der schon weiter in die Zukunft gespannt wurde?
Carol Schuler: Es gibt Ideen.
Anna Pieri Zuercher: Und Wünsche.
Carol Schuler: Und Versprechungen, die uns gemacht wurden. Wir haben ein paar Teaser, wo es hinführen könnte. Aber in der Drehbuchentwicklung werden wir erst zu einem späteren Zeitpunkt eingebunden. Die Anfangsentwicklung ist Redaktionssache. Also ich freue mich, wenn noch mehr private Verstrickungen auftauchen. Zum Beispiel wäre es für Tessa jetzt mal langsam Zeit für eine wirkliche Liebesgeschichte, die haben sie mir bis jetzt verwehrt.
Anna Pieri Zuercher: Ich möchte eine echte, große Actionszene. Also ja, wir haben ganz viele Ideen.
Gibt es unter den bisherigen zehn Filmen einen Lieblingsfilm?
Anna Pieri Zuercher: „Von Affen und Menschen“ ist unser Lieblingsfilm.
Meiner natürlich auch, ich habe ihn gefeiert. So ein Film, bei dem alles passt und es keine Konventionen zu geben scheint, passiert einmal im Jahrhundert.
Carol Schuler: Schön, dass Sie das auch sagen. Wir versuchen, noch einmal so einen hinzukriegen. Da war so viel Spielfreude und eine wahnsinnige Kreativität. Dieses Unkonventionelle mögen wir total.
Anna Pieri Zuercher: Die Freiheit für unsere Figuren war bei diesem Film besonders groß.

In Deutschland ist der „Tatort“ ein Riesenthema, fast jede Zeitung, jeder Mediendienst berichtet darüber. Wie nehmen Sie das wahr?
Anna Pieri Zuercher: Für mich war es eine große Überraschung, dass mich die Leute in Deutschland kennen. Ich war bei einer Freundin in Norddeutschland zu Besuch. Auf einem Flohmarkt werde ich plötzlich angesprochen, ich sei doch die Kommissarin aus Zürich. Im französischen Teil der Schweiz, in Frankreich oder Italien gibt es so etwas nicht, dass die Leute am Sonntagabend alle das gleiche anschauen. Das liebe ich an diesem „Tatort“-Ding, es bringt die Leute zusammen. Meine Schwester lädt Freunde ein, man isst und trinkt zusammen und dann wird „Tatort“ geschaut. Und am Montagmorgen bei der Arbeit, beim gemeinsamen Kaffee wird wieder über den „Tatort“ geredet. Die Leute haben den Film geliebt oder sie haben es gehasst, aber es ist egal, weil es etwas Soziales hat.
Wie ist es mit Ihnen Frau Schuler, geht Ihnen diese Omnipräsenz des „Tatorts manchmal auf die Nerven, zumal die Kritik oft nicht zimperlich ist?
Carol Schuler: Nein, auf die Nerven geht es mir überhaupt nicht. Natürlich probieren wir immer den bestmöglichen Film zu machen. Wenn jetzt mal die Kritiken schlecht sind, ist das übermorgen wieder Schnee von gestern. Ich bin immer wieder positiv überrascht, was für ein breites Publikum durch verschiedene Gesellschaftsschichten und Altersgruppen der „Tatort“ anspricht. Es ist ein Phänomen, wie eine Krimireihe zu so einem Kult werden kann. Als ich mit 18 nach Berlin gezogen bin, habe ich in einer WG gewohnt mit zehn, elf Leuten, und die haben auch immer rituell sonntags „Tatort“ geguckt.
Anna Pieri Zuercher
„Durch die ‚Tatort‘-Rolle bin ich in der Romandie interessanter geworden.“
Bekommen Sie durch ihr „Tatort“-Engagement inzwischen vermehrt Anfragen aus Deutschland?
Anna Pieri Zuercher: Also bis jetzt nicht. Ich habe einen Akzent, wenn ich auf Deutsch rede, der bleibt. Aber ich würde sehr gerne Rollen, die einen Akzent haben, spielen. Aber es gibt immer mehr Serien, an denen verschiedene Länder beteiligt sind, um sie finanzieren zu können. Und das kann für mich interessant werden. Bei mir ist es so, dass ich durch die „Tatort“-Rolle in der Romandie viel interessanter geworden bin. Wenn dort eine Serie gedreht wird, werde ich angefragt, weil ich inzwischen in der Deutschschweiz ein Verkaufsargument bin.
Wenn man Ihnen zuhört hat man den Eindruck, dass Sie noch große Lust auf Grandjean und Ott haben. Darf man sich noch auf viele „Tatorte“ mit Ihnen freuen?
Carol Schuler: Ja, da kommen schon noch ein paar. Wir arbeiten so gerne zusammen und es gibt noch einige Geschichten zu erzählen. Wir drehen gerade den elften und bereiten den zwölften bereits vor.
Und was steht über den „Tatort“ hinaus noch für Sie an? Bei Ihnen, Frau Ott, wissen wir, dass man Sie bald im Kino, in „Franz K.“ sehen kann.
Carol Schuler: Genau, da freue ich mich sehr darauf. Außerdem habe ich diesen Sommer die Serie „Das Manko“ fürs ZDF gedreht. Das ist ein sehr besonderes Projekt für mich, weil ich es mit zehn anderen Schauspielkolleg:innen selber entwickelt und geschrieben habe. Daran sitzen wir schon seit fünf Jahren, die Idee eine eigene Serie zu schreiben kam während Corona auf. Die Serie erscheint vermutlich nächstes Frühjahr im ZDF. Ich finde es ein sehr spezielles und eigenwilliges Projekt und bin sehr gespannt, wie die Leute darauf reagieren.
Ein kurzer Teaser, was erwartet uns bei „Das Manko“?
Carol Schuler: Elf Büroangestellte gehen auf eine Odyssee, bei der nichts so kommt, wie es soll.
Was steht bei Ihnen an, Frau Pieri Zuercher?
Anna Pieri Zuercher: Ich habe diesen Sommer in der Romandie auch eine Serie gedreht, sie heißt „Uniformes“. Es ist auch eine Polizeiserie, aber es geht nicht um die Fälle, mehr um die Beziehungen zwischen den Polizist:innen. Und ich habe bei meinem ersten Kurzfilm „Cherubs“ gemeinsam mit meinem Mann, Pietro Zuercher, der als Director of Photography tätig war, Co-Regie geführt. Carol ist darin in einem Cameo-Auftritt zu sehen und hat außerdem einen Song beigesteuert. Mit diesem Film gehen wir nun auf Festival-Tour.
Toll. Dann führen wir das nächste Interview mit den Filmemacherinnen Schuler und Pieri Zuercher!
Carol Schuler: Genau. To be continued.
Das Interview führte Frank Heine