Endlich gibt es den neuen Trailer zu „The Wild Robot“ – eines der absoluten Highlights auf der CinemaCon im April. SPOT hatte die Gelegenheit, mit Regisseur Chris Sanders über seinen ambitionierten neuen Animationsfilm zu sprechen, den Universal am 12. September in die Kinos bringen wird.
Können Sie knapp zusammenfassen, worum es in „The Wild Robot“ geht, warum es ein Stoff für Sie ist?
Chris Sanders: Es geht darum, unsere Programmierung zu übertreffen. Das ist der Film in einem Satz. Das ist die Botschaft, die das Buch schon so unwiderstehlich gemacht hat. Roz landet auf dieser Insel mit einer bestimmten Programmierung und sie bekommt es mit wilden, gefährlichen Tieren zu tun, die wiederum ihre Programmierung haben. Um überleben zu können, müssen sie gemeinsam lernen, ihre Programmierung zu übertreffen. Wenn Sie mich fragen, ist das eine ziemlich heftige Botschaft, absolut gewagt, aber auch charmant, entwaffnend und betörend, die Peter Brown aus seinem Buch sprechen lässt. Als wir uns unterhielten, verriet er mir eine seiner Leitprinzipien, die er auf den Seiten niemals so ausspricht. Seine Überzeugung ist, dass Güte und Freundlichkeit eine Überlebensstrategie sein kann. Als er mir das sagte, wusste ich sofort, dass ich diesen Satz im Drehbuch unterbringen würde, weil die Tiere natürlich überzeugt sind, dass genau das nicht zutrifft: Es kann einen das Leben kosten, wenn man die Deckung sinken lässt. Roz ist anders programmiert.
War das „Gewagte“, das Sie gerade angesprochen haben, etwas, das Ihnen reizvoll erschien?
Chris Sanders: Mich interessieren Figuren, die subtil sind, multidimensional, widersprüchlich, die schwere Entscheidungen treffen müssen. Mich interessieren Figuren, die mich stolz sein lassen auf das, was sie erreichen. Man muss kein Superheld sein, um Superdinge zu machen. Ich mag Figuren, die sich anfühlen wie Menschen, die ich kenne oder kennen könnte, und die Dinge anstreben, die auch ich an meinen besten Tagen anstrebe. Ich mag Figuren, die zugänglich sind. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Wenn ganz normale Figuren außerordentliche Dinge leisten, ist das für mich das Größte, was man auf der Leinwand zeigen kann. Ich will Filme machen, die die Herzen der Zuschauer erobern und sie inspirieren, auf unterschiedlichste Weise.
Wie sind Sie bei der Adaption vorgegangen? Worüber haben Sie mit Peter Brown gesprochen? Wie konnte sein Stoff Ihr Stoff werden?
Chris Sanders: Die Reise von Roz bildet das Zentrum der Geschichte. Da sind wir ganz eng am Buch geblieben, das wollten wir bewahren. Ebenso wollten wir die Wirkung bewahren, die sie auf die Insel hat, und die Wirkung, die die Insel auf sie hat. Das ist der Schlüssel zu „The Wild Robot“. Hätte man daran geschraubt, wäre es nicht mehr „The Wild Robot“ gewesen. Es ist eine gute Geschichte, deshalb wollten wir sie erzählen. Das Design von Roz im Buch ist sehr spezifisch und gleichzeitig offen für neue Details. Peters Stil ist ausgesprochen grafisch. Er verriet uns, dass Roz humanoid ist, weil es ihre Rolle in der menschlichen Welt ist, an der Seite der Menschen zu arbeiten. Sie muss also die Form eines Menschen haben, um die entsprechenden Arbeiten verrichten zu können. Unsere Herausforderung war, einen Roboter zu gestalten, der sich nahtlos fügt in die Ahnenhalle berühmter Filmroboter wie „Der Gigant auf dem All“, C3PO, R2D2, Wall•E oder der Roboter aus „Forbidden Planet“. Das war einschüchternd, macht aber natürlich auch Freude. Einer unserer Zeichner knackte den Code. Er brachte eine Skizze zu einem Meeting mit, und das war’s. Haarig war für unsere Zeichner, dass unsere Roz keinen Mund hat – die große, entscheidende Änderung im Vergleich zum Buch, wo sie mit einem rudimentären Mund gezeichnet wurde. Aber mir gefällt eine solche Anforderung: Wenn die Zeichner mit Limitierungen zu kämpfen haben, sind sie angehalten, bessere Figuren zu entwerfen. Unsere Tiere sehen aus wie richtige Tiere. Für uns war das eine frische und ungewöhnliche Arbeit, die Animatoren haben sich mit Begeisterung darauf gestürzt. Es gab gewisse Dinge, die ich als Drehbuchautor vereinfachen musste, um den wichtigsten Aspekten der Geschichte den nötigen Raum zu geben und wachsen zu lassen. Aber alles war immer mit Peter Brown abgesprochen, der uns sehr gute Anmerkungen zukommen ließ.
Klingt alles sehr harmonisch. Was war es denn, das am schwierigsten war?
Chris Sanders: In technologischer Hinsicht war es definitiv der Gemälde-artige Look. Wir waren im richtigen Studio zur richtigen Zeit mit dem richtigen Buch. Die Designer, Künstler und Ingenieure griffen auf die Fortschritte zu, die sie bei „Der gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch“ und „Die Gangster Gang“ erzielt hatten, ein Look, der etwas illustrativer war, etwas kantiger, und sie entwickelten das weiter. Ich gebe Ihnen gleich mal ein gutes Beispiel. Am Anfang ließ ich ein paar der talentiertesten Zeichner zur Inspiration Zeichnungen anfertigen, bei denen sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen sollten und gerne auch weniger perfekt aussehen durften. Diese Arbeiten neigen dazu, deutlich lockerer zu sein, entspannter und zugleich sehr lyrisch. Mir war es ein Anliegen, dass der fertige Film genau diesen Zeichnungen entsprechen sollte. Was soll ich sagen? Es ist uns gelungen.
Sie haben gerade gesagt „in technologischer Hinsicht“…
Chris Sanders: … und wollte gleich noch auf den anderen Aspekt hinweisen, der erzählerischer Natur ist. Roz war für mich die härteste Nuss. Es ging darum, eine liebenswerte, glaubhafte Figur zu erschaffen, die eine Wandlung durchläuft, ohne in die üblichen Klischees zu verfallen: Oh, sie ist ein Roboter, der den Mensch in sich entdeckt! Oh, sie entdeckt ihre Gefühle! Nein, sie sollte eine Wandlung durchlaufen, die viel komplexer ist und letztendlich auch zufriedenstellender. Sie sollte neue Dimensionen an sich entdecken. Sehr früh habe ich unseren Tonchef gefragt, Randy Tom von Skywalker: Wie weit ist die Technologie, was computergenerierte Stimmen anbetrifft? Ich war einfach nur neugierig, wie das klingen würde. Seine Antwort war eindeutig: Computergenerierte Stimmen lassen sich nicht mehr von menschlichen Stimmen unterscheiden. Da gibt es kein Schnarren mehr, kein Klackern. Sie klingen wie wir. Das waren gute Nachrichten für uns. Es befreite uns von dem Zwang, den Roboter wie einen Roboter klingen zu lassen. Lupita Nyong’o konnte einfach so sprechen und klingen, wie sie spricht und klingt. Was der Roboter als Figur an Wachstum durchmacht, konnte sie mit ihrer Stimme darstellen. Sie hat wahnsinnig hart daran gearbeitet, das in allen Nuancen durchzuspielen.
Was ist an „The Wild Robot“ anders als Ihre bisherigen Filme?
Chris Sanders: Die emotionale Größe, würde ich sagen. Ich habe bei diesem Film mehr Wert auf die Musik gelegt als jemals zuvor. Das war für mich von Anfang an klar. Wegen der Wildheit im Kern der Geschichte und den weit offenen Flächen und was der Roboter zu lernen hatte, habe ich an Dialog bestenfalls 50 Prozent von dem, was man bei Animationsfilmen gewohnt ist, und entsprechend mehr Musik. Eine Schlüsselfigur war unser Komponist Kris Bowers, ein für mich neuer Filmkomponist, mit dem ich noch nicht gearbeitet hatte. Ich fange besser nicht an, in die Details zu gehen, weil wir dann den ganzen Tag zusammensitzen. Ich sage jetzt einfach: Seine Arbeit ist umwerfend. Er hat meine größten Erwartungen bei Weitem übertroffen.
Vor „The Wild Robot“ haben Sie mit „Ruf der Wildnis“ Ihr Debüt als Realfilmregisseur gegeben. Haben Sie etwas aus dieser Erfahrung mitgenommen, dass Sie bei der Arbeit an Ihrem neuen Film nutzen konnten?
Chris Sanders: Ich würde sofort wieder einen Spielfilm drehen. Es war eine tolle und wichtige Erfahrung für mich. Jede Form des Filmemachens hat ihre eigenen Anforderungen und Stärken. Realfilm ist ein Geschenk. Gerade für mich als Animationsregisseur. So nahe an den Schauspielern dran gewesen zu sein, über eine doch sehr lange Zeit, ein sehr intimer Prozess, hat mich viel gelehrt. Es lässt mich einen besseren Regisseur sein. Für „The Wild Robot“ und sicherlich auch alle künftigen Projekte hat es mir die Augen geöffnet, ganz früh viel intensiver über die Figuren nachzudenken, über die Rollen. Das war praktisch. Die erste Stimme, die wir aufnahmen, war die der Hauptfigur, Roz, also Lupita Nyong’o. Aufgrund meiner Erfahrung mit „Ruf der Wildnis“ war die Arbeit mit ihr viel intensiver und gewinnbringender.
Einer der größten Momente im Trailer – und gewiss auch im Film – ist Roz‘ Erklärung: „Ich bin ein wilder Roboter!“ Können Sie erklären, was „wild“ im Zusammenhang mit Ihrem Film bedeutet?
Chris Sanders: Eingangs habe ich schon gesagt, dass Roz wie auch die Tiere jeweils ihre ganz eigene Programmierung haben, die gegenseitig Wirkung zeitigen. Für Roz ist es der Höhepunkt des Weges, den sie auf der Insel zurückgelegt hat, wenn sie sich hinstellt und sagen kann: „Ich bin ein wilder Roboter!“. Sie hat ihre Programmierung besiegt. Als sie auf der Insel landet, ist sie ein wertvolles Arbeitsgerät, das die Firma, die sie hergestellt hat, gerne zurückhaben würde. Die Firma geht davon aus, dass der Roboter an Land gespült wird uns vor hinrostet, ohne jemals aktiv zu werden. Stattdessen beginnt Roz zu leben und zu arbeiten und Dinge zu unternehmen. Das fasziniert die Firma, und es ist Anlass zur Sorge. Als sie wieder eingesammelt werden soll, hat sie für sich die Entscheidung getroffen, nicht mehr nach Hause zurückkehren zu wollen. Die Insel ist jetzt ihr Zuhause. Erstmals steht sie für sich selbst ein, erklärt ihre Unabhängigkeit. Es gibt jetzt Dinge, an die sie glaubt. Und sie weiß, dass sie ihre Insel beschützen und verteidigen wird. Sie hat sich verändert, sie hat ihre Programmierung verändert, und sie hat die Kultur auf der Insel verändert. Ja, das ist ein wichtiger Moment, ein Wendepunkt.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.