Mysterythrillerserie über eine Familie, die in ihrem neuen Haus in der Provinz eine Haushaltsroboterin mit Geheimnis vorfindet.
FAST FACTS:
• Nach „Liebes Kind“ und „Achtsam morden“ die nächste deutsche Thrillerserie auf Netflix
• Topbesetzung mit Lavinia Wilson und Mina Tander
• Produziert von Rat Pack Filmproduktion
• Weltpremiere bei den Fantasy Filmfest White Nights 2025
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2025; Laufzeit: 6 x 45 Minuten; Showrunner & Regie: Benjamin Gutsche; Executive Producer: Amara Palacios; Produktion: Eva Stadler, Christian Becker; Bildgestaltung: J. Moritz Kaethner; Besetzung: Lavinia Wilson, Mina Tander, Michael Klammer, Franz Hartwig, Mary Tölle, Joshua Kantara, Elias Grünthal, Filip Schnack; Plattform: Netflix; Start:
REVIEW:
Einmal schon hat Benjamin Gutsche Fernsehgeschichte geschrieben, vor vier Jahren, mit „All You Need“, der ersten schwulen Serie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die es auf zwei Staffeln schaffte. Auf den ersten Blick bringt man nicht gleich zusammen, dass die erste große deutsche Netflix-Serie im Jahr 2025 von demselben Mann ist, eine retrofuturistische Horrorgeschichte, verteilt über sechs Folgen, die von einer vierköpfigen Familie erzählt, die von der Stadt in die Provinz zieht, in den Prototyp eines Smarthomes, wo sie der weibliche Haushaltsroboter Cassandra erwartet. Was da in einer Ahnenlinie steht mit den vorangegangenen Hits „Liebes Kind“ und „Achtsam Morden“, also Genre mit internationalem Appeal, aber unverkennbar made in Germany, und auf Anhieb Assoziationen weckt mit „M3gan“ und der Apple-Serie „Sonny“, verbirgt indes hinter seinem deutschen Fernsehstoffen der Siebzigerjahre wie „Das Millionenspiel“ entlehnten Look und der stringent durchdeklinierten Spannungsdramaturgie durchaus auch einen Blick auf gesellschaftliche Tabus.
Wie Gutsche in seine auf zwei zeitlichen Ebenen aufgebaute und sich dadurch parallel zuspitzende Handlung auch eine fast zärtliche Liebesgeschichte zwischen zwei Jungs einbaut und en passant etwas von Mobbing und Homophobie erzählt im Deutschland von hier und jetzt, hat etwas anrührend Entwaffnendes. Er schlägt damit einen Bogen zum größeren Narrativ, das sich erst nach und nach offenbart, eine Geschichte über das Fremde und Ausgestoßene, was gesellschaftlich erlaubt ist und was nicht, eine Variation der Frankenstein-Geschichte und damit über Verzweiflung und Wahnsinn, ein Versuch, dem Tod eine Schnippchen zu schlagen, mit einem Mad Scientist, wie er in den Edgar-Wallace-Filmen von Pinkas Braun gespielt worden war. Das macht er geschickt in dieser Produktion von Rat Pack Filmproduktion, deren bloße Existenz Erinnerungen an eine Kindheit in den Siebzigerjahren vor dem Fernsehen und in Matinee-Vorführungen geschuldet ist.
Aber zunächst ist da die Familie ohne Nachnamen, die nach einem traumatischen Erlebnis die Stadt verlässt, um sich in einem neuen Haus in der Provinz wieder zu sammeln und einen Weg nach vorn zu finden. Papa David, gespielt von Michael Klammer, der für Showrunner Gutsche schon in der Serie „Arthurs Gesetz“ mitgespielt hatte und unlängst erst in „Das Lehrerzimmer“ zu sehen war, und Mama Samira, gespielt von Mina Tander, der man öfters so schöne Rollen geben sollte, hätten ein bisschen Zurückgezogenheit eigentlich dringend nötig, entdecken in dem neuen Haus, das auch eine Kulisse von „Raumpatrouille Orion“ hätte sein können, nicht nur in jedem Raum eigenartige Bildschirme an der Wand, sondern eben auch einen weiblichen Haushaltsroboter namens Cassandra, der aussieht wie ein japanischer Staubsauger mit Monitor oben drauf und zunächst einmal auch genau so furchterregend wirkt: Entscheidend ist aber, was drin ist in Cassandra, als sie nach 50-jähriger Pause wieder anspringt und sich mit dem Gesicht von Lavinia Wilson erst einmal sonnig benimmt, als befände sie sich in ständigem Wettstreit mit Johanna von Koczian und Tilly Lauenstein, dann aber alsbald Beschützerinstinkte entwickelt, die tiefe Abgründe erahnen lassen.
Woran das liegen mag, erforscht die Serie in ihrem zweiten Handlungsstrang, der mit zunehmender Dauer eine immer wichtigere Rolle spielt, schließlich sogar ins emotionale Zentrum rückt, während in der Gegenwart ums Überleben gekämpft wird. Ein paar Mal wird’s handfest, aber man merkt schon auch, dass Benjamin Gutsche nicht ursprünglich vom Genre kommt, sondern als Außenstehender Genre einsetzt, um seiner Geschichte zweier Familien am Rande des Zusammenbruchs zusätzliches Gewicht zu verleihen und damit dramatischen Zug. Dabei hält er sich eng an die Konventionen: Es passiert schon immer genau das, was man erwartet. Um im Hintergrund das zu erzählen, worum es eigentlich geht – ähnlich hintergründig ist auch die Bildgestaltung von J. Moritz Kaethner: gefällige Oberflächen, gediegener Look wie aus der Werbung der Siebzigerjahre, doch dahinter rumort es. Wie das im fantastischen Film immer schon war: Am Schluss ist es der Bösewicht, um den man weinen muss. Auch dank Lavinia Wilsons Tour de Force.
Thomas Schultze