Die Frage, wie vielfältige Perspektiven stärker in Film und Fernsehen verankert werden können – gerade in einer Zeit, in der diesbezügliche Fortschritte mitunter auf der Kippe zu stehen scheinen – stand im Zentrum der gemeinsamen Berlinale-Veranstaltung des BFFS und der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Es war eine zwingende, eine wichtige Frage, die Moderatorin Barbara Rohm zum Abschluss der Veranstaltung „Hinter den Kulissen der Traumfabrik“ in die Runde um Lamin Leroy Gibba (Schauspieler, Creator und Drehbuchautor „Schwarze Früchte“), Narges Kalhor (Regisseurin und Drehbuchautorin „Shahid“), David Hadda (Creator und Showrunner „Die Zweiflers“), Sophia Bösch (Regisseurin und Drehbuchautorin „Milchzähne“) und Beka Bediana (Schauspieler und Vorstandsmitglied BFFS) gab: Wie nehmt Ihr den Rechtsruck in der Gesellschaft wahr, wie beeinflusst Euch das – und was macht Euch Hoffnung?
Es war eine Frage, die man auch gut und gerne an den Beginn der Panelrunde bei der vom BFFS zum dritten Mal gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgerichteten Berlinale-Veranstaltung hätte stellen können. Denn die Antworten machten noch einmal deutlich, was neben dem grundsätzlichen Streben nach Zugang und Chancengleichheit der wichtigste Grund dafür ist, im Filmschaffen heutige Lebensrealitäten abzubilden, diverse Perspektiven zu zeigen, für Vielfalt vor & hinter der Kamera, auf Leinwänden und Bildschirmen zu sorgen.
Dass es einen Unterschied macht, sich abstrakt vorzustellen, wie sich Filmschaffende mit beispielsweise jüdischen Wurzeln oder iranischer Abstammung in diesen Tagen fühlen – und es persönlich aus dem Mund von Betroffenen zu hören, muss man eigentlich gar nicht aussprechen. Es sei dennoch getan – und das nicht zuletzt mit Verweis auf die erkennbare Wirkung entsprechender Schilderungen auf das Publikum vor Ort.
Realität ist, dass Filmschaffende wie Lamin Leroy Gibba eine Rückwärtsbewegung wahrnehmen, was Themen wie Diversität und Inklusion anbelangt. Auch innerhalb der Branche gebe es seinem Eindruck nach jene, die der Ansicht seien, dass entsprechende Bemühungen zuletzt „überhandgenommen“ hätten. Ihm zufolge gehe es jedoch schlicht um eine gerechte Entwicklung – und wenn man der Ansicht sei, dass es Diskriminierung (beispielsweise auf Ebene der Förderung) gebe, müsse man dies auch aussprechen.
Realität ist, dass David Hadda Zeiten drohen sieht, von denen er dachte, dass sie nie wieder einkehren würden. Man erlebe weltweit fundamentale Angriffe auf das künstlerische Schaffen. Wer glaubt, dass die Regierungsbeteiligung von Rechtsextremen nur marginalisierten Gruppen den Zugang zu Förderung und Finanzierung verstellen könnte – der denkt lieber noch einmal nach*.
*Das war kein direktes Quote von Hadda, gibt den Punkt aber sinngemäß wieder
Realität sei, dass überall, wo Populisten in Machtpositionen kommen, der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk in die Schusslinie gerät, wie Beka Bediana mahnte. Allerdings nahm er in diesem Kontext noch eine thematisch nicht ganz unwichtige Kurve: Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk sei der wichtigste Auftraggeber, müsse aber mehr als die Hälfte seiner Mittel in die Verwaltung stecken. An dieser Stelle sei eine Reform gefragt. Eine Reform, die auch wieder mehr Geschichten ermögliche – nicht zuletzt solche, die der AfD etwas entgegenzuhalten imstande seien.
Realität ist, dass sich die aus dem Iran stammende Narges Kalhor heute mitunter weniger in Deutschland zuhause fühlt als in den 15 Jahren, in denen ihr unser Land zur Heimat wurde*. Klingt harsch, war aber begleitet vom Ausdruck ihres Glaubens in die „anderen 80 Prozent“ der Gesellschaft – und von der Dankbarkeit, in einem Land leben und arbeiten zu können, das freie Meinungsäußerung nicht mit dem Tod bedroht, wenn sie sich gegen ein Regime richtet*. Ihr Aufruf: Wir müssen laut sein, wir können laut sein. Denn wir sind mehr!
*Beim Internationalen Filmfestival der Menschenrechte Nürnberg hatte sie im Oktober 2009 ihren Film „Die Egge“ gezeigt und wurde unmittelbar nachdem Screening gewarnt, aufgrund ihrer regierungskritischen Haltung in ihrer Heimat nicht mehr sicher zu sein, weswegen sie in Deutschland (erfolgreich) Asyl beantragte
Beinahe „sprachlos“ zeigte sich Sophia Bösch angesichts ihrer Vorredner:innen. Sie beließ es bei einem schlichten (deswegen aber nicht weniger eindringlichen) Appell, Banden zu bilden, Räume zu schaffen, Solidarität zu üben.
Nun könnte man der Diskussion womöglich vorhalten, dass sie sich trotz sehr viel breiter angelegter Grundfrage nach zukunftsweisenden Produktionen sehr, sehr spitz auf das Thema „diverse Perspektiven“ fokussierte und andere, ursprünglich ganz offensichtlich auch vorgesehene Themen (wie etwa KI) in den Fragen ausgeblendet wurden. Aber war das ein Verlust? Nicht wirklich, zumal die Zeit ohnehin schon nicht reichte, um das Gespräch noch in Richtung des Publikums zu öffnen.
Wofür es aber absolut reichte, waren wichtige Kernaussagen dazu, wie man Filme ermöglicht bzw. schafft, Perspektiven vermitteln, die für die vielbeschworene Vielfältigkeit des Films unverzichtbar sind, die den Blick öffnen, die gesellschaftlichen Mehrwert haben – und die, ganz profan festgestellt, auch das Potenzial hegen, Publikums- und Zuschauerschichten abzuholen, die sich noch nicht ausreichend bedient fühlen.
David Hadda (der als Produzent auch hinter der preisgekrönten Talkshow „Freitagnacht Jews“ steht) hat einen großen Wunsch: Selbstverständlichkeit. „Es muss selbstverständlich sein, miteinander zu reden, Fragen zu stellen.“ Gleichzeitig bedürfe es einer differenzierten Betrachtung des Begriffes „Erfolg“, insbesondere wenn es um den Rechtfertigungsdruck der Öffentlich-Rechtlichen gehe, bestimmte Inhalte zu beauftragen. Den Massengeschmack zu erreichen, sei als alleiniges Kriterium zu kurz gegriffen. Es müsse auch darum gehen, Menschen zu erreichen, die man mit dem üblichen Angebot eben nicht erreiche. Gleichzeitig plädierte er dafür, weniger Angst davor zu haben, sensible Themen anzufassen. Im Fall von „Die Zweiflers“ hatte er Glück – und traf auf eine Redaktion, die in seiner Idee mehr als das von ihm für realisierbar gehaltene Kammerspiel sah und Größeres auf den Weg brachte. Auch wenn (oder gerade weil?) er selbst bei diesem Projekt offenbar etwas zu tief gestapelt hatte, erklärte Hadda, dass man unnachgiebig sein müsse, daran glauben müsse, dass das was man machen wolle, auch erfolgreich sein könne.
Beka Bediana plädierte auf Basis eines im vergangenen Herbst beim Film Festival Cologne abgehaltenen Panels des BFFS für eine geeinte europäische Sicht, für eine gemeinsame öffentlich-rechtliche Plattform, auf der Inhalte, die die jeweiligen Lebensrealitäten abbildeten, länderübergreifend zu sehen seien. Wenn man sehe dass Inhalte auf deutschen Plattformen zu 42 Prozent aus den USA stammten, die 65 Prozent der Nutzung ausmachten; die 18 Prozent an deutschen Inhalten aber nur auf acht Prozent des Abrufvolumens kämen, dann laufe etwas falsch. Er sprach sich dafür aus, homogene Strukturen zu durchbrechen, auf Redaktionseben und in der Programmgestaltung, wo Sendeplatzpolitik auf Basis von Statistiken betrieben werde. Für ihn ein Ausdruck der vielbeschworenen „German Angst“, die nur zulasse, was man glaube, einschätzen zu können. Ein Teufelskreis: Denn Vieles könne schon aufgrund seiner Platzierung keine Breite erreichen. Und plädierte dafür, die Zuschauer zu fragen, was sie sich von nationalen Produktionen erwarteten. Vor allem dürfe man diese nicht für dumm halten, dürfe nicht „den Erklärbären geben“. „Nehmt das Publikum ernst“ war ein Aufruf, der sich durchaus wie ein roter Faden durch einige der Beiträge zog.
Lamin Leroy Gibba schilderte, dass er für sein Projekt zunächst viele Absagen kassiert habe, sich habe anhören müssen, dass eine schwarze Figur nicht im Mittelpunkt der eigenen Geschichte stehen können. Bis er auf die Produzent:innen von „Futur Drei“ getroffen sei, die ihm das Entscheidende entgegengebracht hätten: Vertrauen. Vertrauen, dass seinem Film dann auch bei der ARD Degeto bzw. der dort zuständigen Redaktion entgegengebracht wurde – verbunden mit der Freiheit, eine Vision nach eigenen Vorstellungen umzusetzen.
Narges Kalhor plädierte für ein System, in dem die Menschen, die die Entscheidungen träfen (egal ob nun bei Förderern oder in Redaktionen) mutig agieren würden. Dass sie „Shahid“ für 500.000 Euro habe realisieren müssen, lastetet ihr offenbar durchaus auf der Seele, wenngleich sie sich dankbar für die Förderung zeigte. Aktuell sei sie skeptisch, wohin sich die Filmpolitik in den nächsten Jahren bewege – und unterstrich die Bedeutung vielfältiger Perspektiven mit einem anschaulichen Beispiel aus ihrer Wahlheimat: Die Gesellschaft sei wie der S-Bahnhof Marienplatz, der deutsche Film eher wie der Bayerische Hof – da herrsche noch eine Menge Diskrepanz. Narges griff einen wesentlichen Punkt von Bedina auf: Das Publikum sei klüger, als Manche(r) glaube – und es lerne auch. Dementsprechend solle man aufhören, Hollywood-Blockbustern nachzueifern, die man mit den hier vorhandenen Budgets ohnehin nicht kopieren könne und solle sich stattdessen auf deutsche Geschichten fokussieren.
Sophia Bösch warf ein Schlaglicht auf die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, wenn es um den Nachwuchs gehe: So werde diesem zwar stets attestiert, frischen Wind zu bringen – allerdings werde sich auch darauf verlassen, dass er diesen Wind mit einem Bruchteil des Geldes erreiche, das Produktionen arrivierter Filmschaffender zur Verfügung stehe.
Noch ein Wort aus der Begrüßungsrede von Katharina Abt aus dem BFFS-Vorstand: Die Verabschiedung des FFG sei gut – aber man hoffe auf „mehr Dynamik“ in der nächsten Legislaturperiode. Gilt nicht nur für den Schauspielverband….