Einfach goutierbar, schnell, übersichtlich, unkompliziert. Auch wenn es um gänzlich unterschiedliche Felder geht: Die Parallelen bei den Anforderungen an die Ansprache von Publikum und Investoren sind doch augenfällig. Was den Themenmix bei den Industry Days zum Filmfest Hamburg nur umso interessanter machte.

Ein Vortrag vom Vortag, der auch beim Frühstück noch für angeregten Austausch sorgt – das ist nicht notwendigerweise der Regelfall bei Konferenzen. „Scenario 2030: AI in the Film Industry“, einem der abschließenden Programmpunkte der vom Filmfest Hamburg gemeinsam mit PROG – Producers of Germany und der MOIN Filmförderung veranstalteten Explorer Konferenz, gelang dies allerdings – vielleicht auch wegen des recht selbstbewussten Aufrufs von Referent Arne Totz, ihm zu beweisen, dass er falsch liege.
Ein Aspekt, der sich durch mehrere Gespräche am Rande zog: Die Existenz einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass sich die Finanzierungs- und damit Förderlandschaft in einem disruptiven Szenario ihrerseits massiv ändern wird, lässt sich kaum leugnen. Nur als kleines, isoliertes Beispiel: Schon heute sprechen wir über mitunter zu hohe (an Minutenpreisen bemessene) Förder-Einstiegsschwellen in Bereichen, in denen Kosten mittels KI massiv gesenkt werden sollen. Anders ausgedrückt: Während Förder- und Finanzierungsmodelle notwendigerweise auf Basis des Status Quo diskutiert werden, deutet sich ein Wandel an, der auch auf dieser Ebene umfangreiche Neuevaluierungen erforderlich machen könnte.
Das gilt natürlich auch für Totz‘ Blick in die Glaskugel. Etwa in dem Sinne, dass KI auf neue Nutzungstrends trifft, die sich gerade ganz unabhängig von der Frage der konkreten Erstellungsweise abzeichnen. Bzw. solche, die in Regionen wie Asien längst ein Massenphänomen sind: Sogenannte „Microdramas“, für die mobile Nutzung erstellter „Vertical Content“ (der Name bezieht sich natürlich auf das Bildverhältnis). Zumeist Soaps, die über etliche Dutzend Episoden von höchstens wenigen Minuten Länge erzählt werden. Snackable Content der Generation TikTok quasi, die Antithese zu dreistündigen Leinwandepen.
Noch gibt es keine ähnlich verlässlichen Zahlen wie etwa zur Kinonutzung, aber um aus einer Studie von Media Partners Asia zu zitieren: 2025 werden Microdramas in China voraussichtlich über neun Mrd. Dollar an Umsatz generieren, damit könnten sie noch in diesem Jahr die Kinoumsätze im Reich der Mitte überholt haben. Bis 2030 sollen die Umsätze auf über 16 Mrd. Dollar wachsen (wohlgemerkt: allein in China) – was umso erstaunlicher ist, als sie 2021 lediglich bei (geschätzten) 500 Mio. Dollar lagen.
Diese Mikrodramen gewinnen derzeit nicht nur zunehmend den Kampf um die Aufmerksamkeit, sondern sie sind in der Regel auch ausgesprochen günstig produziert; 20.000 bis 30.000 Dollar sind kein unübliches Budget für eine komplette Serie (wobei KI an dieser Stelle bereits intensiv zum Einsatz kommt), Triple-A-Produktionen können allerdings auch gut und gerne das Zehnfache kosten. Das übliche Geschäftsmodell folgt dem berühmten Credo „Der erste Schuss ist gratis“: In der Regel ist eine Handvoll Folgen umsonst, der Rest dann nur per Bezahlung abzurufen. Teils sind derartige Serien aber auch komplett kostenlos verfügbar; etwa dann, wenn sie als Marketingtool für Brands oder Bestandteile von 360-Grad-Kampagnen von Plattformen fungieren. Der Trend, der primär in Asien begann, verbreitet sich derzeit nicht zuletzt im Nahen Osten und in Lateinamerika, auch in den USA wird exponentielles Wachstum erwartet. Gerade erst kündigte Night Train Media gemeinsam mit den Spirit Studios die Entwicklung eines UK-Mikrodramas an, beim hiesigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurden offenbar bereits entsprechende Projekte angestoßen.
Wie sehr die zunehmend kurze Aufmerksamkeitsspanne die Vermarktung ganzer Filme verändern kann, machte unterdessen Hoàng Đình Vũ vom vietnamesischen Medienkonzern BHD klar – in einem Vortrag, der quasi den nahtlosen Übergang zwischen IFDS und Explorer Konferenz bildete. Denn das nach eigenen Angaben führende Content-Unternehmen des Landes bringt Langfilme mittlerweile auch auf eine Art und Weise zum Publikum, die vielleicht erst einmal schlucken lässt: Vũ zeigte das Beispiel eines Werks, das auf weniger als drei Minuten heruntergeschnitten wurde: als komplette, massiv verkürzte Erzählung. Die Logik dahinter? Ist nicht nur jene, Nutzer an die jeweiligen Social-Media-Kanäle zu binden, sondern auch, direkt Umsatz zu generieren. Offenbar geht es dabei momentan nur um Ad-Revenue, wirklich belastbar war die Antwort aber nicht. Was Vu – dessen Unternehmen auch ein knappes Dutzend Kinos betreibt – unterdessen auch versicherte: Nutzer, die von den Filmen in dieser extrem verdichteten Form angesprochen werden, seien auch bereit, sie sich im Anschluss in voller Länge anzusehen. Mit Zahlen zur „Conversion Rate“ unterfüttert war diese Feststellung aber nicht, etwaige Kannibalisierungseffekte kamen erst gar nicht zur Sprache. Generell war der Vortrag von BHD primär durchgängiges Loblied auf TikTok & Co. Als Schlüssel zum Publikum, als wichtigstes Marketingtool, aber auch als direkter Ausspielweg und Umsatzbringer.
Film nicht als Kunstwerk, sondern als beliebig formbare Ware, deren grundsätzliche Gestalt nicht von der kreativen Vision, sondern vom Ausspielweg bestimmt wird. „Film is not for big screen anymore“ machte Hoàng Đình Vũ zu Beginn des Vortrages seine Sicht deutlich. Kulturell betrachtet, kann man durchaus als Dystopie ansehen, was er da beispielhaft skizzierte. Aber es ist eben auch (eine) kommerzielle Realität. Wobei er als „Head of Digital“von BHD per se nicht den stärksten Fokus auf die Kinoaktivitäten legte. Denn in seiner Präsentation verwies er kurz darauf, dass die vietnamesischen Kinos 2023 zumindest wieder bei 90 Prozent des vorpandemischen Umsatzes angekommen waren (umgerechnet 150 Mio. Dollar). Was er nicht erwähnte: Dass im vergangenen Jahr mit umgerechnet rund 185 Mio. Dollar ein historischer Boxoffice-Rekord in Vietnam erzielt wurde. Übrigens nicht zuletzt dank des lokalen Tophits „Mua Do“ von Regisseurin Dang Thai Huyen.

Vũs Vortrag fügte sich unterdessen nahtlos in ein Bild ein, dass etliche Vorträge im Rahmen der Industry Days des Filmfest Hamburg vermittelten. Entscheidend ist der Weg zum Kunden. Der in gewisser Weise nicht so sehr viel anders tickt als der Investor. Einfach soll es sein, übersichtlich, mundgerecht kuratiert.
Auf diesen Nenner könnte man zumindest im Groben bringen, was eine der Kernbotschaften des Panels rund um die Finanzierungs- und Koproduktionsexpertinnen Marie Garrett (SVP Sales & Acquisitions, XYZ Films), Ruby Walden (Gründerin des Finanzierungs- und Förderdienstleisters Producers PIN), sowie Isabell Wiegand und Sarah Nagel von in between film war. Klare, einfach aufbereitete Informationen, die potenzielle Investoren auf einen Blick erkennen lassen, wo sie sich in der Kette einreihen und unter welchen Voraussetzungen ein Recoupment starten kann, sind entscheidender Schlüssel zur Einwerbung privaten Beteiligungskapitals.
Das mag je nach Art des Investors variieren, insbesondere dann, wenn hinter dem Engagement andere (zusätzliche) Motivationen stehen. Gucci etwa präsentierte sich auf der Mailänder Modemesse im September erst einmal nicht auf dem Laufsteg, sondern in einem von Spike Jonze und Halina Reijn inszenierten Kurzfilm mit Demi Moore, Prada habe laut Walden einen Fonds aufgesetzt, Ferrari habe in Film investiert. Manche Investoren wollen auch einfach nur den Glanz des Roten Teppichs erleben, Garrett berichtete von einem Fall, in dem es einem potenziellen Geldgeber ein Engagement in Millionenhöhe wert gewesen wäre, Leonardo DiCaprio auf den roten Teppich begleiten zu können. In solchen Fällen (die mit niedrigeren Beträgen durchaus keine Seltenheit seien) spiele das Ranking beim Recoupment in der Regel zwar eine untergeordnete Rolle, gerade diese Investoren hätten im Zweifel aber keine übermäßige Lust auf allzu komplexen Papierkram.
Umgekehrt ist die Einwerbung von Private Equity offenbar auch manchen (US-)Produktionsunternehmen sehr, sehr viel wert. Genauer gesagt: Sehr, sehr hohe Zinsen im Bereich von 18 bis 30 Prozent. Raunen im Publikum, Versicherung von Walden, dass solche Deals tatsächlich abgeschlossen würden. Schlicht und ergreifend aus Zeitgründen. Bei Banken könne man mit fünf bis zehn Prozent dabei sein – wenn man knapp zwei Monate (länger) warten könne. Zudem benötige man in diesem Fall Bürgschaften, auch die Zusammenarbeit mit manchen Regierungen würden Banken scheuen. Immerhin werde der Equity-Markt zusehendes kompetitiver. Minimumgarantieren als Teil eines Finanzierungskonstrukts seien für Privatinvestoren naturgemäß eher unattraktiv, da diese (natürlich) deutlich früher bedient werden, ausgeschlossen sind entsprechende Modell aber nicht.
Was Equity-Fonds in Europa zuletzt noch attraktiver für Filmproduktionen gemacht hat, ist deren Rolle als Intermediäre im Rahmen des Kapitalbeteiligungsinstruments MediaInvest, in dessen Rahmen für den Zeitraum bis Ende 2027 Investitionen in den audiovisuellen Sektor (also nicht nur Film) in Höhe von 400 Mio. Euro unterstützt werden sollen – siehe hierzu auch den SPOT-Bericht zu einer entsprechenden Präsentation auf der Berlinale.
Ein Gamechanger? Nein, dieses Wort fiel diesbezüglich in dieser Runde nicht. Dennoch kommt mit diesem EU-Backing weiterer Schwung in die Angelegenheit. Gewünscht hätte man sich auf der Bühne natürlich Vertreter eines Fonds wie IPR.VC (mit dem XYZ Film eng zusammenarbeitet), die aus ihrer Sicht hätten schildern können, wo die Interessenfelder liegen. Zumindest hätte es womöglich geholfen, in den Pausen auffällig oft zu vernehmender Skepsis gegenüber dieser europäischen Fördermaßnahme zu begegnen. Skepsis in dem Sinn, dass Kapitalgeber stärker noch als Kapitalnehmer von der Förderung profitieren könnten.
Wie man bei XYZ Films als gewünschtem Partner punktet? Mit der „richtigen Ambition“, so Garrett, die das möglichst präzise Sales Estimate (Vergleichstitel würden idR innerhalb eines Drei-Jahres-Zeitraums gewählt, zu weit in die Vergangenheit gehe man bewusst nicht) hervorhob. Ohne gewissen Track Record (wofür schon ein bis zwei Filme ausreichen könnten) muss man eher nicht an die Tür klopfen – und Garret riet dazu, Daten vorangegangener Projekte detailliert erfasst und aufbereitet vorzuhalten.

Noch einmal zum Begriff Gamechanger: War die 2024/2025 erfolgte Zusammenführung der vier Tax-Credit-Programme des Vereinigten Königreichs für Film, HETV, Content für Kindern und Animation unter dem Dach des Audio Visual Expenditure Credit (AVEC) ein solcher? Immerhin nehmen sich die prozentualen Rabatte auf den allerersten Blick noch ein ganzes Stück attraktiver aus als zuvor. 53 Prozent für Projekte mit Budgets von weniger als 15 Mio. Pfund zum Beispiel? Klingt natürlich besser, als es faktisch ist – denn im Zuge der Systemumstellung unterfällt die AVEC-Förderung (anders als der bisherige Tax Relief) ihrerseits der Besteuerung (ausführliche Informationen finden sich zum Beispiel hier), die tatsächlichen neuen Fördersätze unterscheiden sich damit nicht dramatisch von den alten. Sie sind aber trotzdem nach wie vor sehr gut – und im Prinzip attraktiver als das, was in Deutschland geplant ist.
Dennoch gab Produzent Peter Carlton von Warp Films eine erfrischend direkte Antwort auf die Frage, ob Ko-Produktionen mit UK für deutsche Produzenten erstrebenswert seien: Nein.
Eine Antwort, die auch insofern durchaus überraschte, als Carlton zusammen mit Verena Gräfe-Höft von Junafilm auf dem Panel saß: Schließlich arbeiten beide gerade an einem gemeinsamen Serienprojekt über Renée de Sade, die Ehefrau des Marquis de Sade. Dort passte die Konstellation.
Was aber macht UK als Koproduktionspartner aus Sicht von Carlton grundsätzlich weniger attraktiv, als man vielleicht meinen möchte? Im Kern richtete sich seine Kritik gegen eine überproportional eigennützige Förderphilosophie, sowohl auf wirtschaftlicher als auch kultureller (BFI-Förderung) Ebene. Was das konkret bedeutet? Während die BFI-Förderung (umso mehr gelte dies übrigens für etwaige Senderbeteiligungen) noch stärker als in anderen Ländern an Aspekte der landesspezifischen Kultur gekoppelt sei, wurden die Anreizinstrumente primär entworfen, um große (US-)Studioprojekte anzuziehen, die entsprechende Summen in Richtung UK bewegen. Daraus resultierten (nicht umsonst hatte man schon vor 2024 mit einer deutlichen Erhöhung der prozentualen Förderung für kleinere Produktionen reagiert, Anm.d.Red.) nicht zuletzt hohe Lohnkosten. Allein schon diese würden die Filmproduktion in UK nicht zur attraktiven Option für unabhängige Produktionen machen, die einfach nur einen Ort für den Dreh suchen würden. Aber natürlich keine Regel ohne Ausnahme: Denn letztlich kommt es auf das kreative Herz des Projektes an. Das durchaus in mehreren Ländern schlagen kann. Oder auch muss. Denn wie ein Panel zum Abschluss der Explorer Konferenz deutlich machte: Vor allem multilaterale Koproduktionen liegen voll im Trend. Kleines Beispiel? Bei „Cliffhanger 2“ – der unter anderem in den Penzing Studios nahe München entstand – sind nicht weniger als fünf Fonds an Bord. Goldene Zeiten für Dienstleister, die den Weg durch den Finanzierungsdschungel zu bahnen versprechen? Gut denkbar.
Womit eigentlich ein Abschluss für diesen kleinen Rückblick gefunden wäre – aber ein Aspekt soll doch nicht unerwähnt bleiben: Denn bei ein, zwei der im Gesamtkontext der Industry Days aufgetretenen Dienstleister blieb dann doch unklar, was ihr USP in Zeiten ist, in denen KI-Lösungen zur Clusterung von Inhalten schon jetzt zumindest auf den ersten Blick vergleichsweise austauschbar (nicht falsch als „uninteressant“ lesen!) wirken. Vielleicht führt das KI-gestützte Wettrüsten bei den Empfehlungsalgorithmen (die übrigens so langsam eines neuen Namens bedürften, tatsächlich handelt es sich auf Insta, TikTok & Co. ja im Grunde um direkte Zugangsalgorithmen) ja auch dazu, dass die menschliche Kuratierung an Bedeutung gewinnt. Wie wir schon in einem anderen Artikel schrieben: Wir freuen uns auf den Austausch beim Filmfest Hamburg 2030.