Nachdem er bereits in Venedig, Telluride und Zürich zu sehen war, wird Andres Veiels bemerkenswerter Dokumentarfilm „Riefenstahl“ heute das Film Festival Cologne eröffnen, bevor er am 31. Oktober im Verleih von Majestic in die Kinos kommt. Wir sprachen mit dem Regisseur über die bisherige Rezeption des Films und seine Hoffnungen bei der Auswertung.
Sie konnten „Riefenstahl“ bereits auf mehreren Festivals international vorstellen, angefangen bei Venedig und Telluride. Stellen Sie fest, dass Ihr Film Ausland anders rezipiert wird? Stellt die internationale Presse andere Fragen?
Andres Veiel: Beides waren großartige Erfahrungen, insbesondere Telluride. Warum? Weil der Film dort noch viel stärker als hier als Film zur Stunde verstanden wird. In Amerika war es so, dass ich von Kritikern und Publikum direkt nach der Vorführung angesprochen wurde. Da stand ich mit einer Traube von Menschen und kam sehr intensiv ins Gespräch. Und immer wieder hörte ich da: Dieser Film muss sofort bei uns ins Kino, noch vor der Präsidentschaftswahl. Da sei wichtig, weil man in den USA keine Vorstellung und Erfahrung habe, was Faschismus wirklich bedeutet. Genau diese Kontextualisierung, wenn ein Präsidentschaftskandidat sagt, die Immigranten verseuchten das amerikanische Blut oder sie würden Haustiere essen, ist aktuell von Bedeutung, weil sie uns vor Augen führt, wie Ausgrenzung und Dehumanisierung, wie sie im Faschismus angewendet wurde, eine Renaissance feiert und auf fruchtbaren Boden fällt. Im Kern steht immer der Gedanke der Überlegenheit, das faschistische Ur-Gen. In meinem Film wird das am Beispiel des Weltbilds von Leni Riefenstahl konsequent durchdekliniert.
Wie war die Erfahrung in Italien, wo die Regierung von einer Ministerpräsidentin angeführt wird, die postfaschistisches Gedankengut transportiert und kein Hehl aus ihrer Bewunderung für Mussolini macht?
Andres Veiel: Man kann es nicht mehr auf einzelne Länder herunterbrechen. Schauen Sie nach Österreich, wo Kickl von einem homogenen Volksideal spricht, Remigration bedeute, den Volkskörper sauber zu halten, ein Mann, der sich bereits als Volkskanzler postuliert. Was wir gerade miterleben, ist das Ende der Scham. Noch vor fünf Jahren fielen solche Behauptungen auch schon, aber in irgendwelchen Hinterzimmern oder vorgehaltener Hand. Dann wurde relativiert und zurückgerudert, das sei aus dem Kontext gerissen und niemals so gemeint gewesen. Jetzt wird es offen ausgesprochen. Niemand rudert mehr zurück, niemand widerspricht. Es ist so gemeint. In Italien wurde das sehr stark aus dem Film herausgelesen. Von daher war es ideal, dass „Riefenstahl“ seine Reise in Venedig angetreten hat. Und Telluride danach. Das waren genau die richtigen Orte für den Film. Ich betrachte es als Privileg, als Geschenk.
Sie haben den Film gerade in Zürich gezeigt, jetzt eröffnet er das Film Festival Cologne. Gibt es denn bereits Reaktionen aus dem deutschen, bzw. deutschsprachigen Raum?
Andres Veiel: Die Presse hat ihn natürlich bereits gesehen und vielen Fällen schon besprochen. Überwiegend lief es sehr gut. Manche hätten sich verstärkt Bildungsbürgerfernsehen gewünscht, immer mit dem Argument: Verstehen das denn alle, verstehen es die richtigen? Das beste Gegenargument für mich ist, dass wir in Leipzig auf der Filmkunstmesse den Preis einer Jugendjury gewinnen konnten. Ich habe schon einige Auszeichnungen bekommen, aber das war für mich das schönste Geschenk. Weil drei 17-Jährige die Laudatio vorgelesen haben und den Film absolut verstanden haben. In ihren Augen ist es ein Film für ihre Generation. Wir müssen diesen Film sehen, um das, was aktuell passiert, tiefer zu verstehen und dem etwas entgegensetzen zu können.
Ich denke, dafür ist Ihr Film ideal. Er fordert den Zuschauer:in. Nicht in dem Sinne, ob man ihm folgen oder verstehen kann. Sondern weil er einen herausfordert, Stellung zu beziehen, eine Haltung zu entwickeln.
Andres Veiel: Das ist ein guter Punkt. Das war auch bei mir eine Entwicklung. Am Anfang habe ich geglaubt, das Material braucht den erklärenden Kommentar, war zunächst entlarvend, dechiffrierend unterwegs – der Kommentator, der Warndreiecke oder Stoppschilder aufstellt: Vorsicht! Riefenstahl lügt! Den Zuschauer also damit an die Hand nehmend. Dabei habe ich mich immer unwohl gefühlt, habe gespürt, dass es der falsche Ansatz ist. Bis ich entdeckt habe, dass sie sich selbst widerspricht. Sie ist es, die die Funktion des Kommentars übernimmt, indem ich mit Hilfe der Montage diese Widersprüche kenntlich mache. Der Zuschauer, die Zuschauerin ist dann gefordert, sich selbst dazu zu verhalten. Glaube ich ihr noch? Setze ich hier noch ein Fragezeichen? Aha, da ist offensichtlich eine Lüge. Warum lügt sie hier, wofür steht diese Lüge? Das sind die Fragen, die ich mir selbst gestellt habe. Im Film gebe ich sie verdichtet weiter.
Hat sich Ihre Haltung zu Ihrem Film geändert, seitdem Sie ihn öffentlich aufführen? Ändert sich der eigene Blick, wenn man sieht, wie andere Menschen auf ihn reagieren?
Andres Veiel: Auf jeden Fall. Es wird ein anderer Film mit Publikum. Wobei ich einräumen muss, dass ich den Film in verschiedenen Arbeitsstadien immer schon anderen Leuten gezeigt habe. Das können ebenso Redakteure sein wie Menschen, die mir nahestehen, auf deren Urteil ich vertraue, es können auch Unbekannte sein. Ich lasse ich auch immer meine Studierenden an der dffb kritisch draufblicken, das ist sehr lehrreich, weil viele aus dem Ausland kommen und unbelasteter auf Riefenstahl reagieren. Es ist also nicht so, dass der Film erstmals in Venedig gesehen wurde. Und doch ist es für mich jedes Mal ein Staunen. Wo ecken wir an? Wo finden wir Zuspruch? Wie ist die Reaktion generell? Wie gesagt, habe ich mich sehr über die internationale Reaktion gefreut, wo wir durchgängig positive Rückmeldungen erhalten haben. Der Film ist als das erkannt worden, was er für mich auch sein soll. Das ist sehr erfreulich für mich, weil ich in letzter Zeit durchgängig Filme gemacht habe, die stark polarisiert haben. „Ökozid“ hat auf Social Media eine Schmutzkampagne provoziert, wie ich es vorher in dieser Wucht noch nie erlebt habe, bis hin zum Vorwurf, ich würde mit dem Titel den Holocaust relativieren. Und auch bei „Beuys“ war es nicht ganz einfach. Da hieß es in führenden Medien schon auch, ich würde einen NS-Künstler, der Braunkreuze malt und sich von der Blut-und-Boden-Ideologie nie gelöst hat, ein Denkmal setzen. Schon bei der Nominierung für den Deutschen Filmpreis legte der Spiegel nach, der Film dürfe niemals diese Auszeichnung erhalten. Dann haben wir die Lola gewonnen, und wieder gab es fassungsloses Kopfschütteln. Es wurden regelrechte Kampagnen gefahren. Ich war darauf vorbereitet, dass es bei „Riefenstahl“ wieder so sein würde, und war überrascht, dass es nicht so gekommen ist.
Was wird mit „Riefenstahl“ im Anschluss an Köln passieren? Was erwarten und/oder erhoffen Sie sich von der Kinoauswertung ab 31. Oktober?
Andres Veiel: Ich wünsche mir, dass der Film gesehen wird, insbesondere von jungen Menschen. Er darf gerne auch kontrovers diskutiert werden. Ich will kein preaching to the converted erzielen, ich habe nichts davon, wenn diejenigen nicken, die Leni Riefenstahl ohnehin bereits kritisch sehen. Ich will mit dem Film dahinkommen, wo mit Widerständen zu rechnen ist. Meine Produzentin Sandra Maischberger und ich begleiten den Film auf einer Kinotour quer durch die Republik, die uns von Freiburg bis nach Hamburg und Bremen führen wird. Sie übernimmt Rostock, ich übernehme Leipzig und Dresden. Wir wollen beide auch nach Thüringen gehen. Ich bin noch nie so viel gereist wie mit diesem Film, was auch daran liegt, dass die Nachfrage so groß ist. Ich freue mich auf die Debatten. Und hoffe, dass sie gut geführt werden.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.