Am Donnerstag startet „Samia“ im Verleih der Weltkino in den deutschen Kinos, der seine Weltpremiere beim Tribeca Film Festival feierte und im Anschluss auf dem Filmfest München lief. Wir sprachen mit Filmemacherin Yasemin Şamdereli über ihren bewegenden Film.
„Samia“ erzählt eine wahre Geschichte, basiert allerdings auf einem Roman, dem diese wahre Geschichte zugrunde liegt. Was kannten Sie zuerst?
Yasemin Şamdereli: Der Roman war zuerst – Samias Lebensgeschichte kannte ich leider nicht. 2017 nahmen die Produzenten Kontakt zu mir auf. Es war eine in Deutschland nicht unbekannte Geschichte, aber ich hatte davon nichts mitbekommen. Meine Schwester Nesrin und ich lasen dann den Roman. Ich war überwältigt. Wie kann das sein, habe ich mich gefragt. Wie kann das sein, dass jemand in Beijing für sein Land antritt und dann vier Jahre später als Refugee im Mittelmeer ertrinkt? Ich wusste sofort: Ich mache das! Ich werde alles tun, dass ihre Geschichte auch als Film erzählt wird. Das war der Anfang. Alles andere kam danach, eine sehr intensive Auseinandersetzung mit einem sehr komplexen und tragischen Thema.
Da haben Sie auch zeitlich einen weiten Weg zurückgelegt. Warum hat es so lange gedauert, sieben Jahre immerhin, dass Sie Ihren Film endlich der Welt zeigen können?
Yasemin Şamdereli: Natürlich hätte es auch schneller gehen können. Und dürfen. Aber manchmal dauert es einfach. Und es ist kein einfaches Thema, weil man schnell den Stempel bekommt: Zieht einen runter. Und dann haben wir bei der Vorbereitung und Finanzierung in Deutschland schon auch gemerkt, dass man sich gerne verschanzt hinter Aussagen wie: Was ist denn da der deutsche Bezug? Ich frage zurück: Was ist denn bei dieser Geschichte nicht der Bezug zu uns allen? Kann man das nicht einfach annehmen? Diese Geschichte hat einen Bezug zu allem, was sich in der Welt abspielt.
Es war also schwierig?
Yasemin Şamdereli: Es war schwierig. Wie immer. Die Förderer haben uns schließlich gut unterstützt, und dafür bin ich dankbar. Aber einfach war es nicht. Es war ein harter Weg. Ich verstehe die Bedenken. Geld, das ausgegeben wird, soll ja auch zurückkommen. Bei einem Stoff wie unserem ist das nicht leicht. Aber das darf uns nicht abhalten, diese Geschichten zu erzählen. Und ich war beglückt, dass wir dann so viel Unterstützung erfahren haben, viele tolle Leute gewinnen konnten für unseren kleinen Film. Rai Cinema war ein starker Partner – „Samia“ ist eine majoritär italienische Produktion. Ob das heute noch möglich wäre bei der neuen Regierung? Ich wage es zu bezweifeln.
Was war für Sie entscheidend bei der Umsetzung von „Samia“? Gab es Parameter, die nich verhandelbar waren?
Yasemin Şamdereli: Für mich war entscheidend, dass die Darsteller tatsächlich aus Somalia kommen. Und ebenso wichtig war für mich, dass das Ende genau so erzählt wird, wie man es jetzt auch im Film sieht. Das ging uns allen aber so. Deshalb haben wir den Film gemacht. Uns war es ein Anliegen, so authentisch wie nur möglich zu sein, auch wenn der Aufwand dadurch vielleicht etwas größer wurde. Diesen Weg wollten wir gehen, mit diesen Parametern. Ich hatte das große Glück, in der somalischen Community auf Deka Osman zu stoßen, die ich bei diesem Film als so etwas betrachte wie meine bessere filmische Hälfte. Ich kann beurteilen, ob etwas schauspielerisch so ist, wie ich es mir vorstelle. Ob die Texte aber richtig gesprochen werden, ob es Dreher gibt oder einen falschen Akzent, da stand mir Deka beiseite. Ohne sie wäre das alles gar nicht gegangen! Durch meinen muslimischen Hintergrund verstehe ich viele Dinge oder kann sie mir erarbeiten. Aber die Arbeit bei „Samia“ musste viel feiner sein, und da wäre ich ohne meine Sparringspartnerin, die ich einfach alles fragen konnte, aufgeschmissen gewesen.
Wie „Almanya“ ist auch „Samia“ ein Film über Familie.
Yasemin Şamdereli: Das war mir wichtig. Da kommt auch eine Leichtigkeit rein, die der Film bei aller Ernsthaftigkeit unbedingt haben musste. Er sollte Lebensfreude ausstrahlen, Menschen beim Leben zuschauen, wie sie miteinander umgesehen. Das ist ganz universal. Ich wollte einen inspirierenden Film machen, der einen abholt, der einem eine vielleicht fremde Welt so vor Augen führt, dass man sie nicht nur nachvollziehen kann, sondern unmittelbar dabei ist. Ich wollte einen Film für ein Publikum machen, für viele Menschen. Man soll ihn sich gerne ansehen.
Leider war es Ihnen nicht möglich tatsächlich in Somalia zu drehen.
Yasemin Şamdereli: Es war mir gar nicht möglich, in das Land zu reisen. Näher als Dschibuti, wo ich zusammen mit Deka war, bin ich nicht herangekommen. Mit einer Produktion könnte man sich in Somalia nicht bewegen. Man fällt so sehr auf, dass man sofort eine Zielscheibe wird. Ein solches Risiko ist keine Filmproduktion wert. Wir wären auch niemals versichert worden. Somalia war nicht machbar für uns.
Wie haben Sie sich dann für Kenia als Ersatz entschieden?
Yasemin Şamdereli: Wir haben uns gemeinsam überlegt: Wonach suchen wir? Wo haben wir Infrastruktur, wo ist Sicherheit für Team und Besetzung gewährleistet, wo haben wir Nähe zu Kultur? Bei Kenia konnten wir überall einen Haken dahinter setzen. Dort hatte unsere tolle Szenenbildnerin Dort fand unsere tolle Szenenbildnerin Paola Bizarri mit ihrem Team dann auch die Voraussetzungen, das Haus der Familie Omar zu bauen, rund um einen für die Geschichte wichtigen Baum herum, der da nun im Film mitten im Innenhof steht. Man konnte seiner Kreativität freien Lauf lassen.
Man hat als Europäer einen veralteten, kolonialen Blick auf Afrika, dabei gibt es in Kenia und Nigeria eine florierende und sehr moderne Filmszene.
Yasemin Şamdereli: Wir haben einen arroganten Blick auf Afrika. Es ist ein riesiger Kontinent mit einer großen Vielfalt, vielenorts viel moderner, als man es glauben mag. Für mich war es eine gigantische Erfahrung, ich habe viel gelernt und für mich daraus gezogen. Ich würde es jedem empfehlen, einmal in ein Land zu reisen, in dem nur Schwarze leben. Zu merken, wie man da heraussticht, wie man als anders wahrgenommen wird, ist ein wertvolles Erlebnis, das einem den Kopf ganz gerade aufsetzt. Ich finde, es ist ein gutes Gefühl, ein gutes schlechtes Gefühl, zu spüren, wie sich Schwarze in unserer Kultur fühlen müssen. Wenn man zur Mehrheit gehört und einfach auch anonym bleiben kann, nicht auffällt wegen seiner Hautfarbe, ist das ein großes Privileg.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.