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Ulrike Kofler über „Gina“: „Der eine wirft den Schatten auf den anderen“

Nach „Was wir wollten“ legt Ulrike Kofler mit „Gina“ ihren zweiten Spielfilm als Regisseurin vor. Wir sprachen mit ihr über diese neue Arbeit (produziert von der Wiener Film AG) und ihr Selbstverständnis als Regisseurin. In Österreich startet „Gina“ am 22. November bei Filmladen.

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Ulrike Kofler (Credit: Pamela Rußmann)

Bereits in Ihrem Regiedebüt „Was wir wollten“ ging es um Familie, Familienkonstellation, Elternschaft. Auch in „Gina“ beschäftigen Sie sich damit, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene, in einem anderen Zusammenhang. Warum beschäftigt Sie dieses Thema so?

Ulrike Kofler: Ich kann gar nicht genau sagen, warum das so ist. Die Auseinandersetzung mit Familie, die verschiedenen Formen davon, das Thema Zugehörigkeit, etc. interessiert mich einfach. Die Frage nach Mutterschaft, Elternschaft, nach Verantwortung…, das sind alles Themen, die da mit reinspielen und mich berühren.

Gina ist die neunjährige Titelheldin. Angelina, Gina bedeutet nicht nur Engel, sondern auch Königin, berühmte Kämpferin. Wie sind Sie auf den Namen gekommen, der ja die  Protagonistin auch ganz gut beschreibt?

Ulrike Kofler: Ich hatte ursprünglich noch einen zweiten Strang in der Story, in dem erzählt wird, dass die Mutter ein großer Fan von Angelina Jolie ist, die sich nach außen hin oft als perfekte, hübsche, tolle Super-Mutter dargestellt wird. Davon habe ich mich aber irgendwann wieder verabschiedet. Nur der Name ist geblieben. Aber sowohl im Schreib- als auch Dreh- und Schnittprozess ging es immer wieder um die Frage: Wer ist nun eigentlich die Protagonistin? Gina oder die Mutter… Das war eine ständige Auseinandersetzung. Die Geschichte der Mutter war mir immer schon auch sehr wichtig. Dennoch war irgendwann klar: Die Hauptprotagonistin ist das Mädchen. So ist dann auch der Titel entstanden.

Wie sah der Rechercheprozess aus?

Ulrike Kofler: Schon während des Schreibprozesses hat das Jugendamt Wien mit mir kooperiert. Ich hatte verschiedene Termine dort und die Mitarbeitenden haben mir anonymisiert von diversen Fallbeispielen berichtet. Diese Thematik berührt mich schon sehr lange, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass ich selbst Mutter eines Pflegekinds bin. Mir war aber wichtig, eben nicht diese Geschichte zu erzählen, sondern eine eigene, erfundene. Die Geschichte ist entstanden durch die viel Recherche aber auch einfach durch Beobachtungen von diversen Situationen. Zum Beispiel an einem See im Waldviertel in Österreich vor vielen Jahren: Ein recht schicker Ort, in dem auch ein Theaterfestival stattfindet und entsprechend relativ gebildetes Publikum anwesend ist. Ich habe ein Mädchen in Ginas Alter beobachtet, ganz allein, ohne Eltern, mit Schwimmflügel und viel zu großem Badeanzug. Ich habe mich gefragt: warum hat ein neunjähriges Mädchen noch Schwimmflügel an, warum kann sie nicht schwimmen? Was macht sie da ganz alleine? Aber so wie viele Kinder Menschen nicht lesen können, können viele auch nicht schwimmen. Das bleibt unsichtbar in der Gesellschaft. Viel davon passiert in nächster Nähe. Diese Beobachtung war der erste Auslöser für die Geschichte, für die Entstehung der Figur Gina.

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Famose Jungdarstellerin: Emma Lotta Simmer als „Gina“ von Ulrike Kofler (Credit: Filmladen)

Sie erzählen die Figuren ohne sie bloßzustellen.

Ulrike Kofler: Das war mir wichtig. Ich wollte den Film so gestalten, dass niemand verurteilt wird. Ich erinnere mich an eine Situation, in der eine Kostümbildassistentin mit mir über das Drehbuch gesprochen hat und dabei über die „unfähige“ Mutter geschimpft hat. Ich musste meine Figur sofort verteidigen! Was ich erzählen wollte, ist diese Spirale, das Hamsterrad, wo Generation um Generation immer wieder in das gleiche Muster von Armut, Verwahrlosung und Bildungsnot fällt. Die Mutter hat selbst nichts gekriegt an Werten, deshalb kann sie auch selber nichts weitergeben. Dafür bräuchte es Unterstützung von außen.

Ursula Strauss spielt eine Sozialarbeiterin vom Jugendamt. Inwiefern haben Sie ihr Verhalten, ihre Sätze mit der Realität abgleichen lassen? Es wirkt sehr authentisch…

Ulrike Kofler: Ich habe das Jugendamt in Wien am Ende auch noch einmal gebeten, das fertige Drehbuch zu lesen. Sie haben ein paar Dinge korrigiert, zum Beispiel den Ablauf der Kindsabnahme. Mir war wichtig, dass alles stimmt und so gezeigt wird, wie es auch in der Realität passiert. Außerdem war es mir wichtig zu zeigen, was für einen anspruchsvollen, schwierigen Job diese Menschen machen. Sie kommen als Fremdkörper in Familien, in denen sie nicht sonderlich willkommen sind, sondern eher als Feindbild wahrgenommen werden – was man aus deren Perspektive auch verstehen kann. Wie es dazu kommt, dass ein Kind abgenommen wird, ist in der Regel ein längerer Prozess, in dem abgewogen werden muss, was zu tun ist. Im Grunde genommen ist es ein Gewaltakt der aber passieren muss, wenn das Kindeswohl wirklich gefährdet ist. Dies abzuwägen und richtig zu entscheiden muss unfassbar schwer sein. Ich bin glücklich, dass Ursula Strauss diese Rolle übernommen hat. Sie strahlt eine Klarheit aus und hat gleichzeitig immer etwas Warmherziges.

Das Drehbuch von „Gina“ haben Sie allein geschrieben. Bei „Was wir wollten“ waren Sandra Bohle und Marie Kreutzer Ko-Autorinnen. Inwiefern hat sich der Arbeitsprozess unterschieden?

Ulrike Kofler: Ich wollte „Gina“ alleine schreiben, weil es schon ein sehr persönlicher Film ist. Das war eine bewusste Entscheidung. Ich kann allerdings nicht sagen, was besser ist. Ich kann mir vorstellen, sowohl wieder alleine zu schreiben, als auch im Team. Alleine hängt man anders drin und muss schauen, dass man auch wieder rauskommt aus dem Tunnel. Dafür muss man sich nicht einigen. Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Mein nächstes Projekt schreibe ich wieder mit einer Kollegin zusammen.

Welchen Ansatz haben Sie bei der feinen Bildgestaltung, dem Szenenbild & Kostümbild verfolgt, die Gina und ihre Familie in ihrer Verwahrlosung unterstreichen?

Ulrike Kofler: Film ist für mich immer vor allem Teamarbeit. Ich hatte wie schon bei meinem ersten Film großes Glück mit allen Departments. Sowohl bei der Kamera mit Robert Oberrainer, Ausstattung mit Gerald Freimuth, Kostüm mit Monika Buttinger, Schnitt mit Bettina Böhler etc. Wir haben uns zusammen viele Filme angeschaut (zum Beispiel „Florida Project“ von Sean Baker, „Nobody knows“ von Hirokazu Koreeda und viele andere), haben uns thematisch mit der im Drehbuch beschriebenen Situation auseinandergesetzt. Es sind alles sensible Menschen und Künstler:innen, die sich in ihrem jeweiligen Department damit eingehend beschäftigt haben. Das Haus haben wir sehr lange gesucht, erst im letzten Moment hat es Gerald gefunden. Es stand sogar leer. Gerald Freimuth hat mit seinem Team so viel Zeugs reingekarrt, alle Second-Hand-Läden abgefahren. Ich habe jeden Tag meine Trinkflasche gesucht, die irgendwo in den Requisiten verloren gegangen ist. Beim Kostüm hätte ich es eigentlich am liebsten gehabt, wenn alles Second Hand gekauft wird, das war dann aber schwierig, weil manche Klamotten in mehrfacher Ausführung benötigt wurden. Und mit Kameramann Robert Oberrainer arbeite ich schon ganz lange zusammen. Robert hat einfach ein Gefühl dafür, er hat sich einen kindlichen Blick bewahrt. Wir haben versucht so viel wie möglich aus der Kinderperspektive zu erzählen.

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Das Filmteam bei der Premiere von „Gina“ im Rahmen des 41. Filmfest München (Credit: Bojan Ritan / Filmfest München)

Mir sind die schönen Schattenspiele aufgefallen, überhaupt das Spiel mit Licht und Schatten.

Ulrike Kofler: Das spiegelt in gewisser Weise das Generationenthema: Der eine wirft einen Schatten auf den anderen. Auf den nächsten. Es geht immer weiter. Die Idee ist intuitiv entstanden in der Auflösung, ich habe viele Moods dazu gesammelt, teilweise auch spontan während des Drehs. Es ist visuell eine schöne Metapher bezugnehmend auf die Frage, was Familie ist, was man in sich trägt, was man weitergibt.

Sie sind vor allem als Editorin bekannt. Nachdem Sie nun auch als Autorin und Regisseurin arbeiten: Schreibt und inszeniert man anders, wenn man den Schnitt so verinnerlicht hat?

Ulrike Kofler: Die langjährige Erfahrung als Editorin hilft mir sicher viel beim Schreiben und beim Drehen. Und natürlich auch im Schnitt, wobei ich den bei meinen eigenen Filmen immer abgebe. Das ist ganz wichtig für mich, es jemanden in die Hand zu geben, der mehr Abstand hat. Schnitt ist nichts anderes als eine Auseinandersetzung mit geschriebenen Szenen und wie diese sich visuell und dramaturgisch umsetzen lassen. Und gleichzeitig wird ein Film im Schneideraum neu geschrieben.

Der Film steht und fällt mit der Besetzung der jungen Darsteller:innen. Wo fängt man da mit der Suche an?

Ulrike Kofler: Es war ein langer Castingprozess. Ich hatte sehr viel Unterstützung von meiner Casting Director Rita Waszilovics als auch von Paul Ploberger, der das Kindercasting übernommen hat und dann auch Kindercoach war (gemeinsam mit der sehr erfahrenen Christine Hartenthaler). Für die Hauptrolle haben wir sicher 200 Kinder gecastet. Emma Lotta Simmer, die die Hauptrolle spielt, war noch nie in Berührung mit Film. Die beiden kleinen Brüder werden von Lion und Nino Tatzber gespielt, die auch im wahren Leben wirklich Brüder sind. Einer von ihnen stand bereits vor der Kamera. Wichtig war, dass die Eltern an einem Strang mit uns ziehen, uns in der Aufgabe unterstützen, was glücklicherweise der Fall war. Emma war 36 Tage am Set, also fast immer. Das ist ein Kraftakt für ein Kind. Man muss sehr darauf achten, dass es den Kids gut geht, auf ihre Bedürfnisse eingehen. Wir hatten zum Beispiel eine Szene, die Tortellini-Szene, bei der die Mutter ihre Tochter anbrüllt. Das hat Emma nicht ausgehalten, das jemand so laut mit ihr schreit, auch wenn sie wusste, dass es „nur“ Spiel ist. Marie-Luise Stockinger hat diesen Teil dann stumm gespielt und wir haben danach ihre Stimme draufgelegt.


Das Gespräch führte Barbara Schuster