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Tim Ellrich über „Im Haus meiner Eltern“: „Einen ehrlichen Blick auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen werfen“


Mit seinem fiktionalen Langfilmdebüt „Im Haus meiner Eltern“ wurde Tim Ellrich in den Tiger Wettbewerb des 54. IFFR eingeladen. Wir sprachen mit dem Absolventen der Filmakademie Baden-Württemberg über die Herausforderungen bei der Verfilmung dieser sehr persönlichen Geschichte, seine eigene Produktionsfirma und den Stellenwert des deutschen Kinofilms.

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Tim Ellrich (Credit: Talent Republic Agency)

Ihr Film feiert Weltpremiere im Tiger Wettbewerb des International Film Festival Rotterdam, dem Herzstück des renommierten Festivals, bei dem auf vielversprechende junge Regiestimmen ein Schlaglicht gesetzt wird. Was bedeutet Ihnen die Einladung?

Tim Ellrich: Sowas bedeutet einem natürlich viel, da „Im Haus meiner Eltern“ mein fiktionales Langfilmdebüt ist. Natürlich plagten mich auf dem langen Weg damit auch Ängste und Fragen, eine innere Unsicherheit, gerade, weil es auch ein sehr persönlicher Stoff ist. Wird das, was wir versuchen, von jemandem gesehen? Wenn sich dann ein Festival wie Rotterdam meldet und schreibt, dass sie den Film gut fanden und auch die Inszenierungsleistung hervorheben, ist das eine Bestätigung, dass der Weg, den ich gehe, irgendwo funktioniert und gewertschätzt wird. Rotterdam ist zudem eine wichtige Plattform, die mir sicher auch bei meinen nächsten Projekten hilft und man dadurch ein Selbstvertrauen zum eigenen künstlerischen Ausdruck entwickelt. Ich fühle mich sehr geehrt, wenn man sieht, was für tolle Regisseur:innen in der Tiger Competition ihre ersten Filme gezeigt haben, unter anderem Kelly Reichardt oder Hang Sang-soo. Das ist eine tolle Sache.

Ihr Abschlussfilm Ihres Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg ist, wie bereits von Ihnen erwähnt, sehr persönlich, autobiographisch. Er ist Ihrer Mutter gewidmet. Hat das die Arbeit daran leichter oder schwerer gemacht?

Tim Ellrich: Deutlich schwerer. Auch, wenn man vielleicht denken mag, dass man es mit einer Geschichte, die autobiographisch ist und der man selbst viel zuschaute, leichter hat. Aber für mich war es schwerer, weil ich den abgebildeten Menschen gerecht werden wollte. Ich glaube, dass viele Regisseur:innen, die heutzutage so biografisch arbeiten, das Gefühl kennen. Zu Zeiten fehlte mir eine gewisse Abstraktionsfähigkeit. Ich habe meine Familie nachgecastet und musste zudem jemanden finden, der meinen schizophrenen Onkel spielen konnte. Jemandem, der ihm sehr ähnelt und seine innere Verfassung glaubhaft verkörpert. Da hat man automatisch weniger Spielraum, weil die Vorlagen so präsent in meinem Leben sind. Am Ende hat Jens Brock die Rolle wirklich authentisch verkörpert, ohne jemals zuvor geschauspielert zu haben. Wir habe uns dazu auch entschieden, im Haus meiner Großeltern zu drehen, weil ich mir einfach schwer einen anderen Ort vorstellen konnte und der echte Ort mir geholfen hat, diese gewünschte Authentizität einzufangen. Man fühlt sich bei so einem Projekt, als würde man die Verantwortung seiner gesamten Familie wie einen Rucksack auf dem Rücken tragen. Und der konnte manchmal schwer werden. Als ich dann aber mit den Schauspieler:innen angefangen habe zu arbeiten, hat das Projekt sich mehr und mehr von meiner Familie emanzipiert. Das lag vor allem auch an Jenny Schily, die die Rolle meiner Mutter großartig verkörpert, und dem Ganzen trotzdem eine ganz eigene Farbe gibt. Innerlich hat sie aber genau diese gleiche emotionale Empathie und Zerrissenheit dargestellt, die ich auch schon bei meiner Mutter sehen konnte. 

„Der empathische Blick war mir wichtig.“

Das visuelle Konzept sticht hervor: Schwarzweiss und eine besondere Cadrage. Was war hier Ihr Ansinnen?

Tim Ellrich: Ich könnte mich jetzt hinstellen und behaupten: Das war alles geplant. Aber es ist  tatsächlich im Werden entstanden. Diese Abstraktion meiner Familiengeschichte war eine Entscheidung im Schnitt, die auch unser Editor, Tobias Wilhelmer, vorgeschlagen hat. Wir haben das Material auf Schwarzweiß gebracht und viel experimentiert. Die Idee, die Figur meines Onkels immer mehr ins Off zu setzen, kam uns während des Drehs. Es war sofort stimmig, weil es zu dem Gefühl passte, das ich in den Begegnungen mit meinem Onkel hatte: Er war nie im Fokus, er verschwand, zog sich zurück, obwohl sein Körper und er im Haus ständig präsent war. Dabei half diese gesetzte und statische Bildsprache das Gefühl der  Stagnation innerhalb der Familie visuell zu unterstreichen. Mir war aber dabei immer wichtig, dass der Film nicht nur zur eigenen Nabelschau wird. Ausgehend von meiner Familiengeschichte sollte der Film immer Identifikationsflächen lassen für Menschen, denen es ähnlich geht. Keine der Figuren im Film sollte dabei verurteilt werden, ob es die Eltern, die Geschwister, der Partner oder die Hauptfigur selbst sind. Dieser empathische Blick war mir sehr wichtig.

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„Im Haus meiner Eltern“ mit Jenny Schily (Credit: IFFR)

Sie haben mit Leopold Pape eine eigene Produktionsfirma, Coronado Film, die auch „Im Haus meiner Eltern“ mitproduziert hat – neben Elemag Pictures und Port-au-Prince. Ist es Ihnen wichtig, auch als Produzent Mitspracherecht zu haben?

Tim Ellrich: Mit Leopold Pape verbindet mich eine langjährige Zusammenarbeit und Freundschaft, die vor zehn Jahren während unseres Studiums in Wien begann. Wir sind wie eine Einheit. Gleichzeitig war es sehr bereichernd, mit etablierten und besonderen Partnern zusammenarbeiten – im Falle von „Im Haus meiner Eltern“ mit Elemag Pictures und Port-au-Prince sowie Burkhard Althoff und Melvina Kotios vom ZDF Das Kleine Fernsehspiel. Ich finde es wichtig, als Regisseur auch ein Verständnis für Produktionsprozesse zu bekommen und involviert zu sein. So kann ich Entscheidungen und Wünsche als Regisseur anders betrachten, auch wenn die produzentische Arbeit von Tanja Georgiva-Waldhauer, Jan Krüger und Leopold Pape getragen wurde. Gerade bei Abschlussfilmen befindet man sich ja auch in einem engen Korsett und man muss lernen, mit dem Budget überlegt umzugehen, es zu einer Stärke zu machen. Deswegen denke ich, dass es als Regisseur wichtig ist, den Produktionskontext wenigstens zu verstehen und in gewisser Weise ein kleiner Teil davon zu sein.

„Vielmehr geht es darum, dass man was macht, was nicht nur dem kapitalistischen Prinzip des Konsums untergeordnet ist.“

Welches waren die wichtigsten Lernprozesse in der kreativen Arbeit an Ihrem Langfilmdebüt?

Tim Ellrich: Es war eine lange Reise, bei der ich durch Höhen und Tiefen gegangen bin. Ich habe dabei gelernt, dass die Höhen nicht immer so hoch sind und die Tiefen nicht immer so tief sein müssen. Film ist ein Prozess, es entsteht viel im Werden und es gibt viele Möglichkeiten, noch im Prozess etwas zu ändern. Mit Erfahrung, denke ich, lernt man mit mehr Entspannung an die Sache zu gehen, mehr in sich selbst zu vertrauen und zu wissen, was wichtig ist und was man vernachlässigen kann. Das Kino, an dem ich mich versuche, soll einen ehrlichen Blick auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen werfen. Die Ambiguitäten stehen lassen und dabei nicht zu vereinfachten Schlüssen greifen. Empathie zu schulen und zu entwickeln für das, was uns normalerweise abschreckt. 

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„Im Haus meiner Eltern“ (Credit: IFFR)

Wie fällt Ihr Blick auf den deutschen Kinomarkt aus als jemand, der am Anfang seiner Karriere steht?

Tim Ellrich: Das ist eine komplexe Frage, und ich weiß nicht, ob ich die wirklich beantworten kann. Wir haben einerseits die Situation, dass es immer mehr Ausbildungs- und Studienplätze im Bereich Film gibt, die Plätze in der Branche aber hart umkämpft sind. Das heißt, der Druck auf die Newcomer:innen und Absolvent:innen wird immer größer. Ich habe das Gefühl, dass es heute vielmehr darum geht, einen Platz im Markt zu finden, als seinen eigenen künstlerischen Ausdruck zu entwickeln. Diesem Druck können wir uns alle nicht entziehen. Gleichzeitig hat der deutsche Film als Kunstform in gewisser Weise die deutschen Zuschauer:innen verloren. Und andererseits fehlt in Deutschland eine gewisse Wertschätzung dieses Kinos, die überhaupt dazu führen könnte, dass der deutsche Film wieder mehr Selbstbewusstsein bekommt. Das ist eine Art Wechselwirkung. Ich glaube für die deutsche Filmlandschaft wäre wichtig, dass es wieder mehr Leute gibt, die an das Kino glauben und das auch kommunizieren. Gleichzeitig ist ja auch total im Wandel, was Kino überhaupt bedeutet. Ich glaube, keiner kann das gerade so richtig beantworten, und vielleicht geht es auch gar nicht so sehr darum, solche großen Fragen zu beantworten, sondern vielmehr geht es darum, dass man was macht, was nicht nur dem kapitalistischen Prinzip des Konsums untergeordnet ist. Etwas, dass eben außerhalb dessen steht und in gewisser Weise unser humanistisches Bild prägt. Das erfahrbar macht, wozu wir manchmal nicht die Worte finden, was nicht einfach abbildbar ist und das uns darüber nachdenken lässt, wer wir eigentlich wirklich sind. Ich finde auch, dass man Filme nicht nur für das Publikum im Hier und Jetzt macht. Ich schaue auch Bresson-Filme aus den 1960er Jahren. Ich bin also auch ihr Publikum und diese Filme gehen über ihre Zeit heraus. In einer Zeit von Polarisierung finde ich wichtig, dass man erkennt, dass Kunst und Narration sich nicht widersprechen müssen. Das man versteht, dass Zuschauer:innen auch immer herausgefordert werden wollen. Das Kino muss wieder diese gesellschaftliche Wichtigkeit erlangen. Aber das ist schwer, weil sich die jungen Menschen mehr für Technologie und Social Media interessieren. Ich habe noch keine wirklichen Antworten darauf, aber viele Fragen.

Das Gespräch führte Barbara Schuster