Sylvia Fahrenkrog-Petersen nimmt uns mit in die Welt des Reality-Fernsehens. Wie es bei ihrer mit Cornelia Landgraf geführten Firma Just Friends Productions – einer Tochter der Seven.One Studios – läuft, wie es allgemein im TV-Markt aussieht – Stichwort sinkende Budgets und Bestellstopp bei Sendern – und wie man den richtigen Riecher für neue Format hat – das sind Themen unseres Gesprächs.
Just Friends Productions gibt es nun drei Jahre. Sind Sie mit dem Lauf und unter dem Dach der Seven.One Studios zufrieden?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Streng genommen gibt es Just Friends erst seit zwei Jahren. Ursprünglich unter dem Namen Flat White gegründet, haben Cornelia Landgraf und ich entschieden, mit einem Relaunch und mit dem neuen Namen Just Friends die Weichen für die Zukunft zu stellen. Ich arbeite mit Conny schon 18 Jahre zusammen und auch andere Kolleg:innen, die bei Just Friends dabei sind, kenne ich schon sehr lange. Und da hat uns Just Friends gut gefallen, weil das einfach auch zutrifft und besser zu uns passt als ein Kaffee 😄. In der Produktionsbranche ist grundsätzlich so ein Markteintritt natürlich nie leicht. Momentan sind auch die Zeiten sehr turbulent. Einfacher hatten wir es, weil wir uns nicht erst kennenlernen mussten, der Kern der Leute war sich vertraut. Aber für unsere Formate haben wir natürlich auch neue Teams geformt, arbeiten wieder ganz neu mit Leuten zusammenarbeiten und es war sowohl für Cornelia als auch für mich ein großer Schritt, in einem so Riesenkonzern wie ProSiebenSat.1 zu arbeiten. Man muss sich auf neue Strukturen und Hierarchien einstellen. Aber die Kolleg:innen haben es uns leicht gemacht. Wir sind auf einem guten Weg.
Wie sieht es bezüglich der Gestaltung der Inhalte aus? Gibt es eine gewisse Schlagzahl an Produktionen, die Sie liefern müssen, um die Firma gut dastehen zu lassen?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Wir wollen natürlich Erfolg haben. Erfolg haben heißt im Geschäftsleben auch Geldverdienen. Jeder, der in einer Firma arbeitet, speziell in der Geschäftsleitung, muss aus Selbstschutz den finanziellen Aspekt in den Vordergrund schieben. Wir haben relativ schnell nach meinem Einstieg mit zwei Dailys angefangen, „Lebensretter hautnah“ und „Mein Lokal, Dein Lokal“. Das heißt: jeden Tag an fünf Tagen die Woche abliefern. Das ist schon mal eine gute Schlagzahl. Mit diesen beiden großen Aufträgen im Rücken entwickeln wir neue, oft auch kleinere Produktionen.
„Generell ist es einfach schwerer, etwas komplett Neues zu erfinden.“
Wie entwickeln Sie neue Formate? Wie weiß man denn, was die Zuschauer:innen interessiert?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Man denkt immer, man weiß nach so vielen Jahren im Job, was die Zuschauer sehen wollen. Jeder, der kreativ arbeitet, meint das zu wissen. Wenn von 50 Formaten zehn oder fünf verkauft werden, ist das schon gut. Und wenn dann zwei zum Langläufer werden, ist das wie ein Sechser im Lotto. Die „Lebensretter“ wurden von uns damals bei Good Times für die Primetime von Sat.1 produziert. Als die Quoten nachgelassen haben, wurden sie abgesetzt. Für die Daytime wäre das Format zu teuer gewesen. Für die Sat.1-Nachmittagsshow „Volles Haus“ wurde dann überlegt, was sich noch anbieten würde. Da ist Cornelia – schon damals mit Flat White – auf die grandiose Idee gekommen, die „Lebensretter“ zu inkludieren. Dort haben sie als kleine Magazin-Beiträge schon sehr gut funktioniert. Da sie innerhalb dieses Formats so gut liefen, haben wir mit den Kolleg:innen von Sat.1 überlegt, die „Lebensretter“ auf dem Sendeplatz um 18 Uhr als Daily auszugliedern. Das hat super funktioniert. Aber so viel Glück hat man nicht immer mit Dailys. Die „Tierdocs“ haben in der Daily-Frequenz leider nicht funktioniert. Aber die gezeigten Wiederholungen bei Sat.1 GOLD zur Primetime liefen richtig gut. Da haben wir jetzt den Folgeauftrag, die neuen Folgen laufen seit 22. Mai, immer donnerstags in der Primetime. Generell ist es einfach schwerer, etwas komplett Neues zu erfinden. Es gibt ja schon viel. Man hat immer die Möglichkeit, Dinge abzuwandeln und mit neuen Zutaten anzureichern. Manchmal klappt’s, manchmal nicht. Das ist ein normaler kreativer Prozess. Das war schon immer so. Was sich geändert hat, ist das Zuschauerverhalten. Früher gab es die Öffentlich-Rechtlichen, dann kamen die Privatsender. Heute ist die Korkurrenzsituation eine andere – mit den SVOD-Streamern, aber auch mit YouTube und anderen. Die Masse an Angebot ist gestiegen. Umso wertvoller ist es, wenn wir einen Hit landen.
Produziert Just Friends exklusiv für ProSiebenSat.1?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Nein. Aber wir stehen natürlich im ständigen Austausch mit den Senderkolleg:innen. Neben unseren beiden Produktionen für ProSiebenSat.1, haben wir aktuell unseren ersten externen Auftrag bekommen, über den wir uns sehr freuen. Leider darf ich noch nichts verraten. Momentan ist der Markt umkämpft, es ist sehr schwer, etwas zu verkaufen und die Budgets sind gesunken. Viele Sender haben Bestellstopp.
Ist man rein produktionell gesehen bei Dailys wendiger?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Fiction ist wesentlich teurer und wenn man Fiction an den Start bringen will, sind die Abläufe viel länger. Factual- oder Reality-Formate sind sicherlich schneller herzustellen. Allerdings ist es immer ein herber Schlag, wenn ein Format abgesetzt wird – für alle Beteiligten.
Eines Ihrer aktuellen Erfolgsformate ist die Daily „Mein Lokal, Dein Lokal“, das jeden Tag um 18h bei Kabel Eins zu sehen ist. Was ist das Erfolgsgeheimnis?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Das Erfolgsgeheimnis ist, dass wir die Lebenswirklichkeit der Menschen einfach zu 100 Prozent treffen. Jeder geht irgendwann ins Restaurant zum Essen. Man guckt sich Restaurants an und will wissen, wie es in der Küche aussieht, was dort geschieht, ob es sauber ist, welche Zutaten verkocht werden etc. Dazu bedient das Format ein von anderen Kochshows gelerntes Wettbewerbsmuster. Ich glaube: Je näher man an der Lebensrealität der Menschen dran ist, desto eher wird ein Format von Erfolg gekrönt sein.
„,Mein Lokal, Dein Lokal‘ wird auch von den Werbekunden geschätzt, weil es positiv besetzt ist.“
Wie lange im Voraus wissen Sie, ob ein Format verlängert wird?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: „Mein Lokal, Dein Lokal“ läuft bereits zehn Jahre. Die aktuelle Staffel geht im September zu Ende, und bereits jetzt sprechen wir über die nächste Staffel. Das ist ein Glücksfall. Das hat man nicht bei vielen Formaten. „Mein Lokal, Dein Lokal“ wird auch von den Werbekunden geschätzt, weil es positiv besetzt ist. Es geht ums Essen, es passiert nichts Schlimmes. Bei „Armes Deutschland“, das ich damals bei Good Times gemacht habe, bewegt man sich hingegen in Milieus, die nicht ganz so werbeaffin sind.
Mittlerweile ist ja die lineare Ausstrahlung nicht mehr alles…
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Absolut. Wir müssen heutzutage immer auch gucken, wie die Shows auf den entsprechenden Streaming-Plattformen performen, im Falle von „Mein Lokal, Dein Lokal“ also auf Joyn. Dort läuft es seit Jahren verlässlich gut, es ist relativ günstig herzustellen, die Quoten liegen häufig über Senderschnitt bei Kabel Eins – besser geht’s nicht.
Welche Projekte hat die Just Friends Productions in der Pipeline?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Wir machen für Kabel Eins ein schönes neues Format, das im Spätherbst laufen wird. Für den Sender haben wir auch noch ein weiteres Projekt im Köcher, über das ich aber ebenso wenig sprechen kann wie über den erwähnten, ersten externen Auftrag, den wir bereits drehen.
Das Fernsehen befindet sich in einem permanenten Wandlungsprozess. Woran machen Sie den Erfolg von Factual-Dailys fest?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Die Menschen haben ein Sehbedürfnis. Das wird immer bleiben. Aber wir müssen uns auch nichts vormachen: Die Sehgewohnheiten ändern sich stetig. Wir sind zwar im klassischen linearen TV immer noch erfolgreich, aber es ist wichtig, neue Ausspielwege zu suchen. Streaming ist ein großer Konkurrent, Content und Bewegtbild werden jedoch immer gebraucht und unsere Konzernmutter hat mit Joyn hierauf ja eine starke Antwort mit entsprechendem Wachstum. Die Ausspielwege und die Plattformen verändern sich also. Das gilt auch für die Produktionsweisen. In meinem früheren Leben war ich Managerin in der Musikindustrie. Die hat sich auch total gewandelt. Es ist wichtig, dass man sich mit wandelt.
Ist die Konkurrenz in Ihrem Bereich allgemein größer geworden oder ist das immer das gleiche Gerangel um Aufträge?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Die Konkurrenz um Budgets ist größer geworden – und das, obwohl sicher nicht mehr beauftragt wird. Ein Beispiel: Wenn der WDR eine Ausschreibung für eine Doku-Soap macht, landen 180 Pitches beim Sender. Das ist Wahnsinn. Gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen können das gar nicht mehr finanzieren, weil die Budgets so runtergangen sind. Das ist einfach nicht gut.
Wenn wir in die Zukunft blicken. Was wünschen Sie sich? Was haben Sie sich auf die Fahnen geschrieben für die nächsten drei Jahre Just Friends Productions?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Wir wollen natürlich unsere aktuellen Serienproduktionen behalten. Dann wollen wir in der Primetime ein oder zwei Langläufer landen. Und vielleicht gewinnen wir ja auch nochmal einen Preis 😄. Das mit den Langläufern sage ich, weil es einfach viel schöner ist, wenn man mit bestehenden Teams arbeiten kann. Oft baut man Teams auf, arbeitet in einer Staffel-Produktion zusammen, dann wird der Auftrag nicht verlängert und man muss alle Leute entlassen. Es ist traurig, wenn man fähige Leute gehen lassen muss.
Welcher Teil Ihrer Arbeit macht Ihnen eigentlich am meisten Spaß?
Sylvia Fahrenkrog-Petersen: Am meisten gefällt mir, wenn man erst eine verrückte Idee hat, sie in Gedanken mit sich trägt, auf Papier entwickelt, und diese Idee irgendwann einmal Realität wird. Wie bei „Mein Lokal, Dein Lokal““. Ich habe die Idee fünf Jahre durchs Land getragen! Man braucht eine hohe Frustrationstoleranz. Wenn man es dann aber schafft, so ein Format auf den Weg zu bringen und man es irgendwann im Fernsehen sieht, das ist der schönste Moment. Nach all den vielen Jahren.
Das Gespräch führte Barbara Schuster