Am 10. Mai wird im ZDF ein neuer Krimi der Stralsund-Reihe ausgestrahlt. Für die Inszenierung von „Blutgeld“ zeichnete Štěpán Altrichter verantwortlich (HIER unsere Besprechung). Wir haben uns mit dem Regisseur über das Besondere der Geschichte, sein Ensemble und den Blick eines Kino-Regisseurs auf den Fernsehbereich unterhalten.

„Stralsund – Blutgeld“ ist Ihre erste Regiearbeit im Primetime-Krimigeschehen der Öffentlich-Rechtlichen. Wie kam das Projekt zu Ihnen?
Štěpán Altrichter: Nach meinem zweiten Kinofilm, „Nationalstraße“, der eine Koproduktion mit dem Kleinen Fernsehspiel/ZDF und Arte war, gab es ein drittes Kinoprojekt, wieder als deutsch-tschechische Koproduktion und wieder mit dem ZDF als Partner angedacht. Obwohl wir schon einen Großteil des Budgets hatten, kam das Projekt leider nicht zustande, was ich sehr schade fand. Und das war auch finanziell für mich schwierig. Dazu muss man sagen, dass genau an diesem Punkt viele Regisseur:innen wirtschaftliche Schwierigkeiten kriegen, gerade die, die nicht aus betuchten Verhältnissen kommen. Das hat das ZDF mitgekriegt: Da ist einer, der will erzählen, der kennt das. Also fragte mich das ZDF, ob ich nicht Lust hätte, einen seiner Krimis zu inszenieren. Dieses Angebot hat mich sehr gefreut, denn allgemein herrscht das Vorurteil, Kino-Regisseure seien sich zu fein, um Fernsehen zu inszenieren. Das stimmt nicht. Regieführen für einen Krimi ist eine wunderschöne Arbeit in meinen Augen… Weil ich als Tscheche nicht mit deutschen Fernsehkrimis sozialisiert wurde, habe ich meine Hausaufgaben gemacht und einen Blick auf die um die 24 Krimireihen des ZDF geworfen …
Und sind dabei auf „Stralsund“ gestoßen. Was hat Sie an der Reihe überzeugt?
Štěpán Altrichter: Stralsund vereint zwei Sachen, die ich liebe: Einerseits geht die Reihe mehr über Atmosphäre, hat einen Touch von Scandic-Noir, was mir liegt, und andererseits spielt sie in Stralsund, also im Osten der Republik und zeigt Menschen, die härter sind, oft auch verschlossener, Menschen, die eher am Rand der Gesellschaft stehen. Das hat mich angesprochen.
„Das Problem vieler Krimis ist ja, dass alles erklärt wird. In „Blutgeld“ wird nicht alles ausgesprochen.“
„Blutgeld“ basiert auf einem Drehbuch von Martin Behnke und Marc Zwinz. Was hat Ihnen an der Story gefallen?
Štěpán Altrichter: Es wird sehr viel darüber gesprochen, dass es kaum Ost-Geschichten gibt. Oder dass Ost-Geschichten dann oft von Westlern gemacht werden. Diese Geschichte ist aus dem Osten und erzählt von einem nicht so akademischen Milieu. Ich mochte, dass die Charaktere so echt sind. Das zweite, was mich beim Drehbuch ansprach, war, dass es keine Schwarzweißmalerei gibt. Die Figuren sind ambivalent, nicht jeder, der etwas Ungesetzliches tut, ist automatisch der Bösewicht. Es wird auch von der Not der Menschen erzählt. Es wird mannigfaltig beleuchtet und gezeigt, wie verzwickt Lebensumstände sein können. Außerdem fand ich gut, dass die Autoren sehr filmisch erzählen. Das Problem vieler Krimis ist ja, dass alles erklärt wird. In „Blutgeld“ wird nicht alles ausgesprochen. Dadurch wird die Fantasie des Zuschauers gefordert, und ich denke, die Zuschauer sind dankbar, wenn sie selber mitdenken dürfen.
„Stralsund – Blutgeld“ strahlt auch durch tolle junge Darstellende wie Maja Bons oder Julius Nitschkoff. Wie haben Sie das Casting erlebt?
Štěpán Altrichter: Das Schöne war, dass mir bei der Besetzung Vertrauen geschenkt wurde seitens der Redaktion und Produktion. Meiner Meinung nach gibt es bei der Besetzung der kreativen Berufe Regie wie auch Schauspieler:innen eine unbewusste Grenze zwischen Fernsehen und Kino, die sehr speziell deutsch ist und die ich mir nicht erklären kann. Genauso wie man bei Regie oftmals zwischen Kino und TV trennt, werden auch Schauspieler:innen eingeteilt. Gemeinsam mit der tollen Casterin Sandra Köppe habe ich einfach außerhalb der bekannten Fernsehlisten gesucht. Zusammen mit der Network Movie und einigen Kolleg:innen haben wir uns die Freiheit genommen, Leute zu finden, die wir wirklich spannend finden und die zu der Zeit nicht so bekannt waren. So kam dieses tolle junge Ensemble zusammen.
Es gibt neu einen polnischen Ermittler im Team, der von Jakub Gierszal gespielt wird. Was ist die Geschichte dahinter?
Štěpán Altrichter: Das war eine schöne Entwicklung. Es kam der Wunsch aus der Redaktion und Produktion nach einem Dritten im Bunde der Kommissare. Der sollte aus Polen sein. Florian Strebin, der Producer der Reihe, und der Redakteur Christian Cloos hatten schon eine gute Vorstellung, wohin die Reise gehen soll. Ich durfte die Figur als Osteuropäer mitgestalten, was ich super fand. Mit Jakub Gierszal kam mir die Idee, direkt in Polen zu suchen. Ein befreundeter deutsch-polnischer Kameramann empfahl ihn mir. Das ist eben der Vorteil der Verzahnung von Arthouse und TV – man kennt andere Leute. So einer taucht in keiner deutschen Agentur-Karteikarte auf. Und zufällig spricht er auch noch perfekt deutsch. Zusammen mit ihm haben wir die Rolle weiter geformt, damit sie wirklich ganz nah am Leben ist und nicht wie am Schreibtisch ausgedacht wirkt. Jakub ist wirklich ganz toll. Ich bin sehr froh, dass wir ihn besetzen konnten.
„Das Vorurteil, Kino-Regisseure würden nicht mit den knappen TV-Zeiten zurecht kommen, stimmt aber einfach nicht.“
Was waren die größten Herausforderungen beim Dreh?
Štěpán Altrichter: Schwierig war sicherlich die ganzen Handlungslinien in so kurzer Erzählzeit zusammen zu kriegen. Man hat hier ja schon ein großes und vielschichtiges Ensemble. Das hat aber super geklappt, finde ich. Schwierigkeiten hatten wir auch durch das Wetter. Wir haben vor einem Jahr im Januar gedreht, es waren bis zu neun Grad Minus, es ging ein Sturm von bis zu 100 Stundenkilometer und es gab viel Regen. Dennoch haben wir uns getraut, viel draußen in Stralsund zu drehen, was dem Look absolut zugutekommt. Auch war der Transfer vom Kino ins TV nicht ohne. Die Abläufe sind einfach etwas anders. Zwischen Kino und Fernsehen gibt es in Deutschland gelegentlich noch unsichtbare Barrieren – da wäre ein bisschen mehr Austausch wünschenswert. Das habe ich dann auf die etwas harte Art – on the go gelernt – umso besser sitzt es jetzt 😄. Das Team war toll, ich bin ihm sehr dankbar. Denn wenn das drin ist, ist fürs Fernsehen drehen eine tolle Sache. Das Vorurteil, Kino-Regisseure würden nicht mit den knappen TV-Zeiten zurecht kommen, stimmt aber einfach nicht. Ich fand es tatsächlich schwieriger, meinen letzten Kinofilm in 32 Drehtagen zu drehen als diesen in 21. Es ist einfach nur anders.
Wie ist es um Ihren Kinofilm „Runner“ bestellt und wie fällt allgemein Ihr Blick auf die aktuelle Marktsituation aus?
Štěpán Altrichter: Bei „Runner“ stehen ungefähr 50 Prozent der Finanzierung. Durch die tolle Zusammenarbeit mit Martin Behnke bei „Stralsund“ ist er jetzt auch noch bei „Runner“ eingestiegen und hat mein Drehbuch veredelt. Ich würde mir sehr wünschen, wir würden diesen Film noch fertig finanzieren. Ob das gelingt, steht aber in den Sternen. Es ist ein tolles, sehr eigenartiges Projekt im Stile des Berlinale-Gewinners „Black Coal, Thin Ice“. Auch ein Neo Noir Film. Ambitionierte Kinoprojekte vom Boden zu bekommen, ist nicht einfach. In Deutschland ist es extrem schwierig, gutes Kino zu machen, weil man nach wie vor in zwei Schubladen denkt, diese krasse Unterteilung zwischen E und U, zwischen Unterhaltung und sperriger Kunst, bremst meiner Meinung nach kreatives Potential aus. In Tschechien denkt man da zum Beispiel anderes. Mit einem sehr sperrigen Film wie „Nationalstraße“ haben wir es beispielsweise geschafft, einen kommerziellen Hit zu landen. Ich glaube, in den Köpfen der Zuschauer gibt es die Unterteilung zwischen E und U gar nicht, aber bei den Förderungen, Sendern. Meiner Meinung nach kann ein Film aber gleichzeitig unterhalten und etwas gesellschaftlich Relevantes ansprechen. So wie es Fatih Akin zum Beispiel macht. Was ein Riesenproblem ist, ist die deutsche Spezialität, dass ein Film kaum ohne Sender zu realisieren ist. Da wird dann ein Konsens gesucht und aufgrund von viel Druck einigt man sich dann auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Und auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners ist noch nie ein guter Film entstanden. Ich würde mir wünschen, dass sich das ändert. Ich selbst bin jetzt in die neue Kommission der kulturellen Filmförderung berufen worden. Ich hoffe wir können da in nächster Zeit was tun. Denn: Es gibt sie, die Filmemacher:innen, die das können, es gibt die Zuschauer, die das wollen, und es gibt sogar das Geld, im Gegensatz zum Beispiel zu Tschechien. Ich wünsche mir da mehr Mut von den Entscheider:innen.
Das Gespräch führte Barbara Schuster