Simon Schneckenburger und Leon Döhner sind Absolventen der Filmakademie Baden-Württemberg, der eine studierte Regie, der andere Produktion. Alle ihre studentischen Filmarbeiten entstanden in einem kreativen Kollektiv. Wir sprachen mit ihnen über ihren starken Abschlussfilm „Skin on Skin“, der Chancen auf den Deutschen Kurzfilmpreis hat. Die Verleihung ist am 21. November.
Herzlichen Glückwunsch zur Nominierung für den Deutschen Kurzfilmpreis! Was bedeutet Ihnen beiden diese Anerkennung?
Simon Schneckenburger: Das ist eine große Ehre. Nicht nur, weil man sich in Gesellschaft toller anderer Filme von Kolleg:innen befindet. Sondern auch, weil die Nominierung einen gewissen Aufwind bringt. Den brauchen wir nach der Filmakademie, aus der wir nun gespuckt wurden, in die Branche hinein. Die Nominierung verschafft Sichtbarkeit. Das ist extrem wichtig für uns. Außerdem ist auch cool, dass es schon für die Nominierung Geld gibt.
Leon Döhner: Das ist der schöne Nebeneffekt, wenn es auch ein bisschen Geld gibt. Es gibt für die Nominierung schon 15.000 Euro. Beim Gewinn noch mal 15.000…
Welche Mühen haben Sie für die Finanzierung auf sich genommen?
Leon Döhner: Die Finanzierung war bei „Skin on Skin“ wirklich außergewöhnlich aufwändig. Von Anfang an war klar, dass der Film mit einem industriellen Schlachthof als Location ein ambitioniertes und auch kompliziertes Projekt sein würde, das viel Arbeit, vor allem viel Vorbereitung bedarf. Wir haben frühzeitig mit der Entwicklung begonnen, damit Simon und unsere Ko-Autorin Marie Wagner auch genug Zeit fürs Drehbuch hatten. Ich habe parallel mit der Finanzierung begonnen. Diese bestand aus verschiedenen Finanzierungsbausteinen. Die Filmakademie Baden-Württemberg unterstützte uns mit einem Betrag, der in unserem Fall aber nur einen Bruchteil des Gesamtbudgets ausmachte. Ein großer Dank geht auch an Brigitte Dithard vom SWR und Laurence Rilly von Arte, sowie 3Sat, die von Anfang an Vertrauen in das Projekt hatten. Darüber hinaus haben wir wirklich alle Register gezogen. Stiftungen angeschrieben, private Geldgeber, Gruppen, die sich für Tierschutz engagieren. Diesbezüglich hat unser Film ein förderfähiges Thema, es geht auch um Tierwohl und Arbeitsbedingungen in den großen Schlachthöfen. Personen des öffentlichen Lebens wie der Stuttgarter Künstler Tim Bengel haben Geld in das Projekt gesteckt. Das war toll! Man trifft auf Zuspruch. Sonst wäre es nicht möglich gewesen. Außerdem haben wir den Caligari-Förderpreis gewonnen, hatten Referenzpunkte von der FFA und haben ein Crowdfunding gestartet. Wir als Team haben einen Image-Spot gedreht und unsere Gehälter mit in den Film reingesteckt.
„Skin on Skin“ thematisiert den Wunsch nach Nähe und Geborgenheit in einem kalten, allzu unmenschlichen Umfeld. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Simon Schneckenburger: Diese Geschichte habe ich sehr lange in mir getragen. Aus produktionstechnischen Gründen war es einfach nicht möglich, sie früher umzusetzen. Im ersten Jahr an der Filmakademie haben wir einen Stoff entwickelt, der in der Landwirtschaft spielt. Er wurde nie umgesetzt. Ich hatte damals zu moderner Sklaverei recherchiert. Das war noch vor Corona, bevor das Schlaglicht auf die Fleischindustrie gefallen ist. Mir war nicht bewusst, wie viel kriminelle Energie in dieser Branche steckt und was da alles hinter Mauern und Zäunen in dieser großindustriellen Tötungs- und Weiterverarbeitungsmaschinerie geschieht. Irgendwie bin ich im Internet „falsch“ abgebogen und habe mehr und mehr in diese Richtung recherchiert, habe mit Leuten Kontakt aufgenommen. Durch die Skandale während Corona wurde das Thema Schlachthof in die breite Öffentlichkeit getragen. Das hat mich nie mehr losgelassen. Gleichzeitig war ich dann interessiert, ob sich danach wirklich etwas verändert hat, ob wirklich was passiert ist bezüglich der Arbeitsbedingungen etc….Um herauszufinden, auf welchem Fundament ich die Begegnungs- und Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptfiguren aufbauen kann, habe ich zahlreiche Interviews geführt – beispielsweise mit Menschen, die sich seit Jahren aktiv für Arbeitsmigrant:innen einsetzen, einem ehemaligen Sicherheitsmann eines bekannten Unternehmens der Branche oder noch aktive Arbeiter:innen in der Fleischindustrie. So ein Schlachthof wirkt wie ein Brennglas unserer Gesellschaft was anti-slawischen-, anti-osteuropäischen Rassismus anbelangt. Wie oft sprechen wir von „der Polin“, die sich um die Oma kümmert, oder „der Rumäne“, der auf den Feldern arbeitet. Ihre persönlichen Geschichten und Lebenswirklichkeiten bleiben dabei in der Regel unsichtbar und werden auf die bloße Rollenzuschreibung als Arbeiter:innen reduziert.
Die Haut hat eine Schutzfunktion, grenzt ab, ist gleichzeitig aber auch sensibel für Berührungen… mit diesem Bild spielt „Skin on Skin“ ebenfalls…
Simon Schneckenburger: So ein großindustrieller Schlachthof ist ein destruktiver Ort für alle Lebewesen. Für die Menschen, die dort arbeiten, für die Tiere, die dort getötet und verarbeitet werden. Es ist wahnsinnig, wenn man in so einem Schlachthof ist und zusieht, wie Menschen dort arbeiten. Alles ist nass, die Haut glänzt, die der Tiere, aber auch die der Menschen, die schwitzen… Das hat etwas total Haptisches. Das wollten wir mit aufnehmen. Verflochten mit dem Grundgedanken nach der Sehnsucht nach echter Berührung, echter Verbindung zwischen diesen beiden Menschen.
Im Schlachthof wird viel nachts gearbeitet. Sie haben fast ausschließlich nachts gedreht. Worin lagen die Herausforderungen? Und wo haben Sie überhaupt gedreht?
Leon Döhner: Eine der größten Herausforderungen in der Vorproduktion war tatsächlich das Location-Scouting. Das Motiv zu finden, war nicht einfach. Unser großes Anliegen war, wirklich einen großindustriellen Schlachthof zu erzählen. Über fünf, sechs Monate sind wir durch NRW und Baden-Württemberg gefahren, um stillgelegte Schlachthöfe anzuschauen. Klar war von Anfang an, dass wir nicht in einem laufenden Betrieb in der Größe drehen können. Die lassen niemanden rein, sind extrem vorsichtig, was Kamerateams anbetrifft. Allein schon in der Recherche zu den Motiven ist man auf sehr viel Vorsicht und Misstrauen gestoßen. Ebenfalls stand außer Frage, ein solches Motiv komplett im Studio aufzubauen. Das hätte den finanziellen Rahmen gesprengt. So haben wir letztendlich in Tauber-Bischofsheim einen Schlachthof gefunden, der nach einem Tierschutzskandal schließen musste und in seinem Kern und seiner Grundstruktur bestand. Das war ein großartiger Fund für uns. Dort konnten wir „unseren“ Schlachtbetrieb hineinbauen. Wir haben uns relativ spät dazu entschlossen, alles nachts zu drehen. Es gab starke inhaltliche Argumente die dafür sprachen, aber auch große Bedenken. Unser zweiter Drehblock wurde dadurch zu einer Belastungsprobe und ich kann mich nur bei unserem Team für das Durchhaltevermögen bedanken. Im Nachhinein hat sich diese Entscheidung ausgezahlt.
„Die Zusammenarbeit im Kollektiv empfinde auch ich als großes Glück.“
Leon Döhner
Sie haben nicht nur „Skin on Skin“, sondern auch die anderen Filme, die Sie während Ihres Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg realisierten, in einem kreativen Kollektiv (Kamera, Schnitt, Sound Design, Mischung, Szenenbild, Kostüm) umgesetzt…
Simon Schneckenburger: Es ist ein Riesenglück, dass wir uns während des Studiums gefunden haben. Es wird einem dort von Anfang an eingetrichtert, Banden zu bilden. Aber das ist meist leichter gesagt als getan. Wir hatten das Glück, uns direkt gefunden zu haben! Für mich ist es toll. Normalerweise muss man hausieren gehen und sein Team jedes Mal zusammenstellen, seine Themen vorstellen etc… Ich brauche nicht mal ein Thema zu haben und die Leute sind da! Dieses Vertrauen zu bekommen, ist bestärkend. Ganz eng bin ich mit meinem Kameramann Nico Schrenk. Wir sind beste Freunde, wir kommunizieren am Set quasi ohne Worte. Es reicht ein Blick und wir wissen, was gemeint ist. Nico ist immer schon bei der Drehbuchentwicklung mit dabei, wir denken von Anfang an das Visuelle mit. So auch bei „Skin on Skin“. Klar war, dass wir auf 16mm drehen wollten. Das war für uns schon immer ein Traum und passte auch perfekt zu unserer Geschichte sowie dem Setting, in dem sie verortet ist. Die Ästhetik des 16mm-Films zeigt sich dabei weniger im klassisch Schönen, sondern vielmehr in einem organischen und ungeschliffenen Look, der die sinnlich-haptische Dimension des Stoffs unterstützt. Das Scouten mit Nico, die spontane Entscheidung, nachts zu drehen… das geht nur, weil wir uns so gut verstehen. Bei diesem Projekt haben wir alle unseren Angstpunkt verschoben, um noch einen Schritt weiter zu gehen.
Leon Döhner: Die Zusammenarbeit im Kollektiv empfinde auch ich als großes Glück. Wir sind gemeinsam von Film zu Film gegangen. Das ist eine Philosophie, die ich später gerne weitertragen würde.
Sie müssen nun aber den Schutzraum Filmakademie verlassen und sich im freien Markt behaupten. Worin sehen Sie als Berufsanfänger nun die Herausforderungen?
Leon Döhner: Wir haben uns im Anschluss an unseren Diplomfilm viel mit der Frage befasst, wie es jetzt weitergeht, wie wir mit den Filmen, die wir machen wollen, Geld verdienen können. Denn der Geist, dass wir gerne weiter zusammen Filme machen würden, besteht. Bei der letzten Berlinale haben wir bereits unsere Fühler ausgestreckt, haben mit Produktionsfirmen gesprochen… Das war erst mal desillusionierend, weil wir alle wissen, dass die Branche aktuell nicht ihre beste und goldenste Zeit erlebt. Doch tatsächlich sehen wir einen Silberstreif am Horizont, denn es hat sich ausgezahlt, dass wir so viel Kraft und Energie in „Skin on Skin“ gesteckt haben… Einer unserer Dozenten in Ludwigsburg, Nico Hofmann, ist auf uns aufmerksam geworden, fand den Film super und hat sich vorgenommen, uns zu fördern. Dank ihm haben wir die Möglichkeit bekommen, zusammen mit einer Produktionsfirma an Debütstoffen zu sitzen und diese zu entwickeln.
Simon Schneckenburger: Als Regieperson werde ich vermutlich nie in einer Festanstellung sein. Man fühlt sich manchmal schon wie ein Einzelkämpfer, fühlt sich auch hilflos. Deshalb ist es schön zu wissen, man kann die ersten Karriereschritte in einer Gruppe beschreiten, mit guten Freunden. Wir alle haben gerade ähnliche Sorgen. Man kommt aus der Uni und bekommt zu hören, dass es der Branche, dem Markt gerade nicht so gut geht. Das ist natürlich nicht förderlich… Man hofft, irgendwie gesehen zu werden. Eine Nominierung wie die zum Deutschen Kurzfilmpreis hilft da enorm. Und auch dank Nico Hofmann hat sich eine positive Perspektive aufgetan.
Das Gespräch führte Barbara Schuster