August Wittgenstein spielt in der schwedischen Miniserie „Faithless“ eine der Hauptrollen. Sie feiert heute beim Toronto International Film Festival Weltpremiere. Wir nutzten die Gelegenheit und haben mit dem Deutsch-Schweden über das Projekt, die Arbeit mit Tomas Alfredson, die Vorlage von Ingmar Bergman und die Situation für Schauspieler im Allgemeinen gesprochen.
Die Serie „Faithless“ feiert am 11. September Weltpremiere beim Toronto International Film Festival. Sie spielen darin eine der Hauptrollen. Herzlichen Glückwunsch zur Einladung! Was erwarten Sie sich und kennen Sie das Festival bereits?
August Wittgenstein: Ich kenne das Festival noch nicht, bin positiv freudig aufgeregt und habe mir extra ein paar Tage vor und nach unserer Premiere freigenommen, um Filme zu schauen und Freunde zu treffen. Auch über die Stadt an sich habe ich nur Gutes gehört. Ich freue mich, dass unser Projekt so einen hohen Zuspruch gefunden hat. Es ist eine große Ehre.
„Faithless“ ist eine sechsteilige Serie fürs schwedische Fernsehen mit Arte als Koproduzent. Regie führte Tomas Alfredson. Der Stoff basiert auf dem Kinofilm gleichen Titels aus dem Jahr 2000, bei dem Liv Ullmann ein Drehbuch von Ingmar Bergman verfilmte. Klingendere Namen gibt es kaum… Kannten Sie die Vorlage? Was erzählt „Faithless“?
August Wittgenstein: Ich hatte mir den Film im Vorfeld natürlich angeschaut. Ingmar Bergman hatte das Drehbuch zu „Trolösa“, so der Originaltitel, geschrieben, nachdem seine dritte Frau gestorben war. Mit „Faithless“ blickte er autobiografisch auf sein Leben zurück. Was er falsch gemacht hat, was er richtig gemacht hat… Bergmans Drehbuch beginnt mit einem Zitat, das sinngemäß aussagt, dass das Schlimmste, was einem als Mann widerfahren kann, nicht etwa beruflicher Misserfolg ist, sondern eine Scheidung. Weil eine Scheidung niemanden gut dastehen lässt. Am allerschlimmsten trifft es die Kinder, aber genauso verlieren der Verlassene wie derjenige, der verlässt. Am Ende des Tages trifft es alle.
Tomas Alfredson hat den Stoff genommen und erzählt ihn nun als Serie. Wie kam es dazu?
August Wittgenstein: Tomas Alfredson kannte Ingmar Bergman noch ganz gut und hat dessen verbale Erlaubnis eingeholt, aus „Faithless“ eine Serie machen zu dürfen. Denn er sagte ihm, dass er den Film von Liv Ullmann zwar ganz ok finde, er den Stoff aber eher als Serie sehe und es vielleicht noch ein bisschen besser könne. Alfredson ist mit der Idee zwei Jahrzehnte schwanger gegangen. Die norwegische Drehbuchautorin Sara Johnsen hat dann ein wirklich bombastisches Buch geschrieben, was zwar die Elemente aus dem geschriebenen Originalwerk mitnimmt, aber auch ein paar Dinge anders darstellt. Gemeinsam mit Tomas Alfredson hat sie es geschafft, dem Ganzen einen konfliktreicheren, noch dramatischeren Touch zu geben.
Es geht um Liebe, Leidenschaft und Betrug. In der Serie erinnert sich ein mittlerweile über 70-Jähriges Paar an die Vergangenheit…
August Wittgenstein: Und nicht zu vergessen Eifersucht und Neid. Das Besondere an dem Projekt ist, dass alles aus Erinnerungen heraus erzählt wird. Unser Gedächtnis ist subjektiv und wir erinnern uns an Dinge, die vielleicht gar nicht so waren, wie wir sie in Erinnerung haben. Das ist ein spannender Ansatz. Noch dazu hat Tomas für die Cineasten viele Bergman-Elemente in die Serie eingebaut. Das merkt man vor allem bei der Kameraführung.
„Faithless”: Die sechsteilige Miniserie feierte heute in Toronto Weltpremiere (hier mit Gustav Lindh und Frida Gustavsson (Credit: TIFF)
Wann landete das Projekt auf Ihrem Tisch und wie verlief der Castingprozess?
August Wittgenstein: Ich stand gerade in Göteborg für eine andere Serie vor der Kamera, als mir meine Agentin davon erzählte. Ich las die Bücher und war sofort begeistert. Da mein Terminkalender allerdings so voll war, konnte ich erst zwei Wochen, nachdem die Einladung eintrudelte, nach Stockholm zum Casting fahren. Der Besetzungsprozess war schon fortgeschritten und ich wusste nicht, ob ich überhaupt passen würde. Schließlich war es ein sehr harmonisches Casting mit Regie und Hauptdarstellerin Frida Gustavsson, die schon besetzt war. Sie haben es mir sehr leicht gemacht. Danach folgte eine zweite Runde. Irgendwann stand ich gerade in einem Baumarkt, als Tomas Alfredson anrief und mich fragte, ob ich einen Job haben wolle. Da bin ich dann überglücklich durchgedreht.
Wie haben Sie Tomas Alfredson in der Zusammenarbeit erlebt?
August Wittgenstein: Tomas Alfredson ist ein toller Hecht. In Schweden ist er eine lebende Legende. Er hatfantastische Filme gemacht und ist ein Regisseur, der sich sehr auf seine Schauspieler fokussiert, der sich Zeit nimmt für seine Schauspieler. Er ist Künstler durch und durch und achtet darauf, dass er bekommt, was er für seine Vision braucht. Außerdem versteht er einiges von Schnitt und Kamera, weil er selbst lange Zeit Editor war. „Faithless“ ist sicher eines der schönsten Projekte, die ich jemals machen durfte. Wir alle waren uns dieser Besonderheit bewusst, und es war ein Privileg, mit einem so kreativen Regisseur zusammenarbeiten zu dürfen, der aus jeder Szene immer etwas Unerwartetes herausholt, seine Fantasie so spielen lässt, dass was Besonderes dabei entsteht. Und mit Legenden wie Lena Endre und Jesper Christensen vor der Kamera zu stehen hat natürlich auch was.
„Die Schweden legen insgesamt sehr großen Wert auf die Ästhetik.“
Sie arbeiten international, sind als Deutsch-Schwede viel in Schweden beschäftigt, aber durchaus auch in anderen Ländern aktiv. Gibt es zwischen Deutschland und Schweden markante Unterschiede, wenn man auf die Dreharbeiten, auf die Arbeitsweise bei Filmprojekten blickt?
August Wittgenstein: Der deutsche Markt ist mir am wichtigsten. Hier habe ich meine Anfänge gemacht. Dann ist es immer eine Frage der Sprache, wie gut ich eine Sprache beherrsche, was ich mir zutraue. Letztes Jahr habe ich einen Film in Paris auf französisch gedreht. Das war ein schöner Ansporn, wieder tiefer in eine Sprache eintauchen zu können. Als Halb-Schwede ist schwedisch natürlich kein Problem, das spreche ich fließend. Entsprechend leicht fallen mir schwedische Projekte. Gravierende Unterschiede zu Deutschland gibt es eigentlich nicht, eher Kleinigkeiten. In Schweden hat man zum Beispiel als Schauspieler meist keinen eigenen Trailer als Rückzugsort. Dann legen die Schweden insgesamt sehr großen Wert auf die Ästhetik. Das wird großgeschrieben, im Szenenbild, in der Inszenierung einer Szene. Es soll immer stylisch aussehen, wie skandinavisches Design eben. Allgemein bei internationalen Projekten ist immer interessant, wie die Schauspieler arbeiten. Da kann man immer etwas lernen. Im Großen und Ganzen liebe ich es, herumzukommen. Aber mein Kerngeschäft ist dennoch der deutsche Markt.
Es ist ja viel in Bewegung im Markt, Streamer kommen und gehen. Ist es aktuell eine gute Zeit für Schauspieler?
August Wittgenstein: Ich sehe diesen Umbruch als notwendig an, wenngleich es natürlich schade ist, dass Produktionen von Sky und Paramount wegfallen, deren Siegel durchaus für Qualität stand. Aber ich spüre auch, dass die Branche jetzt schon wieder optimistischer agiert und dass wieder mehr Bewegung drin ist. In Schweden gab es 2023 auch einen Riesenaufschrei, als Viaplay aufgehört hat zu produzieren. Der Streamer hat dort mit am meisten in Auftrag gegeben. Aber manchmal braucht es diese Umbrüche, damit man sich auf das Wesentlich besinnt – und das ist nun mal Qualität zu produzieren und abzuliefern. Man kann sich wahnsinnig sträuben gegen Dinge, die man eh nicht kontrollieren kann. Vernünftiger ist es meiner Erfahrung nach, mit der Welle mitzugehen. Je weniger man sich abmüht, desto unbeschadeter kommt man raus.
Was steht an?
August Wittgenstein: Als nächstes darf ich wieder in Schweden arbeiten. Darüber darf ich allerdings noch nichts erzählen. Aber dieses Jahr stehen noch einige Veröffentlichungen bevor. Im November erscheint der französische Kinofilm „Prodigieuses“ von Frédéric und Valentin Potier, in Schweden feiert die Serie „Doktrinen“ Premiere und „Faithless“ folgt im Januar. Und schließlich kommt noch der norwegische Film „Nr. 24“ von John Andreas Andersen in die Kinos. Wann genau, weiß ich allerdings nicht.
Das Gespräch führte Barbara Schuster