Erstmals wurde beim Deutschen Filmpreis ein Schauspieler gleich doppelt als bester Hauptdarsteller nominiert, noch dazu ein Engländer: Sam Riley geht für „Cranko“ und „Islands“ ins Rennen. Letztgenannter startet am 8. Mai in den deutschen Kinos. Der 45-Jährige erzählt uns vom besten Jahr seiner Karriere.

Gleich mit Ihrer Kinohauptrolle als Joy-Division-Sänger Ian Curtis haben Sie 2007 den Durchbruch geschafft. Seither sind Sie gut im Geschäft – die vergangenen zwölf Monate waren besonders erfolgreich. Nach all den Jahren: Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf?
Sam Riley: So eine einfache Frage, aber es fällt mir schwer, sie ebenso einfach zu beantworten. Wenn ich mich an die frühen Tage als Bühnenschauspieler zurückerinnere, dann fällt mir ein, dass es mir einfach Freude bereitet hat, ohne dass ich es genauer hätte erklären können. Mein Glück war, dass in meiner Schule Kunst und Theater stark gefördert wurden. Jeder bei uns in der Schule musste mitmachen – nicht nur die, die es ohnehin interessierte. Ich war kein berauschend guter Schüler und stellte, auch wenn es prätentiös klingen mag, mit einer gewissen Befriedigung fest, dass ich eine Gabe für die Schauspielerei hatte. Es fiel mir zu, und das kann man über andere Schulfächer in dieser Zeit nicht gerade sagen.
Sie hatten dann also auch kein Lampenfieber oder so etwas?
Sam Riley: Im Gegenteil. Wahrscheinlich sogar mehr als die meisten anderen Kollegen. Wenn ich dann aber erst einmal auf der Bühne stand, machte mich das auf eine ganz merkwürdige Weise glücklich.
Das war dann vor der Kamera genauso?
Sam Riley: Als ich zum Dreh von „Control“ kam, hatte ich nur ein kleines bisschen Kameraerfahrung. Es war sicherlich meine erste richtige Hauptrolle, und das bei einem solchen Projekt, mit Anton Corbijn als Regisseur. Vom ersten Tag an hat mich die besondere Atmosphäre bei einem Dreh fasziniert, die Geschäftigkeit, die Vielzahl an verschiedenen Berufen und Gewerken, wie technisch die Arbeit vor einer Kamera ist. Seine Rolle emotional zu durchdringen, macht nur einen kleinen Anteil der eigentlichen Arbeit aus. Da spielen sich noch so viele andere Dinge ab. Wo die Kamera steht. Wie man nicht das Licht blockiert. Ich liebe das einfach.
Und das geht Ihnen immer noch so?
Sam Riley: Ich weiß nicht, ob ich ein besserer Schauspieler bin. Ganz gewiss bin ich heute aber ein bewussterer Schauspieler. Das mag mit dem Alter zusammenhängen, einem veränderten Lifestyle. Ich lerne, es zu genießen, Sam zu sein. Früher war alles einfach easy, da fiel mir alles zu, es kam wie von allein. Heute erlebe ich es intensiver mit, weiß den Moment zu schätzen.
„Heute erlebe ich es intensiver mit, weiß den Moment zu schätzen.“
Aber ist es nicht eine völlig andere Übung verglichen mit dem Theater: viel fragmentierter, und man dreht nicht einmal chronologisch.
Sam Riley: Bei „Control“ habe ich von Samantha Morton gelernt, die meine Ehefrau spielte, immer einen Zettel bei mir zu haben, auf dem in kurzen Notizen alles wichtige festgehalten muss, das ich für die Szene über meine Figur wissen muss. Im Lauf meiner Karriere habe ich mit unfassbar großartigen Kolleg:innen gearbeitet, von denen ich mir so viel wie möglich abgeschaut habe, ganz besonders viele außergewöhnlich tolle Schauspielerinnen. Allein in „On the Road“ von Walter Salles stand ich mit Amy Adams, Elizabeth Moss, Kristen Stewart, Kirsten Dunst und Alice Braga vor der Kamera. Uff! An ihnen fasziniert mich, dass sie sich einfach einschalten können, wenn es darauf ankommt. Sie haben es einfach drauf. Ich bewundere das sehr. Ich wünschte, ich könnte das.
Bei „Islands“ wirkt es jedenfalls so, als würden Sie diese Figur einfach leben. Merkt man schon beim Dreh, dass es etwas Außergewöhnliches wird?
Sam Riley: Ich habe den Dreh unglaublich genossen. Das hat mit Erfahrung zu tun, ich bin ruhiger geworden. Ich erlebe die Dinge anders. Es war einfach eine Traumrolle, wie ich sie eigentlich nicht angeboten bekomme, weil erst einmal eine Reihe anderer Kollegen gefragt wird. Und das dann auch noch direkt im Anschluss an „Cranko“, noch so eine Traumrolle. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Das waren vermutlich die besten zwölf Monate meiner bisherigen Karriere. Und irgendwie wusste ich bei beiden Rollen genau, was ich zu tun hatte. Bei „Islands“ war ich während der kompletten Produktion absolut in Einklang mit meinem Regisseur Jan-Ole Gerster und den Kollegen vor der Kamera. Es war interessant, dass beide Figuren Trinker sind – und ich sie spielen konnte, obwohl ich selber nicht trinke.
Haben Sie einen Plan, wenn Sie zu einem Dreh kommen?
Sam Riley: Ich bin nicht der Typ für Pläne, denke ich. Ich habe allerdings regelrechte Tagträume gehabt, als ich das Drehbuch von „Islands“ las, und habe mir vor meinem geistigen Auge exakt vorgestellt, wie ich jeden Moment spielen würde. Was natürlich auch einer der Gründe war, warum ich sofort wusste, dass ich diese Rolle haben musste, eine ganz eigene Mixtur aus Angst und Erregung. Wenn ich vor die Kamera trete, bin ich so gut vorbereitet, dass ich keinen Gedanken mehr daran verschwenden muss. Ich kann dann wirklich im Moment sein. Das ist gut so, weil vor der Kamera alles passieren kann. Es ist ein merkwürdiger Widerspruch, finde ich. Es ist tatsächlich ein bisschen wie beim Tennisspielen: Man muss den letzten Punkt vergessen und sich nur auf den nächsten Ballwechsel konzentrieren, mit einer gewissen Gelassenheit. Man kann noch so gut vorbereitet sein, wenn man dann am beim Dreh ankommt, kann alles ganz anders sein.
Jan-Ole Gerster ist ein Regisseur, der eine ganz klare Vorstellung davon hat, wie sein Film aussehen soll. Wie frei kann man da als Schauspieler arbeiten?
Sam Riley: Es hat vor allem positive Seiten. Im Sommer vor unserem Dreh musste ich Tennisunterricht nehmen. Wir trafen uns ein paar Mal in dieser Zeit, und von da ab konnte er sich mich als Tom nur noch in den Tennisklamotten vorstellen, die ich damals trug. Ich habe im Film im Grunde dann meine eigene Kleidung getragen. Als Jan-Ole für sich entschieden hatte, dass Tom so aussieht, stand das fest. Ich war Tom, bevor ich überhaupt zum Dreh erschien. Jan-Ole ist ein sehr bestimmter Regisseur, aber das gibt ihm auch eine Offenheit für Vorschläge. Worauf wir uns dann ganz schnell einigten: Tom würde weniger reden. Wenn man den Produzenten oder den Finanziers oder Studioleuten ein Drehbuch vorlegt, muss alles ausformuliert drinstehen, muss alles in den Dialogen gesagt werden, weil es ihnen generell an Imagination fehlt. Aber Jan-Ole und ich haben das Gegenteil gemacht. Wir fanden, dass Tom nicht alles in Dialogen erklären muss. Wir wollten es mit seinen Blicken kommunizieren. Das wurde dann so etwas wie ein Leitfaden für den ganzen Film, in dem Tom nicht die einzige Figur ist, die ihre Chancen im Leben nicht genutzt hat. Es sind Menschen, die nie eine Situation bei den Hörnern packen und lieber nichts sagen. Meine Frau Alexandra sagte zu mir: Ganz schön britisch, all das! Leider hat sie nicht ganz unrecht.
„Meine Frau Alexandra sagte zu mir: Ganz schön britisch, all das! Leider hat sie nicht ganz unrecht.“
Was haben Sie aus der Erfahrung mitgenommen?
Sam Riley: Das ist eine Frage, die man uns oft stellt. Und ich weiß eigentlich nie eine gute Antwort, weil ich denke, dass das für mich nicht wirklich relevant ist. Ich denke nicht so. Als wir fertig waren, war ich zufrieden, weil ich den Eindruck hatte, dass ich so gut war, wie ich sein kann. Das war gut, es war eine lohnenswerte, freudvolle Arbeitserfahrung. Wir haben alle zusammengelebt, die Darsteller:innen und die Crew, in einem anderen Hotel als dem, in dem wir gedreht haben. Die Familien haben vorbeigeschaut. Das ist eher unüblich. Wir haben hart gearbeitet, jeden Tag. Nie hat man genug Zeit oder Geld. Es war prügelheiß. Aber es war eine gute Zeit, die wir zusammen verlebt haben. Am Ende ist es so: Ich habe keine Kontrolle über das gedrehte Material. Ich weiß nicht, wie der Regisseur es zusammensetzen wird. Ich weiß nicht, was die Menschen denken werden, die den Film sehen. Ich weiß nicht, ob es mir selbst gefallen wird. Ich habe indes Kontrolle darüber, wie sehr ich die Drehzeit genieße. Als wir fertig waren, fühlte ich mich wie ausgelaugt. Es war, als würde ich das Gewicht dieses außergewöhnlichen Jahres spüren. Erst „Cranko“, direkt danach Tennisunterricht, direkt danach „Islands“. Ich hatte keine Zeit, das Erlebte zu verarbeiten. Das klingt vielleicht nicht besonders positiv. Aber ich fühlte mich richtig beseelt, weil ich den Eindruck hatte, ich hätte alles richtig gemacht.
Und Sie wurden zweimal für den Deutschen Filmpreis nominiert…
Sam Riley: Ja, wie verrückt ist das! Ich mache diesen Beruf schon eine Weile und kann sagen: So etwas passiert mir nicht allzu oft. Ich kann nur noch einmal wiederholen: Es war eines der besten Jahre meiner Karriere. Diese Belohnung durch die Nominierung beim Deutschen Filmpreis für die Arbeit an zwei deutschen Filmen, einmal auf deutsch, einmal auf englisch, ist ein bisschen surreal. Ich denke nicht immer daran, aber dann poppt es doch wieder in meinen Kopf, und ich muss schmunzeln: Fucking hell, how can that be! Ich blicke diesem Freitag mit gemischten Gefühlen entgegen. Ich freue mich teuflisch, und ich habe richtig Schiss: Was passiert, wenn ich tatsächlich auf die Bühne muss? Ich werde erleichtert sein, wenn es vorbei ist.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.