„G20“ (hier unsere SPOT-Besprechung) ist die Nummer eins in den Filmcharts von Prime Video. Wir haben gleich bei Regisseurin Patricia Riggen nachgefragt, was es mit dem ungewöhnlichen Actionfilm mit Viola Davis als Schwarze US-Präsidentin in „Air Force One“-Modus auf sich hat.

Sie stellen das Actiongenre mit „G20“ mit einem unverhohlen frauenzentrischen Blick auf den Kopf und schütteln dann kräftig. War das von Anfang an das Ziel?
Patricia Riggen: Unbedingt. Ich wollte keinen Actionfilm machen, wie man ihn schon einhundert Mal gesehen hat – keinen dieser Filme, in denen es nur um Action geht, aber eine Geschichte und das Herz fehlt. Mir war eine starke Geschichte wichtig, ebenso glaubwürdige Figuren, an die man sich erinnert, die man mag, und ein Zusammenspiel zwischen den Figuren, das sich echt und universell anfühlt.
Das ist ein sehr genereller Überblick. Aber was ist es denn, das „G20“ wirklich anders sein lässt, das „G20“ zu „G20“ macht?
Patricia Riggen: Der große Unterschied ist sicherlich, dass wir keinen muskelbepackten Kerl in der Hauptrolle haben, sondern eine Oscargewinnerin. Und zwar nicht irgendeine Oscargewinnerin: Was Viola Davis anpackt, ist einfach spektakulär. Sie macht keine halben Sachen, macht nichts halbherzig. Sie lotet alle Tiefen und Untiefen aus. Wenn sie eine Figur spielt, dann kann man es spüren, anfassen. In Actionfilmen ist man diese Tiefe der Emotion außergewöhnlich. Es ist echt. Viola bringt das mit. Das war gesetzt, darauf konnte ich bauen und mich immer verlassen. Wir hätten allerdings nicht erwartet, dass sie auch einfach als Actionheld eine so imposante Figur abgeben würde. Wenn man sie kämpfen und ihre Gegner besiegen sieht, dann glaubt man das sofort.
Sie hat sicherlich ein imposantes Auftreten, eine Frau mit starkem Willen. Wie ist die Arbeit mit ihr?
Patricia Riggen: Als sie mir bei unserem ersten Zoom-Meeting in die Augen blickte, war ich eingeschüchtert. Wenn sie spricht, dann spricht nur sie. Wenn sie spricht, dann hört man zu. Diese eindrucksvolle, tiefe Stimme! Sie akzeptiert Nein nicht als Antwort. Da fühlt man sich zunächst, als würde man mit dem Rücken zur Wand stehen. Bis man sie dann kennenlernt. Dann entpuppt sie sich als ungemein liebenswerter, interessierter und nahbarer Mensch. Wissen Sie, sie hat es nicht leicht gehabt. In ihrem Leben wurde ihr nichts geschenkt. Was sie heute hat, wo sie heute ist, das hat sie selbst aufgebaut. Es ist ihre Leistung. Es hat sie auch gelehrt, ein mitfühlender Mensch zu sein. Wenn man in ihrer Gegenwart ist, weiß man, dass einem nichts passieren kann. Sie erlaubt es einem, ihr gegenüber immer man selbst zu sein. Sie lässt einen Mensch sein.
„Wenn man in Viola Davis’ Gegenwart ist, weiß man, dass einem nichts passieren kann. Sie erlaubt es einem, ihr gegenüber immer man selbst zu sein. Sie lässt einen Mensch sein.“
Nun spürt man Viola Davis’ Gegenwart in jeder Sekunde von „G20“. Fiel es Ihnen da als Filmemacherin leicht, ihre eigene Stimme zu finden, den Film zu Ihrem Film zu machen?
Patricia Riggen: Es kommt nicht oft vor, aber in diesem Projekt war es so, dass ich als Regisseurin von Anfang an mit an Bord war und mich schon bei der Arbeit am Drehbuch einbringen konnte. Ich konnte also meine Ideen nicht erst verwirklichen, als es bereits an den Dreh ging, sondern in einem sehr frühen Stadium – und Viola hat mich dabei immer unterstützt, sie war immer meine Anwältin. Es war also eher umgekehrt: Weil Viola eine so beeindruckende Persönlichkeit ist und sie Vertrauen in mich hatte, konnte ich den Film so umsetzen, wie ich es für richtig hielt. Schon im Drehbuch konnte ich meine Vision für „G20“ implementieren. Als es an die Besetzung ging, hatte ich die Figuren bereits vor meinem geistigen Auge. Ich wusste, was der Stoff brauchte. Und ich wusste, was ich wollte.
Das kollidierte nicht mit Viola Davis’ Vorstellung von „G20“?
Patricia Riggen: Sie ist eine unglaublich smarte Schauspielerin. Ihre Instinkte trügen sie nie. Sie weiß ihrerseits genau, was ihre Figur und damit der ganze Film braucht – nicht von ungefähr ist sie auch Produzentin. Wenn ich von meiner Vision spreche, dann ist das nichts, was ich für mich im stillen Kämmerchen entwickelt habe. Ich war immer im Austausch mit Viola, wir haben alles immer miteinander durchgesprochen. Aber ich hatte auch eine ungemein große Autonomie. Wir haben den Film während des Autorenstreiks entwickelt. Das heißt, dass ich lange Zeit keine Autoren an meiner Seite hatte, sondern die Geschichte zusammen mit Viola selbst formen konnte. Unter normalen Umständen wäre ich auch dabei, aber eher in leitender Funktion. Hier war alles sehr hands on. Ich war damit auch so etwas wie Violas Sprachrohr, weil sie zwar genau weiß, was sie will, es aber nicht immer perfekt formulieren kann. Ich war ihre Übersetzerin. Sie hatte Ideen, ich habe Vorschläge gemacht. Dann haben wir es gemeinsam abgesegnet. Es war eine faszinierende Zusammenarbeit, wie ich es in dieser Form noch nie erlebt habe. Ich habe mich gefühlt wie ein Sommelier, der mit dem besten Wein der Welt arbeiten konnte.
Sie haben bereits bei „Jack Ryan“ Action gemacht, aber was gab Ihnen die Zuversicht, die Action in einer doch deutlich größeren Filmproduktion umsetzen zu können?
Patricia Riggen: Ich habe mich nicht beeindrucken lassen. Warum auch? Beginnend mit meinem ersten Kurzfilm, sind meine Regiearbeiten zunehmend größere Produktionen geworden. Ich sehe es als logische Entwicklung. Man muss den Aufwand einfach ausblenden. Ich sehe den Zirkus um mich herum nicht, die riesigen Lastwägen voller Equipment. Einschüchternd ist in jedem Projekt dasselbe: die Arbeit mit den Schauspieler:innen. Das ist immer am schwierigsten: Wie findet man eine gemeinsame Sprache mit einem Menschen, den man gerade erst kennengelernt hat und mit dem man nur ein paar Wochen zusammen sein wird? Jeder ist anders, hat eine andere Methode, einen anderen Zugang. Das muss man herauskitzeln und sich darauf einstellen. Man muss eine Verbindung herstellen, und zwar schnell. Die Produktion wartet nicht auf mich. Jeder Tag ist vorgeplant, jeder Tag kostet Geld. Das bereitet mir bei jedem Film Kopfzerbrechen. Wie viel Geld zur Verfügung steht, auf welche Werkzeuge ich zurückgreifen muss, ist nebensächlich.
War es Ihnen wichtig, einen inspirierenden Film zu machen? Sollte „G20“ eine Botschaft haben?
Patricia Riggen: Unsere Priorität war es, einen unterhaltsamen Film zu machen, bei dem man als Zuschauer:in Spaß hat. Das war unser Hauptziel. Wenn „G20“ auch etwas Inspirierendes hat, und ich habe kein Problem damit, dann rührt das vom Konzept selbst her. Viola Davis als Präsidentin der USA. Das ist inspirierend genug, eine gute Botschaft für alle weiblichen Zuschauer weltweit: eine Frau in der mächtigsten Position der Welt.
Es ist, vom aktuellen Standpunkt aus zumindest, aber auch nicht mehr als eine reine Fantasie, weit entfernt von der Realität, in der wir uns befinden.
Patricia Riggen: Ja und nein. Wir haben den Film vor Jahren entwickelt – und vor einem halben Jahr war die Möglichkeit zumindest zum Greifen nah, dass der US-Präsident tatsächlich eine Schwarze Frau sein könnte. Natürlich würde man unseren Film dann jetzt anders sehen. Aber ich denke, dass es wichtig ist, diese Träume zu haben, diesen Träumen in Filmen Ausdruck zu gehen. Filme normalisieren Dinge, auch wenn sie weit entfernt scheinen. Sie spielen schon einmal durch, wie es sein könnte. Man kann sich daran gewöhnen. Als man Morgan Freeman als Präsident sah, war Barack Obama noch nicht vorstellbar. Ein paar Jahre später war er tatsächlich Präsident. Filme sind Gedankenspiele, eröffnen Möglichkeiten. Dass Kamala Harris Präsidentschaftskandidatin werden könnte, wäre uns nicht in den Sinn gekommen, als wir „G20“ geschrieben und gedreht haben. Aber es war etwas, das in der Luft lag. Warum sollten wir anderen Frauen nicht zeigen, wie es sein könnte, wenn eine Frau in diesem Stuhl sitzt? Auch Männern schadet es nicht, eine mächtige Frau auf dem Bildschirm zu sehen. Wir müssen weiter daran glauben. Dann wird es auch passieren.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.