Heute Abend stellt Pablo Larraín im Rahmen eines Sonderscreenings im Berliner Delphi Filmpalast seinen Maria-Callas-Film „Maria“ mit Angelina Jolie vor, der am 6. Februar im Verleih von STUDIOCANAL in die deutschen Kinos kommt. Wir trafen den chilenischen Ausnahmefilmemacher im Vorfeld.

Im späten August haben Sie „Maria“ im Wettbewerb der Mostra in Venedig vorgestellt. Seither reisen Sie mit dem Film durch die Welt – ein halbes Jahr! Hat sich der Film für Sie in dieser Zeit verändert?
Pablo Larraín: Ja und nein. Er ändert sich in dem Sinne, dass man seine Bubble verlässt und beginnt, den Film mit der Welt zu teilen und mit anderen Menschen über ihn zu reden. Das finde ich spannend, ich bin da sehr neugierig. Während man einen Film macht, kann man sich immer nur ausmalen, wie die Menschen reagieren werden. Das Schöne ist: Man hat selten Recht. Es gibt immer etwas Unerwartetes, etwas, womit man nicht gerechnet hat. Das finde ich spannend und faszinierend. Gleichzeitig muss man einen Film mit einer gewissen Selbstsicherheit machen, einem Vertrauen darin, dass man die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Es ist mein Film. Aber ich freue mich, dass er nicht mehr mir allein gehört. Dass er von Land zu Land gesehen wird. Dass er in jedem Land anders gesehen und erlebt wird.
Was in besonderem Maße zutrifft, wenn es ein Film ist, in dem es so sehr um Musik geht, in dem so viel Musik zu hören ist.
Pablo Larraín: Das finde ich ungeheuer interessant, es öffnet Menschen auf eine ganz andere Weise. Ich kann jedenfalls sagen, dass das Publikum in den USA ganz anders über „Maria“ spricht als in Lateinamerika. Und in Europa ist es noch einmal anders, von Land zu Land. Ich merke aber natürlich auch, dass die Menschen immer freundlich sind, wenn sie mit mir sprechen. Da sagt niemand etwas Schlechtes, alle finden freundliche Worte. Ich bin kein Narr, natürlich gibt es Menschen, die den Film nicht mögen. Mir sagt man das nur nicht. Das passiert dann in den sozialen Medien, und da bewege ich mich nicht. Ich bin ein bisschen außen vor.
Ist doch schön: Dann hat man nur Meisterwerke gemacht!
Pablo Larraín: Das haben Sie gesagt. Aber klar, man muss immer filtern, was einem erzählt wird. Ich habe aber auch nicht den Eindruck, dass ich als Filmemacher antrete, Meisterwerke zu erschaffen. Da würde man verrückt werden. Ich versuche, Dinge zu machen, die ich verstehe und die ich liebe. Darum geht es mir.
Und selbst, wenn die Menschen einem auf den Rücken klopfen, werden sie in ihrem Lob doch auch den Film anders sehen, als Sie es gedacht haben.
Pablo Larraín: Ein amerikanischer Kollege von Ihnen sagte zu mir, der Film sei Maria gegenüber zu ehrerbietig. Ich stimme ihm nicht zu, aber wenn er das so sieht, dann habe ich kein Problem damit. Daraus kann ein Gespräch entstehen, ein Austausch. Natürlich liebe ich meine Hauptfigur, ich will und muss sie beschützen. Das ist meine Aufgabe. Aber ich mache es ihr doch auch nicht leicht. Sie hat ein hartes Leben, viele Probleme, sie scheitert, sie zerbricht. Das zeige ich. Und doch ist der Film ein Akt der Liebe.
„Man will etwas machen, das eine Form von Bedeutung hat. Als Filmemacher wünsche ich es mir, dass die Menschen den Film sehen und etwas dabei erleben.“
Pablo Larraín
Einen solchen Film hat sie auch verdient. Es wäre ein bestürzender Gedanke, wenn Sie einen Film über die Callas gemacht hätten, um sie bloßzustellen.
Pablo Larraín: Man will etwas machen, das eine Form von Bedeutung hat. Als Filmemacher wünsche ich es mir, dass die Menschen den Film sehen, am liebsten im Kino mit toller Projektion und gutem Sound, aber später gerne auch zuhause, und etwas dabei erleben. Es soll sich etwas regen, ein Austausch stattfinden.
Fällt es Ihnen schwer, einen Film loszulassen, nachdem Sie so lange an ihm gearbeitet haben?
Pablo Larraín: Nein, was mir schwerfällt, ist die Zeit, nachdem ich ihn losgelassen habe. Ich muss auf Reaktionen warten, muss mit dem Film reisen, ihn allen möglichen Orten zeigen, mit der Presse reden. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich mache das gerne. Ich bin stolz auf meinen Film und will, dass er wahrgenommen und gesehen wird. Anstrengend ist es trotzdem. Gerade noch hat man gestaltet und erschaffen, war versunken in kreative Arbeit. Und auf einmal sind einem die Dinge aus der Hand genommen. Da ist man nicht mehr Künstler, sondern ein Werkzeug des Films. Darüber habe ich mir früher nie den Kopf zerbrochen. Als ich angefangen habe, ging es nur darum, den Film zu machen, ihn fertigzustellen und dann wieder heimzukehren und mit dem nächsten Film zu beginnen. Das wäre schön. Aber so ist es nicht. Da ist ein ganzer Apparat verbunden, man hat eine viel größere Verantwortung.
Empfinden Sie, dass auch dieser Abschnitt der Reise, die man mit einem Film unternimmt, einen Wert hat für Sie als Künstler?
Pablo Larraín: Er macht mich glücklich. Endlich kann ich den Film herzeigen! Ich habe ihn nicht für mich gemacht. Ich will ihn nicht verstecken. Mir ist auch bewusst, was für ein ungeheures Privileg es ist, mit einem Film von mir die Welt zu bereisen, mit Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturkreisen zu sprechen, meinen eigenen Horizont dabei zu erweitern. Das ist toll. Aber wenn ich das anmerken darf: Es ist auch ganz schön anstrengend.
Ein befreundeter Filmemacher erzählte mir unlängst, dass es ihn verrückt macht, wenn er mit Menschen über seine Filme redet und sie ganz anders wahrgenommen werden als von ihm beabsichtigt. Dann habe er seine Arbeit nicht richtig gemacht, sich nicht präzise genug ausgedrückt.
Pablo Larraín: Das sehe ich ganz anders. Das würde doch im Umkehrschluss bedeuten, dass man einen Film nur für einen Menschen macht. Oder schlimmer noch: Dass alle Menschen gleich sind! Ein schrecklicher Gedanke für mich! Das Schöne ist doch die Vielfalt der Reaktionen, auch wenn man nicht jede einzelne gleich nachvollziehen kann. Das macht die Sache für mich wunderbar. Jeder Mensch ist anders, bringt andere Erfahrungen und Referenzpunkte mit. Jeder Mensch erlebt einen Film auf seine ganz eigene, ganz persönliche Weise. Für mich ist das ein Wunder, etwas Wunderbares. Natürlich denke ich, dass in meinen Filmen etwas Universelles steckt, das alle Menschen anspricht. Aber ich bin doch nicht so vermessen zu glauben, dass mein Film eine bestimmte Sache für alle Menschen ist, die ihn sich ansehen. Das geht doch auch auf Ihre erste Frage zurück: Auch für mich ändert sich ein Film, den ich gemacht habe, mit der Zeit. Ich reagiere jedes Mal anders auf ihn, manchmal auch auf eine Weise, wie ich mir das beim Machen niemals vorstellen hätte können. Es gibt einen schönen Ausspruch: I don’t always agree with myself.
„Jeder Mensch erlebt einen Film auf seine ganz eigene, ganz persönliche Weise. Für mich ist das ein Wunder, etwas Wunderbares.“
Pablo Larraín
Sehr schön. Jeder Film markiert für einen Filmemacher einen Glaubenssprung. Man hat eine Idee, eine Vorstellung, und man ist überzeugt, man weiß, wie man sie umsetzt. Erkennen Sie in „Maria“, wenn Sie ihn jetzt sehen, noch diese ursprüngliche Vorstellung? Und lässt sich sagen, was Sie aus dieser Erfahrung gelernt haben?
Pablo Larraín: Ich wollte einen Film über Musik machen, der der Musik gerecht wird. Ich kann mir nichts Schwierigeres vorstellen, eigentlich ist es ein Ding der Unmöglichkeit. Das habe ich auch gelernt bei dieser Reise, meine Annahmen haben sich bestätigt. Musik ist die fortgeschrittenste, die feinste Kunst, die es gibt. Sie übertrifft das Kino, sie übertrifft Literatur, bildende Kunst. Musik ist unmöglich zu beschreiben. Und sie löst etwas in uns aus, das sich nicht so richtig in Worte fassen lässt. Sie kann die unterschiedlichsten Dinge in uns bewegen. Wenn man sich mit dem Leben einer Sängerin befasst – die nicht irgendeine Sängerin ist, sondern eine Sängerin, die das Wesen der Oper verändert hat mit ihrer Stimme und ihrem Ausdruck -, dann versteht man, dass es für Musiker keine Optionen gibt, dass sie nicht anders können, als Musik durch sich sprechen zu lassen. Sie sind machtlos. Das trifft auf Maria Callas ebenso zu wie auf Kurt Cobain. Musik ist etwas zutiefst Transformatives. Und ich bin sehr dankbar, dass ich die Gelegenheit erhalten habe, einen Film darüber machen zu dürfen.
Natürlich kann auch Film etwas zutiefst Persönliches beinhalten, aber mehr als Musik ist es auch ein technischer Vorgang, an dem viele Menschen teilhaben. Das schafft automatisch einen Abstand, den Musik nicht hat.
Pablo Larraín: Ich will nach Möglichkeit keinen Abstand zu dem haben, was ich mache. Nur wenn ich wirklich alles von mir in einen Film stecke, kann etwas entstehen, das einen Wert hat. Ich halte mich nicht für jemand Besseren. Meine Ambition ist bescheiden. Ich will nichts erschaffen, das die Welt verändert. Ich stehe nicht auf einem Podest, halte mich nicht für einen besonderen Künstler. Ich möchte gerne etwas erschaffen, das aufrichtig ist, hinter dem ich stehen kann. Ich will ehrlich mit mir selbst sein. Und ich habe die Hoffnung, dass meine Filme einen Wert haben. Warum würde ich sonst zu Ihnen sagen können, dass Sie sich meinen Film ansehen sollen?
Es reicht nicht, dass Sie ihn gemacht haben?
Pablo Larraín: Er muss einen Wert haben. Das ist mir wichtig. Es reicht mir nicht zu sagen: Das ist ein Film, den ich machen will. Ich muss selbst den Wert darin sehen. Daran glaube ich. Wenn der Film einen Wert hat, dann lohnt es sich, ihn sich anzusehen.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.