Pablo Berger zählt zu den führenden Filmemachern Spaniens, gewann mit „Blancanieves“ den Goya für den besten Film. Nun hat er mit „Robot Dreams“ erstmals einen Animationsfilm gemacht und damit die Welt erobert, von Cannes zu den Oscars. Jetzt kommt der Film im Verleih von Plaion in die deutschen Kinos. Dazu sprach SPOT mit dem Schöpfer.
Sie sind seit mehr als 25 Jahren Filmemacher. Auf einmal haben Sie einen Animationsfilm realisiert. Wie kam das?
Pablo Berger: Die Antwort ist denkbar simpel: Ich habe mich in das Buch verliebt. Das ist der Grund. Ich hatte mein ganzes Leben über nicht einen Gedanken daran verschwendet, jemals einen Animationsfilm machen zu wollen. Selbst damals nicht, als ich das Buch von Sara Varon das erste Mal gelesen hatte, das war 2010. Es war auf Anhieb eine meiner favorisierten Graphic-Novels und hatte einen Ehrenplatz in meinem Bücherregal. Als Filmemacher habe ich „Blancanieves – Ein Märchen von Schwarz und Weiß“ und „Abracadabra“ gemacht und war zufrieden. Dann habe ich „Robot Dreams“ wieder in die Hand genommen, das muss 2018 gewesen sein. Als ich am Ende ankam, liefen mir die Tränen herunter. Das hat mich selbst überrascht.
Wer ist schon so überwältigt beim Lesen eines Comicromans!
Pablo Berger: Ich habe mich nicht geschämt, die Emotion war genuin. Ich dachte mir: Wow, da steckt etwas in diesem Buch, in dieser Geschichte, in diesen Figuren, das einem richtig nahegeht. Ich kann Ihnen auch sagen, was zwischen 2010 und 2018 geschehen war, dass mich das Buch auf einmal so viel mehr berührte als bei der ersten Lektüre: Einer meiner besten Freunde hörte auf, mein bester Freund zu sein. Meine Mutter starb. Je älter ich werde, desto mehr muss ich über meine engsten Beziehungen als etwas denken, das in der Vergangenheit liegt. Da traf mich die Eingebung, diese Geschichte erzählen zu wollen, mit ihrem universellen Thema: Freundschaften und Beziehungen und wie zerbrechlich sie sind. Es fühlte sich richtig an. Danach konnte ich an nichts anderes mehr denken.
Diese Emotion ist eines. Einen Animationsfilm zu machen, ist noch einmal etwas völlig anderes. Das ist ja ein doch sehr technischer Vorgang, den man erst einmal verstehen und lernen muss.
Pablo Berger: Ich verstehe, wie man das so sehen kann. Aber aus der Sicht eines Regisseurs kann ich Ihnen nicht zustimmen. Als Guillermo Del Toro den Animations-Oscar für „Pinocchio“ entgegennahm, sagte er: „Animation ist Kino, Animation ist kein Genre, es ist ein Medium.“ Als Regisseur muss man kein großes technisches Wissen mitbringen. Man muss nicht wissen, wie eine Kamera funktioniert, wie man ein Kostüm schneidert. Der Regisseur ist ein Geschichtenerzähler. Ich weiß, wie man Geschichten visuell erzählt, was man sieht, wo die Kamera stehen muss – ohne eine Ahnung davon zu haben, wie man sie bedient. Und ich muss das Beste aus den Schauspielern herausholen. Überzeugende Darstellungen sind das A und O. Ob es sich dabei um Darsteller aus Fleisch und Blut handelt oder um einen gezeichneten Hund, spielt keine Rolle. Bei einem Realfilm und bei einem Animationsfilm sind meine Ziele identisch.
Aber es muss doch auch Unterschiede geben!
Pablo Berger: Der größte Unterschied ist Geduld. Wer einen Animationsfilm macht, muss viel Geduld mitbringen. Einen Realfilm dreht man in zwei Monaten, bei einem Animationsfilm habe ich zwei Jahre jeden Tag mit den Animatoren zu tun. Die Direktiven sind indes gleich, ob man nun mit einer Kamera oder einem Filzstift zeichnet: Ich will den Zuschauer bewegen. Ich will eine Geschichte erzählen, die noch keiner vor mir erzählt hat, wie sie noch keiner vor mir erzählt hat.
Ist es frustrierend, wenn es so lange dauert, bis man erste Ergebnisse sehen kann, die dann Ihrer künstlerischen Vision entsprechen?
Pablo Berger: Ich bin ein sehr geduldiger Regisseur. Ich habe in 25 Jahren gerade einmal vier Filme gemacht. Das sagt doch alles. Wenn ich koche, dann lasse ich mir Zeit. Wenn ich Filme mache, dann lasse ich mir Zeit. Ich bewundere Kollegen, die einen Film drehen, drei weitere in Planung haben und nebenher noch an einer Serie arbeiten. Das könnte ich nicht. Ich kann immer nur an eine Sache denken. Wenn Sie es so wollen, bin ich wie geschaffen für die Inszenierung von Animationsfilmen – nur dass ich es nie gewusst habe. Aber man kann schon sagen, dass mich meine bisherigen Filme auf diesen einen Film vorbereitet haben, auf „Robot Dreams“. Ich arbeite immer schon mit Storyboards, die ausgesprochen detailliert sind. Ich habe überhaupt kein Problem damit, mir ein Jahr Zeit zu nehmen, bis ich mit meinen Storyboards zufrieden bin. Die Storyboards zu „Blancanieves“ und „Abracadabra“ würden zwei dicke Bücher füllen. Meine Stärke ist visuelles Geschichtenerzählen.
Sind Sie auf Herausforderungen oder auch Probleme gestoßen, die Sie nicht vorhergesehen haben?
Pablo Berger: Eine große Sache gab es. Eigentlich sollte „Robot Dreams“ mit einem etablierten Animationsstudio in Irland gemacht werden, Cartoon Saloon, die hinter Filmen stehen wie „The Breadwinner“ oder zuletzt „Wolfwalkers“. Sie waren begeistert von dem Projekt. Ich erzählte meiner Familie bereits, dass wir ein Jahr in Irland verbringen würden, und freuten uns darauf. Dann kam Covid und nichts ging mehr. Wir hatten den Stoff, wir hatten die Finanzierung. Wir hatten kein Animationsstudio. Also entschlossen wir uns, ein Animationsstudio in Madrid auf die Beine zu stellen. Wir mussten die Computer kaufen, die Animatoren finden, eine Pipeline aufbauen. Das war die Hölle! Was für ein verrückter Gedanke, für nur einen Film einen solchen Aufwand zu betreiben und danach alles wieder abzubauen.
Ihr ganz persönlicher „Fitzcarraldo“, mit einem Animationsstudio anstelle eines Opernhauses.
Pablo Berger: Wenn ich Menschen zu erklären versuche, was es bedeutet, einen Film zu machen, erzähle ich immer von „Fitzcarraldo“. Es gibt keine bessere Metapher für den schieren Wahnsinn des Filmemachens. Ich frage mich heute immer noch, wie wir das eigentlich machen. Ich fühle mich nie wie ein Techniker, aber ganz oft wie ein Magier. Film ist wie Musik. Ich stimme eine Melodie an und hoffe, dass der Zuschauer davon berührt wird. Ich will ehrlich sein, wahrhaftig, aber am Ende ist es purer Zauber.
Die Wahrhaftigkeit zieht sich auch durch „Robot Dreams“. Natürlich ist es ein fantastischer Film, in dessen Mittelpunkt ein Hund und sein Roboter stehen. Aber das New York der Achtzigerjahre, durch das sie sich bewegen, ist greifbar real.
Pablo Berger: Das ist mein New York. Das New York, das ich erlebte habe und das sich in meiner Erinnerung eingebrannt hat, als ich dort studiert habe. Für mich ist Kino wie eine Zeitmaschine. Mir gefällt die Idee, dass ich Menschen, die die Ära nicht selbst miterlebt haben, eine Anmutung präsentieren kann, wie die Stadt aussah, wie sie sich angefühlt hat. Für den Preis eines Kinotickets können sie eine Reise dorthin antreten! In den Achtziger- und Neunzigerjahren war New York City das Zentrum der Welt. Heute nicht mehr! Damals schon! Aber dieses New York gibt es nicht mehr. Nur in Fotos und Büchern. Und in Filmen.
Und machte einen kleinen spanischen Animationsfilm weltweit zu einem Ereignis.
Pablo Berger: Für jeden Regisseur ist es ein Traum, nach Cannes eingeladen zu werden. Über den Roten Teppich zu laufen, oben an der Treppe von Thierry Frémaux in Empfang genommen und umarmt zu werden. Das war schon mal ziemlich gut, mehr als man sich jemals erwarten würde, wenn man aus Spanien heraus einen Animationsfilm macht. Aber dann kam der Tag nach der Premiere, und unsere World-Sales-Firma Elle Driver rief an, um mir zu sagen, dass sich Neon für den US-Verleih von „Robot Dreams“ interessieren würde – einer der größten und wichtigsten unabhängigen Verleiher des Landes. Eine Woche später war „Robot Dreams“ ausverkauft, gab es Abschlüsse in alle Territorien der Welt. Für einen Regisseur gibt es nichts Größeres, als zu wissen, dass sein Film überall gesehen werden kann, auf der großen Leinwand. Ich mache meine Filme, damit sie gesehen werden. Von so vielen Menschen wie möglich. Nach Cannes wussten wir, dass das eine Realität werden würde.
Und doch war es erst der Anfang!
Pablo Berger: Es war ein Ritt, wie ich es noch nicht erlebt habe. Nach Cannes kam Sitges, das Cannes des fantastischen Films, wo wir den Publikumspreis gewannen. Dann kam Annecy, wo wir einen weiteren Preis erhielten. Wir haben einen Goya gewonnen und einen Europäischen Filmpreis. Wir haben in Toronto gewonnen. Und dann konnten wir zu den Oscars reisen. Das war das Sahnehäubchen. In Cannes anfangen, bei den Oscars aufhören: Das ist nicht „Robot Dream“, das war „Pablo’s Dream“, der Traum eines Regisseurs. Aber wissen Sie: All das, all die Preise, das ist gut fürs Ego und fühlt sich gut an. Aber viel wichtiger ist, dass wir auf dieser Reise so viele Menschen erreicht und bewegt haben, Menschen aller Altersschichten. Ich könnte nicht glücklicher sein.
Das Interview führten Barbara Schuster und Thomas Schultze.