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Óliver Laxe zu „Sirât“: „Filmemacher besitzen Superkräfte“


„Sirât“ von Oliver Laxe war eine der großen Sensationen des 78. Festival de Cannes, gewann ex aequo mit Mascha Schilinskis „In die Sonne schauen“ den Preis der Jury. In den spanischen Kinos erwies sich der Ausnahmefilm des 43-jährigen Filmemachers als Publikumserfolg, jetzt startet er im Verleih von Pandora in den deutschen Kinos. Und wir nutzten die Gelegenheit für ein ungewöhnliches Interview.

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Óliver Laxe, Gewinner des Jurypreis für „Sirât“ (Credit: Imago / Starface)

Was war der Rave, der den größten Eindruck bei Ihnen hinterlassen hat?

Óliver Laxe: Ich erinnere mich an einen Rave in Portugal, der eine besondere Erfahrung war, bei dem ich mich fühlte, als würde ich in Berührung mit meinen Ahnen treten, als würde alles von mir abfallen. Ich hatte davor LSD genommen, als eine Art eigens auferlegte Psychotherapie. Ich musste weinen, weinen, weinen. Das wurde ausgelöst von der Musik in Kombination mit der Droge. Es hat eine kathartische Wirkung. Ich ging über meine Grenzen hinaus und fühlte mich verbunden mit meiner inneren Verwundung. Ich muss das öfters machen. Es ist gesund. Das ist kein Aufruf, Drogen zu nehmen. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich meine damit mehr, in sich selbst hineinzuhorchen.

Gab dieses Erlebnis auch den Anstoß für Ihren Film?

Óliver Laxe: Nein, das war ein anderer Rave im Süden Frankreichs, der in komplettes Chaos mündete. Jemand kam ums Leben, der Organisator musste später ins Gefängnis. Diese Veranstaltung gab den Ausschlag für mich, über die Techno-Nomaden und ihre Form der Ravekultur zu erzählen. Ich wollte nichts über Trance machen oder Clubkultur, sondern einen Film über Raver. Echte Raver, die ihre Musik komplett leben. Die habe ich dort zum ersten Mal getroffen, diese gebrochenen Menschen, die nur für den Sound leben, in der Musik ihre Katharsis finden. Beim Dreh des Films habe ich entdeckt, dass ich einer von ihnen bin, ebenfalls ein gebrochener Mensch. Weil es auf alle von uns zutrifft. Wir sind gebrochen. Wir alle wollen entfliehen, suchen unsere Erlösung.

Damit beginnt Ihr Film, wenn Sie die Menschen zeigen, wie Sie nebeneinander tanzen, jeder für sich und doch alle gemeinsam, ein großer Heilungsprozess. 

Óliver Laxe: Ein Absturz kann nobel sein. Ein Absturz kann ein Ausdruck von Exzellenz sein, voller Würde. Man muss sich nur darauf einlassen, den Absturz umarmen. Wir machen Filme, um in die Zukunft zu blicken. Ich verarbeite meine Neurosen, erlaube es mir, weich zu sein, ganz zart. Wenn Sie mich fragen, dann besitzen wir Filmemacher Superkräfte, weil wir Dinge sichtbar machen können, die andere Menschen nicht bemerken. 

Können Sie sich erinnern, was Sie machen wollten, als Sie mit der Arbeit an „Sirât“ begannen?

Óliver Laxe: Die erste Fassung des Drehbuchs von „Sirât“ war wie ein Buch von Philip K. Dick, eine große Science-Fiction-Saga, transzendentaler als der Film, den ich dann gemacht habe. Aber es war unmöglich, diesen Stoff finanziert zu bekommen. Vielleicht ginge es jetzt, nach dem Erfolg in Cannes, meinen ganz persönlichen „Lost Highway“ oder „Mulholland Drive“ zu machen. Ich möchte frei sein, mein eigener Hegemon, ich möchte gerne machen, was ich machen will. Dabei ist es mir nicht wichtig, mich als Künstler zu verwirklichen. Ich will dienen, will eine Brücke schlagen. Ich will den Menschen die Möglichkeit geben, tief in sich zu blicken. In unserer Zeit ist das die einzige Möglichkeit, frei zu sein. Der Blick nach drinnen, in sich hinein. Was ich schreibe, soll die Menschen direkt im Inneren berühren. Deshalb wird der Film von manchen Menschen abgelehnt: Es ist für sie zu schmerzhaft, ihn sich anzusehen.  

„ Ich will den Menschen die Möglichkeit geben, tief in sich zu blicken. In unserer Zeit ist das die einzige Möglichkeit, frei zu sein.“

Óliver Laxe

Aber wir sprachen von den Anfängen…

Óliver Laxe: Ich habe vor meinem geistigen Auge versucht, das Universum des Films abzumessen. Ich schloss die Augen, verlor mich in Techno-Musik, habe die Bilder einfach kommen lassen. Zu dieser Zeit habe ich mich außerdem in Sufismus geübt. Das ist meine Welt. Ich liebe Techno, ich liebe den Koran. Und es traf mich: Diese Mischung ist etwas, das von uns Menschen im Hier und Jetzt erzählt. Die Werkzeuge stehen uns bereit, aber es ist wirklich nur ein Mittel für uns, Transzendenz zu erlangen, die Brücke zu überqueren. Frei zu sein. Emanzipiert zu sein. Aber wir müssen demütig sein, voller Gnade. Wir können es nur versuchen. Wie beim Dreh, in der Wüste. Das Leben schlägt uns ins Gesicht, aber wir dürfen nicht nachlassen. Wir müssen unseren Blick in den Himmel richten. Der Weg ist das Ziel. Auch wenn wir nicht am Ziel ankommen, dann war die Reise es wert, es versucht zu haben. 

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Bei der Deutschlandpremiere von „Sirât“ in Berlin: Score-Komponist Kanding Ray und Oliver Laxe (Credit: Schmidt Schumacher)

Alle Roadmovies nehmen das Publikum mit auf eine Reise. Nur dass es bei Ihnen eine Reise ist, bei der das Ziel ungewiss ist. 

Óliver Laxe: Weil diese Reise in die Wüste vor allem eine Reise ins Innere ist. Wer weiß schon, was man dabei findet? Ich vermesse mit „Sirât“ einen Raum, der sich in unserem Unterbewusstsein befindet, abseits des Verstands, eine Landkarte der Psyche. Aber ich will nicht, dass man nur darauf blickt, ich will sie in Bildern erfahrbar machen. Was man sieht, ist nicht unbedingt das, was gezeigt wird. Der Zug ist ein Zug. Aber gleichzeitig ist er noch viel mehr. Der Berg ist ein Berg, aber es steckt noch mehr dahinter, es spielt sich etwas in ihm ab. Die Bilder in meinem Film haben eine Bedeutung. Sie sind nicht im Film, weil sie schön anzusehen sind. Natur ist die pure Manifestation der Intelligenz der Welt. Sie erzählt uns etwas, sie stellt uns auf eine Probe. Manchmal ist es zuckersüß, meistens ist es schmerzhaft. 

Wie sehr entspricht der fertige Film Ihrem Drehbuch? Wieviel davon ist erst während des Drehs passiert?

Óliver Laxe: Weil es ein technisch sehr herausfordernder Dreh mit vielen visuellen Effekten war, gab es nicht viel Spielraum, ehrlich gesagt. Ich würde sagen, dass 90 Prozent des Drehbuchs direkt für den Film umgesetzt wurden. Auf ein paar Dinge mussten wir verzichten, weil es sich von der Zeit her nicht ausging. Sie wären zu aufwändig gewesen. Wir waren sehr präzise bei der Arbeit.

„Am Ende muss ein Film den Autor transzendieren, muss sich von ihm emanzipieren. Da darf ich nur Medium sein, der Überbringer einer größeren Botschaft.“

Óliver Laxe

Man sieht dem Film die große Ambition an, aber er wirkt sehr frei, wie er sich entwickelt.

Óliver Laxe: Ich mag es, wenn ich bei einem Dreh vor Probleme gestellt werde. Probleme sind eine gute Sache. Am Ende muss ein Film den Autor transzendieren, muss sich von ihm emanzipieren. Da darf ich nur Medium sein, der Überbringer einer größeren Botschaft. Beim Dreh ist es anders. Da muss alle einem zur Verfügung stehenden Mittel, das zur Verfügung stehende Geld klug einsetzen, weil man es in der Hand hat, einen Film so zu formen, wie es einem beliebt. Bei diesem Film war es so, dass ich die Stärke besaß, die ersten Bilder zu beschützen, die ich in meinem Kopf hatte, als ich mit dem Drehbuch begann. 

Verständlich. Sie sind ein sehr visueller Filmemacher, teilen sich über die Bilder mit. 

Óliver Laxe: Mein Ansatz als Filmemacher ist komplett sinnlich. Diese ersten Bilder, die meinem Unterbewusstsein entsprangen, sind verbunden mit dem kollektiven Unterbewusstsein. Ich bin stark. Stets bin ich auch als Produzent bei meinen Filmen an Bord. Ich bringe also die Stärke mit, die Fragilität des Projekts zu beschützen. In allen Phasen. Beim Schreiben, bei der Entwicklung, bei der Vorproduktion, bei der Produktion, beim Schnitt. Die Bilder meiner Filme sind mir heilig. Sie sind nicht nur dazu da, eine Erzählung voranzutreiben. Sie haben ein Leben über den Film hinaus, reichen in andere Dimensionen. Sie sind symbolisch, transzendieren sich und natürlich auch mich, auch wenn ich sie mit Hilfe meines Stabs und meiner Schauspieler erschaffen habe mag. Sie sind größer als ich. Der Künstler muss sich immer bewusst sein, dass er der größte Feind seiner Kunst ist. Irgendwann muss man zurücktreten und den Bildern vertrauen. Man muss ja auch dem Leben vertrauen.

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„Sirât“ von Oliver Laxe (Credit: Pandora / Quim Vives)

Und doch stellen Sie sich bei jeder neuen Arbeit großen Herausforderungen. 

Óliver Laxe: Jeder Film ist anders, verlangt nach einer anderen Herangehensweise. „Fire Will Come“ haben wir im Feuer gedreht, weil der Stoff danach verlangte. Bei „Sirât“ waren wir in der Wüste und den Bergen. Spirituell und psychologisch bin ich immer bereit, den nötigen Weg zu gehen. Und dann beiseitezutreten, eine 0 zu sein. Was mir hilft, ist meine Unsicherheit. Ich weiß nicht auf alle Fragen gleich eine Antwort. Ich kann zuhören, bin neugierig, bin immer auf der Suche, ein durch und durch organischer Prozess. 

Ihre Herangehensweise ist spannend, aber macht vielen bestimmt auch Angst. Ist es Ihnen leichtgefallen, „Sirât“ auf die Beine zu stellen?

Óliver Laxe: Es war der einfachste Film meiner Laufbahn. Meine ersten beiden Filme habe ich in Marokko gedreht, ich war wie ein Eremit, ein Außenseiter in meiner Heimat Spanien. Mit „Fire Will Come“ hat sich das geändert, da habe ich Anschluss gefunden, wurde Teil der Gemeinde. Wir wurden willkommen geheißen, konnten Goyas gewinnen. Das hat mich in eine gute Ausgangslage für die Finanzierung von „Sirât“ gebracht. El Deseo hat mich unterstützt. Und dass ich eine Plattform namens Movistar Plus+ an Bord bringen konnte, gab mir Vertrauen und Freiheit. In Spanien zählt der Film nahezu 400.000 Tickets, das ist riesig nicht nur für einen solchen Film, sondern überhaupt ein starkes Ergebnis. Wir sind glücklich, sehr glücklich. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.