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Nora Fingscheidt über „The Outrun“: „Man lernt bei jedem Film irre viel“

Heute, am 5. Dezember, bringt STUDIOCANAL „The Outrun“ von Nora Fingscheidt in die deutschen Kinos. Im Interview mit SPOT erzählt die Filmemacherin über die besondere Dreh-Erfahrung auf den Orkney Inseln, die Arbeit mit Hauptdarstellerin Saoirse Ronan und ihre gute Beziehung zu den Weydemann Bros.

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Nora Fingscheidt (Credit: Philip Leutert)

Ihr Film ist nicht nur geprägt sondern unvorstellbar ohne die Orkney Inseln. Kannten Sie diese bereits? Wie haben Sie ihre persönliche Entdeckung erlebt?

Nora Fingscheidt: Die Orkneys kannte ich noch nicht und musste erstmal googlen, wo die genau liegen. In Schottland war ich schonmal gewesen, aber nie nördlicher als Edinburgh. Als ich dann das erste Mal hinkam, ging es eigentlich auch schon direkt los mit dem ersten Recherche-Dreh und den Lammgeburten. Es war toll, einen Ort so intensiv entdecken zu dürfen und die Menschen dort kennenzulernen. Ich erwische mich oft dabei, dass ich Sehnsucht habe, dort möglichst bald wieder hinzufahren. 

Inwiefern hat der Schauplatz den Dreh in etwas verwandelt, was aufgrund des Drehbuchs nicht absehbar?

Nora Fingscheidt: Das ist permanent passiert, wir haben uns voll und ganz auf den Ort und die Menschen eingelassen. Dabei sind tolle Momente entstanden und ganze Szenarien wie z.B. das „Muckle Supper“ – also die Tanzveranstaltung im Film – oder die Gyro Nights, das Kunstfestival auf der kleinen Insel Papa Westray. Diese Events wurden von den Locals für uns nachgestellt und wir haben dann eher dokumentarisch gedreht, weil wir keine Ahnung hatten, was genau passieren wird. Sowas macht irre Spaß!

„Saoirse ist ein absolutes Ausnahmetalent.“

Was ist Ihre bleibende Erinnerung an die Inseln, an den Dreh?

Nora Fingscheidt: Das morgendliche Schwimmen vor dem Dreh im kalten Wasser und wie verrückt es war, dabei von den Seehunden beobachtet zu werden. Die kamen ganz nah und waren sehr neugierig und manchmal hatte ich das Gefühl, die haben eine Art Spiel am Laufen wer sich am nächsten herantraut.

Zutiefst beeindruckend ist die Szene, in der Ihre Hauptfigur die Wellen zu dirigieren scheint. Wussten Sie bereits bei Dreh genau, wie die Szene aussehen sollte?

Nora Fingscheidt: Ja schon, zumindest hatten wir die bereits komponierte Musik und eine klare inhaltliche Vision. Und wir haben immer wieder und an allen möglichen Drehorten dazu Sequenzen gedreht. Aber wie es dann am Ende alles ineinandergreift, das ist der Montage von Stephan Bechinger zu verdanken. 

Ebenso undenkbar wäre der Film ohne Saoirse Ronan in der Hauptrolle. Wie haben Sie sie inszeniert?

Nora Fingscheidt: Das hängt vom Inhalt der Szene ab. Vor allem hatten wir viel Zeit für die Vorbereitung, das war wichtig, und dann ist mein Job am Set eher zu gucken, was braucht sie gerade, um sich frei zu fühlen. Saoirse ist ein absolutes Ausnahmetalent mit einer wahnsinnigen Kamerapräsenz, das macht meinen Job dann sehr einfach. Wichtig ist vor allem genau zu wissen, was soll die Szene erzählen, was passiert vorher und wo geht es von hier hin. 

Ihre Filme handeln bislang ausschließlich von Systemsprengerinnen. Frauen, die nicht im Einklang mit der Gesellschaft leben. Was reizt Sie an diesen Stoffen? Diesen Figuren?

Nora Fingscheidt: Mich interessieren Menschen, die mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen haben und sich selbst im Weg stehen. Ich glaube, Selbstsabotage und Destruktivität sind zutiefst menschlich und das berührt mich sehr. Das finde ich spannender als den holden Helden oder die holde Heldin zu erzählen, die gegen das absolut Böse kämpft. 

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Saoirse Ronan in Nora Fingscheidts „The Outrun“ (Credit: Studiocanal)

Haben Sie den Eindruck, durch die Beschäftigung mit ihnen, dazuzulernen?

Nora Fingscheidt: Man lernt bei jedem Film irre viel auf allen möglichen Ebenen. Und klar, die Beschäftigung mit so schwierigen Figuren, ihrem Dilemma und möglichen Lösungsansätzen ist auf jeden Fall aufschlussreich. Aber meistens gibt es keine einfache Lösung, sonst wäre es ja nicht so kompliziert und erzählenswert. 

Nachdem „Systemsprenger“ eine deutsche Geschichte und „The Unforgivable“ eine amerikanische Geschichte erzählt, erzählt „The Outrun“ nun eine europäische Geschichte. Prägte das auch die Arbeit an dem Film?

Nora Fingscheidt: „The Outrun“ ist ein durch und durch europäisches Projekt und viele Head of Departments waren aus Deutschland. Wir kennen uns alle von der Filmhochschule in Ludwigsburg und haben auch schon an „Systemsprenger“ und vorher an meinem Abschlussfilm „Ohne diese Welt“ und vielen Kurzfilmen zusammengearbeitet. Aber natürlich ist es auch ein schottisches Projekt, das aber zu einem großen Teil in England spielt mit einer irischen Haltdarstellerin. Die Postproduktion wiederum fand dann komplett in Deutschland statt. Ich liebe solche internationalen Zusammenarbeiten, das ist total bereichernd für alle Beteiligten. 

„Ich würde auch gerne wieder in Deutschland drehen.“

„The Outrun“ ist Ihr erster Film nach Romanvorlage. Wie eng haben Sie mit Amy Liptrot zusammengearbeitet?

Nora Fingscheidt: Sehr eng. Ich habe mich erstmal mit dem Buch zurückgezogen, um ganz alleine meinen eigenen kreativen Zugang zu einer Filmadaption zu finden und eine Struktur anzubieten, aber dann haben wir stundenlang am Telefon oder auf Zoom verbracht und alles von vorne bis hinten durchgesprochen. Es war für mich total wichtig, dass sie 100 Prozent in Ordnung ist mit allen strukturellen Änderungen, Vereinfachungen, Dramatisierungen usw, die wir machen mussten, um so eine autobiografische Geschichte zu einem Spielfilm zu machen. Es ist ja ihre persönliche Lebensgeschichte und da empfand ich eine riesige Verantwortung Amy und ihrer Familie gegenüber. 

Wie bei „Systemsprenger“ haben Sie wieder mit Weydemann Bros. gearbeitet, die diesmal als Koproduzenten an Bord waren. Was bedeutet Ihnen diese Zusammenarbeit?

Nora Fingscheidt: Die Weydemann Bros. sind großartig und ich bin sehr dankbar, dass sie beim Projekt mitgemacht haben und mir von Deutschland aus die ganze Zeit den Rücken gestärkt sowie die ganze Postproduktion gemanagt haben. Wir verstehen uns gut und teilen die Auffassung, dass Filmemachen mit netten und vertrauten Menschen am meisten Spaß macht. 

Wie wird es weitergehen? Haben Sie vor, auch wieder in Deutschland zu arbeiten?

Nora Fingscheidt: Jetzt mache ich erstmal Babypause, wir haben gerade unser drittes Kind bekommen. Das ist eine so kostbare und magische Zeit, die will ich unbedingt beschützen. Und dann mal schauen, was kommt, ich bin offen für alles und würde auch gerne wieder in Deutschland drehen. 

Die Fragen stellten Barbara Schuster & Thomas Schultze