Wer dachte, dass es eine verrückte Idee war, in den Mittelpunkt des Robbie-Williams-Biopics einen Affen zu stellen, der soll sich erst einmal Morgan Nevilles wunderbaren „Piece By Piece“ ansehen, die Geschichte des Hiphop-Superstars und ewigen Trendsetters Pharrell Williams als Lego-Dokumentarfilm. Kurz vor Kinostart am 16. Januar im Verleih von UPI haben wir bei dem Oscargewinner nachgefragt.
Man sieht fasziniert zu bei „Piece By Piece“. Und irgendwann sagt sich: Ganz schön gut, aber WAS IST ES? Darf ich diese Frage an Sie weitergeben?
Morgan Neville: Es ist tatsächlich eine gute Frage!
Also?
Morgan Neville: Es wäre einfacher, wenn ich eine gute Antwort parat hätte, irgendetwas Griffiges. Tatsächlich gefällt es mir, dass man nicht so einfach den Finger drauflegen kann, dass der Film von vielen Dingen ein bisschen hat, sich aus unterschiedlichsten Elementen zusammensetzt, die man nicht so leicht benennen kann. Also der Reihe nach: Ja, es ist ein Animationsfilm, es ist ein Biopic, es ist ein Musical, es ist ein Dokumentarfilm. Und die Geschichte ist mit Lego erzählt. Ich nenne es creative non fiction. Oder sagen wir es so: Es ist etwas Neues. Und das ist aufregend. Interessant ist es für mich zu sehen, dass die Menschen zu Beginn des Films ein bisschen skeptisch sind: Was genau soll das jetzt sein? Aber wenn sie das Kino verlassen, sieht man, dass sie es verstanden haben, dass der Film sie gepackt hat.
„Am Anfang sind die Menschen skeptisch: Was genau soll das jetzt sein? Aber wenn sie das Kino verlassen, sieht man, dass es sie gepackt hat.“
Morgan Neville
Wie sind Sie als ausgewiesener Dokumentarfilmer herangegangen, wo und wie in diesem Film haben Sie sich gesehen? Und was mussten Sie sich an neuen Fähigkeiten aneignen, um „Piece By Piece“ machen zu können?
Morgan Neville: Für einen Dokumentarfilmemacher ist es höchst ungewöhnlich, ein derart umfassendes Maß an visueller Kontrolle über das Material zu haben. Die Herangehensweise an die Figuren und die Geschichte war nicht entscheidend anders als von mir gewohnt. Neu war es für mich, visuell in den imaginären Raum einzutauchen, der fantasievolle Ansatz der Erzählung und Umsetzung. Aber es ergab zwingend Sinn, weil Pharrell ein magischer Denker ist, ein Fantast. In der Lage zu sein, seine Gedankengänge und sein Empfinden zu visualisieren, Bilder für Musik und Sound zu finden, war ein einmaliges Geschenk. In einem gängigen Dokumentarfilm wäre das unmöglich, wenn man einfach nur eine Kamera hat und einem Menschen folgt. Aber wir konnten Beats sichtbar machen! Das war schon irre.
Wie sind Sie vorgegangen?
Morgan Neville: Ich habe mir eine Vorgehensweise zurechtgelegt. Animation und Dokumentarfilm sind zwei grundlegend verschiedene Übungen. Der Dokumentarfilm lebt von Fehlern, Rauheit, Unvollkommenheit. Beim Animationsfilm geht es um Perfektion. Also mussten wir gewährleisten, dass die Animation Macken hatte, kleine Unebenheiten, Fehler und Makel. Die Animatoren haben mich erst einmal angeschaut wie ein Auto, als ich ihnen sagte, dass ich Momente haben wollte, die unscharf oder verwackelt sind. Gleichzeitig habe ich mich darauf eingelassen, mit einem Blick heranzugehen, der eigentlich nicht dem des Dokumentaristen entspricht, also Kontrolle auszuüben, mir den Trip an psychologische Orte und Zeitreisen zu gönnen, also ganz frei mit dem Material umzugehen und es nach unserem Gutdünken zu gestalten. Diese unverschämte Subjektivität war ungemein befreiend.
„Wir mussten gewährleisten, dass die Animation Macken hatte, kleine Unebenheiten, Fehler und Makel.“
Morgan Neville
Es ist, als würde man einer kosmischen (und komischen) Pop-Oper zusehen.
Morgan Neville: Das gefällt mir. Das war auch unsere Absicht. Die allererste Einstellung des Films ist eine lange Kamerafahrt, mit der ich dem Publikum sofort zu verstehen geben wollte: Aufgepasst, was jetzt kommt, ist nicht das, was man erwartet, wenn man sich einen Animationsfilm ansieht. Dies ist anders, ein interessanter, sich echt anfühlender Moment, in dem Kinder auf einem Sofa auf und ab springen und er seiner Frau sagt, jetzt müssten alle ruhig sein, weil er ein Interview hat. Und dann setzen wir uns hin und schlägt mir vor, dass ein Film über ihn am besten wäre, wenn man ihn mit Lego erzählt. In diesem Moment wird das der Film, alles ist möglich, wir fliegen durch Zeit und Raum, er hat andere Klamotten an. Da machen wir klar, dass dieser Film auch nach anderen Regeln als gängige Dokumentarfilme funktionieren wird, ein Film, der fantasievoll ist und die Fantasie anregt. Nun mag man sagen, der Film sei beliebig. Das stimmt aber nicht. Er ist sehr spezifisch, er kann in dieser Form nur für Pharrell Williams funktionieren. Er entspricht ihm.
Und wie haben Sie damals reagiert, als Pharrell Ihnen das mit Lego erzählte?
Morgan Neville: Das war bei unserem ersten Treffen! Er sagte mir: Ich liebe deine Filme, ich will, dass du einen Film über mich machst, so wie du es machst, und wenn du fertig bist, schmeiße alles über den Haufen und mache ihn noch einmal neu mit Lego. Ich hatte keine Ahnung, wie das gehen sollte. Aber ich fand die Idee sofort super, sehr provokativ. Wir haben die Hände geschüttelt und gesagt: Das machen wir. So weit war es einfach. Danach weniger. Der Film hätte auf zigfache Weise nicht funktionieren können. Lego hätte Nein sagen können. Wir hätten das Geld nicht aufbringen können. Wir hätten feststellen können, dass es sich technisch nicht umsetzen lässt. Aber nein, es ging immer weiter, es hat funktioniert. Überall stieß ich auf strahlende Gesichter und Menschen, die Ja zu mir sagten.
„Der Film hätte auf zigfache Weise nicht funktionieren können.(…) Aber nein, es ging immer weiter, es hat funktioniert.“
Morgan Neville
Das ist verrückt. Wenn man die Idee als Pitch formuliert, klingt es ja unglaublich und vielleicht sogar albern.
Morgan Neville: Lego war die erste Hürde. Wenn sie abgewunken hätten, wäre das ohnehin das Ende des Projekts gewesen. Jill Wilfert, die seit vielen Jahren die Leitung von Lego Films innehat, sah mich nur an und sagte sofort: Irgendwie liebe ich diese Idee. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte mir alle möglichen Argumente zurechtgelegt, aber sie sagte: Weißt du was, wir machen das. Es gab eine winzige Vorgabe von ihnen: Es durfte kein Film mit einem R-Rating (ab 17, Anm. der Red.) werden. Und es gab eine winzige Vorgabe von mir: Es konnte kein Film mit einem G-Rating (ohne Altersfreigabe, Anm. der Red.) werden. Wir haben uns auf halbem Weg getroffen sozusagen. Ich wusste auch, dass Teilhabe ein wichtiges Thema sein müsste, dass es um Hautfarbe und Diversität gehen würde. Damit war Lego okay. Lego ist eine interessante Firma, ein familiengeführtes Unternehmen in Dänemark. Sie haben ein echtes Ethos. Entscheidungen werden auf kurzen Wegen und schnell getroffen. Entweder mögen sie etwas oder nicht. Sie sind niemandem Rechnung schuldig. Das war erfrischend.
Nächster Punkt: die Finanzierung.
Morgan Neville: Mir war klar, dass uns niemand Geld für unsere verrückte Idee geben würde, wenn man nichts herzeigen könnte. Wir erstellten also einen Konzeptnachweis, eine 90-sekündige Szene, in der ich mich mit Pharrell unterhalte. Im Film ist das die Szene, wo man ihn als Jungen sieht, wie er sich auf der Stereoanlage Stevie Wonder anhört und dabei einen Anfall bekommt. Diese Szene war ein Wunder. Sie funktionierte einfach ausgezeichnet. Wem auch immer wir das zeigten, der sagte uns: Habt ihr nicht mehr? Diesen Film wollen wir sehen. Es war nachgerade erschütternd erfolgreich. Auch hier war es wieder so: Menschen, die auch Nein hätten sagen können, haben Ja gesagt.
Man erfährt alles Erdenkliche über Pharrell Williams in Ihrem Film. Was haben Sie denn über ihn gelernt?
Morgan Neville: Der Film ist ein Beispiel für die Lektion, die er uns alle lehrt: Etwas zu machen, das unwahrscheinlich, vielleicht sogar unmöglich erscheint, sollte immer das Ziel sein. Pharrell strahlt eine Furchtlosigkeit aus, die ich inspirierend finde. Ich selber bin logischer gestrickt als er, aber sein magisches Denken finde ich bezaubernd und unwiderstehlich. Er ist in jeder Faser seines Körpers ein kreativer Mensch. Und das hat mich angetrieben, mich als Filmemacher mehr zu fordern, mehr zu strecken, das Unwahrscheinliche zu umarmen und darauf zu vertrauen.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.