Mit seinem vielgepriesenen Langfilmdebüt „The Village Next to Paradise“ (hier unsere SPOT-Besprechung) hat der somalisch-österreichische Filmemacher Mo Harawe eine aufregende Festivalreise hinter sich. Wir wollten wissen, was er dabei alles erlebt hat, welche Erinnerungen von den Dreharbeiten in Somalia geblieben sind und welches seine Lieblingsfilme aus jüngster Vergangenheit sind. Deutscher Kinostart ist am 30. Januar im Verleih von eksystent.
Mit Ihrem Langfilmdebüt haben Sie einen irren Lauf hinter sich: Weltpremiere im Un Certain Regard in Cannes, Einladungen auf zahlreiche weitere Festivals auf der ganzen Welt, gepflastert mit vielen Preisen. Was war das Beste an 2024?
Mo Harawe: Wir haben natürlich gehofft, nach Cannes eingeladen zu werden, weil Cannes ein Festival ist, das Filmen eine extrem große Aufmerksamkeit angedeihen lässt. Eine Einladung nach Cannes heißt, dein Film wird gesehen. Das ist ja auch mein Ziel: Ich will, dass mein Film gesehen wird, ein Publikum findet. Was das Beste an 2024 war, kann ich gar nicht genau sagen, weil ich einfach noch keine Zeit hatte, das vergangene Jahr zu reflektieren. Ich habe eigentlich bis kurz vor der Weltpremiere an dem Film gearbeitet. Dann ging es rund. Cannes, dann die große Festivaltour. Nach der Postproduktion hatte ich zwei Wochen Urlaub. Vielleicht waren diese zwei Wochen der Ruhe das Beste an 2024.
Was hat Ihnen als junger Filmemacher die Erfahrung in Cannes gebracht?
Mo Harawe: Das kann ich gar nicht so genau beantworten. In Cannes passiert einfach sehr viel. Cannes ist eine andere Welt. Die ganze Filmbranche trifft sich dort. Es ist eine Dimension, die man als Filmemacher im Alltag natürlich nicht erlebt. Man hat nicht mal Zeit, um alles aufzusaugen. Cannes ist überwältigend. Meinem Film hat das Festival auf alle Fälle sehr geholfen.
Es folgte eine ausgedehnte Festivaltour durch zig Länder…
Mo Harawe: Das Feedback auf den Film fiel sehr positiv aus, egal, wo wir waren, auf welchem Festival, in welchem Land auch immer. Ich wusste von Anfang an, dass bestimmte Dinge im Film nur von Somalis verstanden werden würden. Deshalb hat mich überrascht, dass die Leute, egal wo, mit der Geschichte connectet, einen Zugang gefunden haben. Die Emotionen sind dann eben doch sehr universell. Viele Leute erzählten mir auch, dass ihnen bei „The Village Next to Paradise“ eben die andere Machart auffiel, das andere Erzähltempo, die Farben… und dass sie durch den Film ein ganz anderes Bild von Somalia erhalten hätten.
„Auf Festivals lernt man andere Kulturen kennen, wächst als Filmemacher wie als Mensch.“
Gibt es ein Lieblingsfestival?
Mo Harawe: Nein. Alle Festivals waren wirklich toll. Ich habe Leute kennengelernt, andere Filmemacher, konnte mein Netzwerk erweitern. Die Erfahrungen waren generell gut, schön und angenehm. Man lernt andere Kulturen kennen, wächst als Filmemacher wie als Mensch.
Hat sich Ihre eigene Haltung zum Film entwickelt? Blicken Sie jetzt vielleicht anders drauf?
Mo Harawe: Nein, überhaupt nicht. Dafür bin ich immer noch zu nah dran. Ich konnte noch keinen Abstand gewinnen. Mir fehlt die Distanz, um den Film noch mal anzuschauen und vielleicht anders zu sehen… Ich bin immer noch damit beschäftigt, mache bis jetzt Interviews! Eine andere Sichtweise findet vielleicht in ein, zwei Jahren statt, wenn ich Ruhe und bereits gedanklich etwas anderes im Kopf habe.
Was war die größte Lernerfahrung bei der Arbeit an „The Village Next to Paradise“, auch im Gegensatz zu den von Ihnen bis dato realisierten Kurzfilmprojekten?
Mo Harawe: Es war definitiv eine neue Herausforderung. Von der Vorproduktion bis Fertigstellung habe ich zwei Jahre meines Lebens investiert, ohne Pause. Rechnet man die Finanzierung dazu, hat es noch länger gedauert. Wir haben 64 Tage gedreht. Das war doch auch hart, das tägliche Motivieren, mich, die Crew … Dann ein langer Schneideprozess von vier Monaten. Überhaupt, die Postproduktion in verschiedenen Ländern zu bewältigen. Für die Tonbearbeitung musste ich immer nach Paris. Dann die ganze Pressearbeit, die dazugehört… Das habe ich alles etwas unterschätzt. Man braucht Ausdauer. Eine Erfahrung fürs Leben.
Ihre Kurzfilme haben Sie alle selbst produziert. Auch bei „The Village Next to Paradise“ sind Sie als Produzent gelistet – neben der österreichischen Freibeuter Film als Hauptproduzent, Niko Film aus Deutschland und der französischen Kazak Productions. Ist es Ihnen wichtig, Ihre Filme auch als Produzent zu begleiten?
Mo Harawe: Bei den Kurzfilmen war es Bedingung, weil ich nicht auf einer Filmuni war. Ich musste sie die Filme auch selbst produzieren, gemeinsam mit einem Freund. Bei „The Village Next to Paradise“ war ich als Koproduzent dabei, weil wir in Somalia gedreht haben und ich dort für die Produktion zuständig war. Wir haben dafür in Somalia einen Verein gegründet. Das Produzent-Sein ist also kein dringlicher Wunsch meinerseits, sondern eine Notwendigkeit.
„Es waren keine Europäer am Set.“
Sie haben nicht zum ersten Mal in Somalia gedreht. Für einen Kinofilm war sicher eine größere Crew vonnöten. Wie haben Sie dort gearbeitet? Wie die Leute gefunden? Es gibt dort ja keine Filmindustrie…
Mo Harawe: Das hat sich organisch ergeben. Meinen ersten Kurzfilm habe ich in Somalia mit nur zwei Leuten gedreht. Ich selbst hatte neben Regie auch noch Kamera und Ton übernommen. Bei meinem zweiten Kurzfilm habe ich wieder neue Leute kennengelernt. So ging das weiter. Für den Langfilm war es wichtig, eine größere Crew zusammenzustellen, weil ich nicht mehrere Aufgaben gleichzeitig übernehmen konnte. Der Dreh meiner Kurzfilme dort hat mich gut vorbereitet, ich kannte schon Leute. Mein Kameramann kommt aus Ägypten, mein Tonmann aus Kenia. Zwei, drei Somalis, die bei der Produktion halfen, leben in der Diaspora… Von Anfang an war mir wichtig, „The Village Next to Paradise“ nur mit Leuten aus Somalia oder der Region zu drehen. Es waren keine Europäer am Set. Aber klar war es eine Herausforderung, weil es, wie Sie sagen, keine Filmindustrie, keine Strukturen für Filmdrehs in Somalia gibt. Es hat aber alles gut geklappt.
Wurde „The Village Next to Paradise“ bereits in Somalia gezeigt?
Mo Harawe: Noch nicht. Hoffentlich Ende des Jahres.
Inwiefern war es Ihnen möglich, schon weiter zu überlegen, was als Nächstes kommt?
Mo Harawe: Es gibt Ideen. Aber nichts fix. Ich werde erst mal Pause machen und dann schauen, wie es weitergeht. Ich habe auch fertige Drehbücher, die ich mal geschrieben habe.
Haben Sie in all der stressigen Zeit und den vielen Reisen überhaupt Zeit gehabt, selber Filme zu gucken? Wie haben Sie das Filmjahr 2024 erlebt?
Mo Harawe: Ich habe tatsächlich ein paar Filme gesehen, die mir gut gefallen haben. Dazu gehören „Universal Language“ von Matthew Rankin, „On Becoming a Guinea Fowl“ von Rungano Nyoni, der Animationsfilm „Flow“, aber auch „Stranger Eyes“, ein Film aus Singapur von Siew Hua Yeo, und „Perfumed with Mint“ des ägyptischen Filmemachers Muhammad Hamdy.
Wie nehmen Sie den Kinomarkt wahr? Gerade Filme, die nicht Mainstream sind, haben es nicht gerade leicht, an der Kinokasse zu bestehen…
Mo Harawe: Es war immer schwierig, Filme, wie ich sie mache, zu machen. Es wird auch schwierig bleiben. Und trotzdem werden sie gemacht. Ich denke nicht wirklich an den Markt, den kommerziellen Aspekt. Sonst wäre alles hoffnungslos. Aber ich bin sehr optimistisch. Wenn ich etwas anpacke, bin ich zu 100 Prozent davon überzeugt, dass es wichtig ist, was ich mache, und dass es Menschen gibt, die das sehen wollen.
Das Gespräch führte Barbara Schuster