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Am Freitag, den 25.10. werden wir ab 15.00 Uhr bis ca. 18 Uhr umfangreiche technische Wartungsarbeiten durchführen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Michel Hazanavicius zu „Das kostbarste aller Güter“: „Diese Geschichte war nur als Animationsfilm denkbar“


Am 6. März startet mit „Das kostbarste aller Güter“ der erste Animationsfilm von Oscargewinner Michel Hazanavicius, seine ungewöhnliche Adaption des Jugendromans von Jean-Claude Grumberg. Wir haben uns mit ihm über die besonderen Herausforderungen unterhalten, vor die ihn die technische Umsetzung wie auch die schwierige Thematik stellten.  

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Regisseur Michel Hazanavicius (Credit: SUDIOCANAL)

Mit einem Animationsfilm von Ihnen hat man vermutlich nicht gerechnet. Was hat Sie dazu bewogen, sich auf dieses Terrain zu bewegen?

Michel Hazanavicius: Es war nicht primär mein Ziel, Regisseur eines Animationsfilms zu werden. Es war eher so, dass ich keinen anderen Weg sah, diese Geschichte filmisch zu erzählen und ihr thematisch gerecht zu werden. Ich konnte mir nicht vorstellen, den Film mit Schauspieler:innen zu machen. Es hätte sich falsch angefühlt und wäre meiner Ansicht nach falsch gewesen, von Darsteller:innen zu verlangen, sie sollten sich vorstellen, wie es ist, in einem der Todeszüge nach Auschwitz gebracht zu werden. Für mich stand aber fest, dass ich diese Geschichte erzählen wollte. Und das ging nur mit Hilfe von Animation. Also habe ich mich umgesehen und angefangen, mir Gedanken zu machen, wie das umsetzbar sein würde.

Sie haben sich dann für eine sehr ungewöhnliche Form der Animation entschieden und einen Film gemacht, der sich deutlich abhebt von anderen Animationsfilmen. Was war der Grund dafür?

Michel Hazanavicius: Erst einmal habe ich nicht angefangen, mir andere Animationsfilme anzusehen, um etwas über die Form zu lernen. Ich zeichne privat sehr gerne. Also habe mich zuhause hingesetzt und habe die Figuren selbst entworfen, ebenso wie einige der Kulissen. Ich habe mir auch überlegt, wie sich die Figuren in der Welt des Films bewegen sollten. Mir gefielen die dicken schwarzen Linien, was uns zu diesem Stil führte, als seien die Bilder gestanzt, wie bei einem Holzschnitt. Als ich die Fahnen des Jugendromans von Jean-Claude Grumberg noch vor seiner Veröffentlichung las, hatte ich den Eindruck, eine klassische Geschichte zu lesen, ein bisschen so, als hätte die Geschichte bereits existiert, bevor sie niedergeschrieben wurde. Diesen Eindruck wollte ich auch mit dem Film vermitteln. 

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Michel Hazanavicius’ „Das kostbarste aller Güter“ (Credit: Ex Nihilo / Les compagnons du cinéma / Studiocanal / France 3 / Les films du Fleuve)

Sie interessieren sich sonst also nicht für Animation?

Michel Hazanavicius: Ganz sicher bin ich kein Spezialist, kein Geek. Ab und zu sehe ich mir etwas an, wenn es mir empfohlen wird, Pixar oder Disney oder Studio Ghibli. Filme wie „Coco“ halte ich für Meisterwerke. So etwas könnte ich niemals machen. Aber ich hege kein besonderes Interesse für die Kunstform, sie steht mir nicht sehr nahe. Also habe ich mich mit dem Instinkt des Filmemachers daran gemacht, meine Form eines Animationsfilms zu machen. Es war eine interessante Erfahrung. 

Sie haben mit professionellen Animatoren gearbeitet. War es eine reibungslose Zusammenarbeit? Deckten sich Ihre Vorstellungen des Prozesses mit der Realität?

Michel Hazanavicius: Animatoren leben in ihrer eigenen Welt, ihr Blick ist ganz anders als der eines Spielfilmregisseurs. Es ist eine andere Form des Kinos. Eigentlich ist alles anders: die Abläufe, die Technik, die zeitlichen Abläufe. Es war nicht immer einfach für die Animatoren zu verstehen, dass ich den Film für mich nie als Animationsfilm begriffen habe. Für mich war es einfach nur ein Film, nur dass ich aus den genannten Gründen den Umweg über Animation gehen musste. Animation war für mich ein Mittel zum Zweck. Das hat manche der Animatoren in den Wahnsinn getrieben. Es gab auch ein paar, die hinschmissen, weil sie mit meiner Herangehensweise nicht leben konnten. Andere fanden es erfrischend, weil sie sich gezwungen sahen, aus ihrer Komfortzone herauszukommen. Der künstlerische Leiter sagte zu mir, dass er diese Form der Arbeit sehr cool fände. In der Animation gehe man an Einstellungen von einem technischen Standpunkt heran. Man überlege sich, was machbar ist, und dann setze man es um. Weil ich diese Scheuklappen nicht aufhabe, müsse man anders arbeiten und wirklich in Einstellungen denken und müsse sich filmischer Grammatik bedienen. 

„Es war nicht immer einfach für die Animatoren zu verstehen, dass ich den Film für mich nie als Animationsfilm begriffen habe.“

Michel Hazanavicius

War der Prozess frustrierend für Sie, gerade in Hinblick darauf, dass die Arbeit sehr viel langsamer voranschreitet und es deutlich länger dauert, bis das Geschaffene wirklich Form anzunehmen beginnt?

Michel Hazanavicius: Lange sieht alles nur sehr abstrakt aus. Das war interessant. Aber vor allem an das Zeitmanagement musste ich mich erst einmal gewöhnen. Wenn man einen Spielfilm macht, dreht man eine Klappe. Wenn es einem dann nicht gefällt, dreht man noch eine Klappe. Und noch eine Klappe. Und noch eine Klappe. Das kann frustrierend sein. Aber der Zeitaufwand ist überschaubar. Es dauert 15 Sekunden, und man hat eine neue Aufnahme. Wenn man in der Animation mit einer Aufnahme nicht zufrieden ist, muss man 15 Tage warten, und selbst dann ist die Veränderung überschaubar. Natürlich hat man den Luxus, auf jedes noch so kleine Detail Einfluss zu nehmen. Aber es dauert ewig. Und dann nimmt der Film tatsächlich erst im letzten Monat wirklich Form an. Ich habe das als sehr anstrengend empfunden. 

Sie haben gesagt, dass es sich falsch angefühlt hätte, Schauspieler:innen in dieser Geschichte zu inszenieren. Wie haben Sie dann die Entscheidung getroffen, was man in der Animation zeigen kann und was nicht?

Michel Hazanavicius: Das war wirklich die wichtigste Frage, die wir uns gestellt haben, sowohl in technischer wie in ästhetischer Hinsicht. Man kann nicht zeigen, was in den Vernichtungslagern passiert ist. Das verbietet sich. Wir machen einen Film, eine Inszenierung. Es würde den wahren Horror billig machen, und es bliebe doch immer eine Inszenierung. Es wäre eine Travestie, eine Lüge. Man kann indes versuchen, Bilder zu finden, die etwas vorschlagen, etwas evozieren, die sich auf abstrakte Weise mit dieser Pechschwärze befassen, dieser vollständigen Abwesenheit jeglicher Menschlichkeit. Man kann eine Abstraktion erschaffen und damit Verständnis erzeugen. Es gibt keine expliziten Szenen in meinem Film. Das könnte ich nicht. Aber ich schaffe einen Raum für das Publikum, sein eigenes Wissen über die Lager in die Bilder zu projizieren. 

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Michel Hazanavicius bei der Premiere von „Das kostbarste aller Güter“ im Rahmen des Augen auf-Kinotages im Filmtheater am Friedrichshain (Credit: Imago / Future Image)

Diese Szenen heben sich deutlich vom Rest des Films ab.

Michel Hazanavicius: Das müssen sie! Ich habe sie betrachtet als Kohleskizzen, sie drücken Schmerz und Qual und Verzweiflung aus, aber eben auf einer abstrakten Ebene. Darin kann man sich wiederfinden. Jedem ist es möglich, auf dieser Grundlage seine eigene Narration zu erschaffen, basierend auf den eigenen Erfahrungswerten. Auf einen 80-jährigen Zuschauer werden diese Bilder anders wirken wie auf ein jugendliches Publikum. Aber jeder begreift, was sich hinter der Schwärze und den schmerzverzerrten Gesichtern verbirgt. Jedem bleibt es überlassen, wie sehr er sich in die Bilderwelten versenkt und wie sehr er Distanz wahren will. Deshalb war Animation perfekt geeignet. Ein perfektes Werkzeug, weil man mit Animation nicht an Realität gefesselt ist. Animation ermöglicht Poesie, Symbolik.  

Sie haben Ihren Film seit der Premiere in Cannes auf einer Reihe von Festivals gezeigt. Womöglich haben Sie auch schon Abstand gewinnen können. Sind Sie denn zufrieden damit, wie der Film geworden ist, dass sie diesen Weg eingeschlagen haben?

Michel Hazanavicius: Grundsätzlich würde ich das bejahen, mehr oder weniger… Es fällt mir schwer, mich daran zu erinnern, was ich mir vor meinem geistigen Auge ausgemalt hatte. Das war vor sechs Jahren! Es war ein Traum damals. Jetzt existiert der Film, er ist eine Realität. Die Frage stellt sich für mich gar nicht, was ich mir gedacht oder ausgemalt hatte. Weil ich selbst nichts mehr anderes sehen kann als das, was herausgekommen ist. Ich denke, dass wir der Thematik gerecht werden. Sehr stolz bin ich darauf, dass der Autor der Vorlage, Jean-Claude Grumberg, den Film liebt. Und wenn ich mit dem Publikum ins Gespräch gehe, kriege ich gespiegelt, dass es ebenfalls ergriffen ist. Nichts anderes wollte ich. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.